Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper. Christian Springer

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Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper - Christian Springer

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Verdi-Kritiken, immerhin die Arbeiten eines professionellen Musikkritikers, gingen in keinem Moment so in die Tiefe wie die 1859 in Florenz erschienene Arbeit Studio sulle opere di Giuseppe Verdi[12] von Abramo Basevi (1818-1885), einem Arzt aus Livorno, der neben seinem Brotberuf eingehende musikalische, philosophische und psychoakustische Studien betrieben hatte. Dieses Werk bewies Einsichten in die Kompositionen Verdis, wie sie der Musikkritik der Zeit verschlossen waren. Nicht umsonst wird Basevis Werk in Italien bis heute immer wieder neu aufgelegt.[13]

      Viele Rezensionen gaben oft nur geschwätzig und schwülstig subjektive Hörerlebnisse oder Beschreibungen des Verlaufs von Opernabenden oder Konzerten sowie der Publikumsreaktionen wieder, ohne auf die Musik oder deren Interpretation einzugehen. Dieser Musik-Boulevardjournalismus beschränkte sich vielfach auf die Wiedergabe von Theaterklatsch und Berichte über lächerliche Banalitäten im Umfeld der Oper wie die Toiletten der Damen oder ihr glitzernder Schmuck. Man mag über den Stellenwert von Musikkritik – sowohl der Werkkritik als auch der Interpretationskritik – als Mittel der Weiterentwicklung eines Künstlers durchaus geteilter Meinung sein, doch dass sie über das Niveau von Hagiographien, Operntratsch, Ablaufberichten von Premieren und geistlosen Betrachtungen des bei diesen Gelegenheiten stattfindenden Gesellschaftslebens hinausreichen sollte, ist wohl unbestritten.

      Zwar konnte man den Opernkritiken entnehmen, welches Werk aufgeführt wurde, doch wie es gesungen und gespielt wurde, blieb zumeist im Dunkeln. Anders verhielt sich dies bei Konzerten, bei denen sogar oft unklar blieb, welche Werke gespielt wurden. Dies ist bei der in Italien damals üblichen Form der Konzerte – mit Opern-Ouverturen oder kurzen Symphonien, Instrumentalkonzerten oder einzelnen Sätzen aus solchen, beliebten Opernarien, bei denen beispielsweise ein berühmter Geiger wie Paganini den Vortrag einer berühmten Sängerin wie Giuditta Pasta begleitete und paraphrasierte usw. – gravierend, da ihre Programme nur in wenigen Fällen komplett rekonstruiert werden können.

      Das Programm eines solchen Konzertes – es fand in Triest am 15. November 1824 statt – sah beispielsweise wie folgt aus:

      Erster Teil

      Vorspiel für großes Orchester.

      Kavatine aus La gazza ladra des Maestro Rossini, gesungen von Signora [Antonia] Bianchi.

      Konzert in einem Satz in E, ausgeführt von Paganini.

      Zweiter Teil

      Ouverture für volles Orchester.

      Kavatine aus Il barbiere di Siviglia des Maestro Rossini, gesungen von Signora Bianchi.

      Rezitativ und drei bekannte Arien mit Variationen einzig auf der vierten Saite der Violine, ausgeführt von Paganini.

      Dritter Teil

      Lebhafte Symphonie für volles Orchester.

      Kavatine mit Echo aus La pietra del paragone des Maestro Rossini, gesungen von Signora Bianchi und ausgeführt von Paganini.

      Sonate für großes Orchester.

      Larghetto und kleine Polonaise mit Variationen, ausgeführt von Paganini.

      Zwar kann man rekonstruieren, dass es sich beim Programmpunkt 3 um Paganinis Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 handelte, von dem er oft nur den ersten Satz spielte, doch sind Autoren und Werke der Programmpunkte 1, 4, 6, 7, 9 und 10 nicht eruierbar. Da von der Presse schon den Programminformationen so geringe Bedeutung zugemessen wurde, kann man sich unschwer vorstellen, dass sich Zeitungsleser wohl oder übel mit Berichten wie dem folgenden zufriedengaben:

      Die Violine Paganinis, die über die Menschen solch eine magische Macht ausübt, hat keine Gewalt über das Wetter, das den ganzen Tag und besonders gestern sehr schlecht war. Aber was macht das schon! Das Verlangen, ihn zu hören, war so stark, dass trotz des strömenden Regens der Zulauf gewaltig war; wunderschöne Damen schmückten alle Logen; und bereits lange bevor es beginnen sollte, blieb im Parkett kein Platz mehr frei. Paganini erschien. Seine ersten Töne erregten Bewunderung und Erstaunen, auf diese folgte Begeisterung, und der Saal hallte wider vom Beifall.[14]

      Was hätte man über Paganini Spielweise, seine Phrasierungen, seine Griff- und Bogentechnik sowie seine Scordatura-Tricks nicht alles berichten können, wären kompetente Kritiker am Werk gewesen!

      Wie sehr sich das Kritikerwesen im Italien des 19. Jahrhunderts im großen und ganzen durch Inkompetenz disqualifizierte, wurde auch von italienischer Seite beklagt:

      Es ist wenig bekannt, dass trotz all diesem Elend auf dem Gebiet der Kritik [in Italien] die Musik Verdis im vergangenen Jahrhundert doch auch von einem bedeutenden Kritiker – allerdings nicht in Italien – beurteilt wurde, nämlich Eduard Hanslick, dem Autor jener kleinen Abhandlung Vom Musikalisch-Schönen, die der bekannteste Beitrag ist, den die Musik[kritik] zur Ästhetik geleistet hat, jenem unversöhnlichen Gegner der Kunst Wagners, dem Paladin der Brahms’schen Klassik [...].[15]

      Diesem Text des Musikwissenschafters, Kritikers und Verdi-Kenners Massimo Mila (Turin 1910-1988), den er 1951 anlässlich der Gedenkfeiern zu Verdis 50. Todestag verfasste und der zu Eduard Hanslick überleitet, ist zu entnehmen, dass selbst anerkannte Experten zu Mitte des 20. Jahrhunderts über die Inhalte von Hanslicks Beurteilungen von Verdis Opern nicht informiert waren. Mila dürfte nur Hanslicks erwähntes Büchlein gekannt haben, nicht aber all das, was im folgenden an Äusserungen Hanslicks über Verdi wiedergegeben wird, sonst hätte er sich ganz anders geäussert.

      INTERNATIONALE KRITIKER IM 19. JAHRHUNDERT

      Im 19. Jahrhundert – als die Werk- und noch nicht die Interpretationskritik im Zentrum des Interesses der Kritik stand – verfassten musikalisch hochqualifizierte Kritiker wie Robert Schumann, E.T.A. Hoffmann oder Hugo Wolf im deutschsprachigen Raum, Hector Berlioz, François-Joseph Fétis oder Claude Debussy in Frankreich, Pjotr Iljitsch Tschaikowski oder Alexander Nikolajewitsch Serow in Russland, Filippo Filippi oder Abramo Basevi in Italien, aber auch brillante Nicht-Musiker wie Friedrich Nietzsche oder George Bernard Shaw kluge Musikanalysen und -kritiken, die vorwiegend in der einschlägigen Fachliteratur erschienen. Es entstanden auf Musik spezialisierte Publikationen wie die Allgemeine musikalische Zeitung und die Neue Zeitschrift für Musik sowie zahllose musiktheoretische Schriften, die bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt haben.

      Da es im 19. Jahrhundert noch keine Tonaufnahmen gab, die Rezensenten zu Hörvergleichen heranziehen hätten können, war es unerlässlich, dass die Vertreter der Kritikerzunft sowohl etwas von Harmonielehre, Kontrapunkt und Formenlehre verstehen als auch das Partiturlesen sowie ein Instrument so weit beherrschen mussten, dass sie sich ein eigenes Bild von den zu rezensierenden Kompositionen machen konnten. Daneben war eine sehr gute Allgemeinbildung abseits des Musikwesens Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit.

      Da so mancher Kritiker beim Verfassen von Kritiken dennoch mehr von seinen persönlichen Vorlieben als von objektiven Beurteilungskriterien ausging, brachte der bedeutende amerikanische Musikkritiker William James Henderson (1855-1937), ein Absolvent der Princeton University, wo er nicht nur Musiktheorie, sondern auch Gesang studiert hatte, die Anforderungen an einen professionellen Kritiker, der über Interpretation und Gesang schreibt, unmissverständlich auf den Punkt:

      If it is out of tune, it makes no difference who ‚thinks‘ that he thinks it is not. The only question is, ‚Can you hear it or can’t you?‘ Whether an orchestra is out of tune, whether it is out of balance, whether its tone is coarse and vulgar, whether the men are playing with precision and accuracy, whether the strings are poor or the brass blatant are not matters of opinion

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