Joe & Johanna. Kristina Schwartz
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„Johanna Steinmayr hat mich ersucht ab und zu nach dem Haus zu sehen.“
„Aber sie ist tot!“
„Leider.“
„Ich bin ihre Enkelin.“
„Sie sind die Enkelin aus Wien?“
Joe war wie paralysiert.
Die Blonde starrte sie an, als versuchte sie die Wahrheit hinter Joes neutraler Fassade zu finden. „War der alte Karl gerade hier?“ Die Stimme klang nun weniger aggressiv.
„Ein alter Mann war gerade da. Er schien verwirrt, suchte immer nach der früheren Besitzerin der Mühle. Sagte immer, Karl, sie ist nicht hier, sie ist nicht hier.“
„Er hat Sie doch nicht erschreckt?“ Die Großgewachsene lächelte.
„Um ehrlich zu sein ...“, Joe räusperte sich und hoffte, dass es nicht zu sehr nach Verlegenheit klang, „... ja.“
„Den dürfen Sie nicht ernst nehmen, das ist ein armer Spinner. Er läuft ständig durch den Ort, sucht Freunde und Bekannte von sich, die schon lange nicht mehr leben. Der ist harmlos. Könnte nicht einmal eine Ameise verletzen – zumindest nicht absichtlich.“
Joe betrachtete ihr Gegenüber skeptisch.
„Ich bin Sandra“, sagte die junge Frau.
„Joe“, sagte Joe und streckte ihr ihre schmale Hand entgegen. „Ich denke, ich habe für heute genug gesehen.“ Sie versperrte die Tür und ließ den Schlüsselbund in ihrer Handtasche verschwinden.
„Was jetzt?“, fragte Sandra neugierig.
Joe schätzte sie auf Mitte bis Ende zwanzig, höchstens dreißig. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie unter ihrer Sportjacke einen kurzen Rock trug, dessen Schüchternheit es ihm nicht gestattete, mehr als zwei Fingerbreit unter dieser hervorzulugen. Die blickdichten Strümpfe und die Stiefeletten mit den halsbrecherischen Absätzen ließen ihre Beine noch länger erscheinen.
„Ich weiß nicht. Ich würde jetzt gerne etwas essen und vielleicht, auf die ...“ Aufregung wollte sie schon beinahe sagen, „... neuen Eindrücke hin, ein kleines Bier trinken. Gibt es noch das Beisl, die Schenke – oder wie sagt man hier dazu – an der Dorfstraße?“ Es war wohl die Wienerin in ihr, die fürchtete, dass, sobald sie die Grenzen der Großstadt hinter sich gelassen hatte, sie in der Provinz den elementarsten Kräften der Natur ausgeliefert war und auf jegliche Art von Infrastruktur verzichten musste.
Sandra sah sie erstaunt an, als wäre sie gerade von einem Südafrikaner nach dem Weg zum Nordpol gefragt worden. „Ja, wir haben einen Wirten direkt an der Hauptstraße. Bei dem kann man sogar ganz anständig essen, wenn man nicht einen durch eine Drei-Hauben-Küche verdorbenen Geschmackssinn hat.“
Joe, vielleicht solltest du einmal etwas an deinen Vorurteilen gegenüber den hinterwäldlerischen Ureinwohnern hier arbeiten. „Hätten Sie Lust, mich zu begleiten?“ Die wird sich jetzt sicher denken, die feine Stadt-Tussi traut sich nicht alleine ins Dorfwirtshaus zu gehen.
Traut sie sich auch nicht, hörte sie eine Stimme tief in ihr.
„Glauben Sie mir. Die Gastronomie hier ist wirklich sicher. Wir verprügeln keine Großstädter – nicht einmal Wiener. Okay, ich will nicht übertreiben“, dabei fuhr sie mit schlanken Fingern durch ihr schulterlanges Haar, „sagen wir sehr selten, wenn grad keine Grazer oder Salzburger verfügbar sind. Die letzte Vergewaltigung …“
Joes Pupillen waren starr und angstgeweitet, als sie das Wort vernahm. Woher wusste diese Frau ...
„… liegt, wenn ich die Russen, die während des Kriegs hier gewütet haben, einmal ausnehme, schon eine Weile zurück.“ Sandras Miene war todernst. Erst Sekunden später zeigte sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht.
„Dann bin ich ja beruhigt.“ Joe kämpfte dagegen an, sich ihre Erleichterung anmerken zu lassen. „Ich würde mich trotzdem freuen, wenn Sie mich begleiten, Sandra. Vielleicht können Sie mir auch erzählen, was sich in den letzten zehn, zwölf Jahren hier getan hat.“ Sie standen mittlerweile bei Joes Smart, der unter den riesigen Bäumen wie ein Matchbox-Auto aussah. Joe kramte in ihrer Tasche. Ein Lippenstift, eine Packung Papiertaschentücher, ein Ziehharmonika-Faltkalender, ein unscheinbares Fläschchen … Sie wandte Sandra den Rücken zu, warf den Kopf in den Nacken und träufelte fünf Tropfen auf ihre Zunge. Doch selbst das Elixier brachte den Wagenschlüssel nicht zum Vorschein.
„Den brauchen Sie nicht. Wir können die paar Schritte auch zu Fuß gehen. Der Wirt ist ja nicht weit.“
Müde und doch aufgekratzt ließ sie sich an jenem Abend auf ihr Sofa fallen. Zuvor hatte sie sich noch ein Glas Chardonnay eingeschenkt, das sie angenehm kühl an ihre pulsierende Schläfe hielt. Was Sandra ihr alles erzählt hatte, war sie nicht in der Lage gewesen in der kurzen Zeit aufzunehmen, geschweige denn zu verarbeiten. Ihr Schädel drohte zu platzen. Sie nahm einen Schluck und verteilte die Flüssigkeit in der Mundhöhle. Gedanken wirbelten wie bunt durcheinandergeworfene Wäsche im hochtourigen Schleudergang durch ihren Kopf. Wäre es für sie vorstellbar, ihr bisheriges Leben aufzugeben? Aus der Stadt, der sicheren Großstadt, wegzuziehen? Zu den Wilden, die vermutlich noch vor zwanzig Jahren mit Großstädtern ihre Nahrungsmittelvorräte ergänzt hatten. Joe!, ermahnte sie sich, lass den Quatsch! Das Heimatbuch war auch nicht allwissend. Sollte sie in diesem winzigen Nest jeden ersparten Cent in die Renovierung der alten Mühle stecken? Was, wenn es ihr dann dort draußen nicht gefiel? Was, wenn das Pendeln vier Mal die Woche nach Jedlersdorf, in ihre Ordination, ihr das Leben zur Qual machte? Was, wenn ... Joe! Schluss jetzt! Verdammt noch mal! Sie lief zum Kühlschrank, um aus dem Kellerfach noch Wein nachzuschenken. Auf dem Weg zum Sofa durchwühlte sie ihre Handtasche und entnahm dieser, nach längerem Suchen, einen haselnussgroßen Stein. Sich in die Polster kuschelnd, streckte sie ihre Beine und legte den Stein auf die Innenseite ihres linken Handgelenks. Dort wo sie den Puls fühlen konnte. Sie ergab sich ihren Gedanken, während sie in immer kürzer werdenden Abständen von ihrem Wein nippte.
Die einschläfernde Melodie des Klingeltons ihres Mobiltelefons wurde ständig lauter. Sie hatte schon die maximal mögliche Lautstärke erreicht, als Joe realisierte, dass sie gemeint sein könnte.
„Ja, bitte?“
„Was heißt da, ja bitte? – Ich bin es, Robert“, krächzte der Lautsprecher, darum bemüht, eine männliche Stimme zu imitieren.
„Wer? – Ach Robert, du bist’s.“ Sie fühlte ein Kribbeln in den Eingeweiden und presste ihre Beine fest aneinander.
„Ich habe schon den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen. Wo warst du denn?“ Seine Stimme klang frustriert und irgendwie langweilig.
„Ist eine lange Geschichte. Ich erzähl sie dir ein andermal. Hast du heute Abend noch Lust auf einen Schlummertrunk vorbeizukommen?“ Also wirklich! Sie war entsetzt, mit welchem Ernst sie etwas sagen konnte, das sie nicht einmal ansatzweise ernst meinte. Natürlich wollte sie, dass er vorbeikäme, aber doch nicht wegen eines Drinks. Hättest du Lust heute Abend auf schnellen Sex vorbeizukommen, würde auch blöd klingen, oder? Joe, lass den Mist!
„Irgendwie … es geht sich heute nicht mehr aus“, klang die Stimme aus dem Telefon. „Vielleicht ein andermal.“
Sie beendete das