Jenseits des Himalaya. Murdo MacDonald-Bayne
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Wahrheit
das, was von Augenblick zu Augenblick lebt. Sie muss entdeckt werden, nicht bloß geglaubt, sie kann nicht berechnet bzw. im Geiste formuliert werden.
Lebendig zu sein, das ist die
Wahrheit;
zu wissen, dass du das
Leben
bist und jeden Augenblick
dessen
zu leben, das ist die
Wahrheit
. Um das zu erkennen, muss dein Geist wachsam sein, gewahr sein, samt eines Herzens voller
Liebe
und frei von allem, was falsch ist; das ist die
Wahrheit
.
Die meisten Menschen“, fuhr er fort, „wollen nicht lebendig sein; sie wollen gebettet werden, um der Welt zu entkommen, sie wollen sich den Dingen nicht stellen; wie die Kinder wollen sie sich hinter Mutters Schürzenbändern verstecken, zum Schutz vor dem Sturm – und was ist der Sturm? Ist er nicht unsere Beziehung zueinander? Wir müssen uns jener Beziehung jeden Augenblick bewusst sein. Aber wenn ich dich wie ein Stück Möbel behandle, gibt es keine Beziehung zwischen uns. Eine wahre Beziehung gibt es nur, wenn wir uns selbst verstehen; nur dann kann es Freiheit geben und in der Freiheit allein wird die
Wahrheit
offenbart.
Wenn du mich liebst und einen anderen hasst, kannst du“, fragte er, „dann behaupten die
Wahrheit
zu kennen? Wenn du nett zu mir bist und lieblos zu einem anderen, kannst du dann sagen, dass du eine nette Person bist? Ist das nicht der Gipfel des Widerspruchs?“
Ich sagte ihm: „So habe ich das noch nie gesehen.“
„Nein, mein Sohn“, sagte er, „das kommt daher, dass du dich nicht verstanden hast, weder deine Gedanken, Beweggründe, Gefühle und Begierden noch woher und wie sie aufstiegen.
Wenn du all die Dinge des Ichs loswirst, nur dann ist die
Wahrheit
zu erkennen. Es sind allein diese falschen Dinge, welche die
Wahrheit
daran hindern in dir zu gedeihen. Wenn dein Handeln im Widerspruch zur
Wahrheit
steht, wie kannst du die
Wahrheit
für dich beanspruchen?
So gesehen“, fuhr er fort, „kannst du nicht jenem, was jenseits deines Begreifens liegt, Ausdruck verleihen, wenn du durch deine Erfahrungen beeinflusst bist, durch das, was sich in deinem Geist befindet; du wirst nur dem Ausdruck verleihen, was sich darin befindet. Was deinem Geist entspringt, ist nicht die
Wahrheit
. Wenn deine Handlungen bloß deinen Erfahrungen entstammen, dann befindet sich die
Wahrheit
nicht in dir. Aber wenn deine Handlungen der Liebe zu deinem Nächsten wie zu dir selbst entspringen, wirst du der
Wahrheit
Ausdruck verleihen.
Denkst du, dass ich dich schelte, mein Sohn?“, fragte er sanft… „Weit gefehlt, weil meine Liebe für dich größer ist als für mich selbst. Du kannst jetzt erkennen, dass die
Wahrheit
, die du kennst, auf dem beruht, was du gesehen, gehört oder gelesen hast, und sie deshalb oberflächlich sein muss. Zur Entdeckung der
Wahrheit
musst du dein Denken durchleuchten, um zu erkennen, was falsch ist, und alles, was du in deinem Geist für die
Wahrheit
hältst, ist nicht die
Wahrheit
. Du bist nur ein bloßes Grammophon, das die Scheiben wechselt. Du musst der Musiker und die Musik zugleich werden, nicht bloß einem anderen zuhören. Deswegen, mein Sohn“, sagte er, „musst du die Schöpfungen des Geistes in der Reaktion auf andere verstehen, auf äußere Dinge. Du musst die Falschheit dieser Schöpfungen erkennen, denn sie sind bloß Asche, nicht die
lebendige Wahrheit
, die weder zerstört noch verdreht werden kann, weil
sie
nicht durch das Denken zusammengesetzt wird.“
Nachdem er das gesagt hatte, blieb er still – und auch ich war still… Ja, mein Denken hatte sich in jenem kurzen Zeitraum einem Wandel unterzogen. Was ich gelernt hatte, war in den Hintergrund getreten und die
Wirklichkeit
trat nach vorn. Es war ein eigenartiges Gefühl, ähnlich dem, das ich zuvor hatte, aber es war stärker, eine Stille, die tiefer war; in einem Blitz schien sich alles aufzulösen, was ich von der
Wahrheit
gelesen oder gehört hatte. In jener tiefen Stille erkannte ich etwas, ohne zu wissen, was es war, aber in einer größeren Tiefe als jemals zuvor erkannte ich, dass ich die
Wahrheit
war, dass ich
jetzt
die
lebendige Wahrheit
war und nichts weder
sie
noch mich zerstören konnte, dass nichts die
Wahrheit
verdrehen konnte. Sie war meine eigene