Das Steckenpferd des alten Derrick. Edgar Wallace

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Das Steckenpferd des alten Derrick - Edgar Wallace

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und ich sind Studienfreunde, Mr. Derrick«, sagte er. »Sie sehen in ihm ein Schulbeispiel, wie tief ein Mensch sinken kann. Polizist zu werden! Ist das nicht schrecklich?«

      Derrick schien, durchaus keine Lust zu haben, auf den scherzenden Ton einzugehen.

      »Eigentlich merkwürdig«, richtete er seine Worte weiter an Dick, »daß wir uns heute Abend hier kennenlernen. Vor wenigen Tagen erst fiel während einer Unterhaltung mit einem Freund auch Ihr Name. Wir unterhielten uns über den berühmten Mord von Slough, dessen Sie sich wohl kaum werden erinnern können, Mr. Staines. Ich hielt mich damals gerade in Südafrika auf, und Zeitungen erreichten mich nur in unregelmäßigen Zeitabständen. Der Mann, der den Kassierer der Textilgesellschaft von Slough am hellichten Tage auf offener Straße erschoß und beraubte, wurde, wie mein Freund behauptete, niemals ergriffen, während ich gegenteiliger Ansicht war. Ich glaubte, in der Zeitung gelesen zu haben, daß er verurteilt und hingerichtet worden ist. Der Fall liegt etwa zehn Jahre zurück.«

      »Ja, am selben Tag, als ich zur Polizei kam, ereignete sich das Verbrechen«, gab Dick zurück. »Nein, Mr. Derrick, den Täter hat man noch nicht. Allerlei Spuren, ja; aber ihn selbst, nein.«

      »Hatte man nicht auf dem Revolverlauf, mit dem der arme Kassierer niedergeschossen worden war, den Abdruck eines Daumens gefunden? Nicht wahr, so war es? Ich erinnere mich jetzt wieder an die Einzelheiten. Ich war mir nur nicht ganz klar, ob man den Täter ergriffen hatte oder nicht.«

      »Das Schlusskapitel dieses brutalen Verbrechens ist noch lange nicht geschrieben«, meinte Dick.

      »Das heißt also, daß ich meine Wette verloren habe«, stellte Derrick nachdenklich fest. »Ich hätte schwören mögen, daß ich im Recht war. Mag sein, ich habe diesen Fall mit einem andern verwechselt. Sie wundern sich, warum ich mich für derartige Fälle so interessiere? Nun, ich sagte Ihnen ja schon, daß ich dieses Interesse wohl von meinem Vater geerbt haben muß; er war ja, wie Sie vielleicht wissen werden, der Besitzer einer der komplettesten Fingerabdrucksammlungen der ganzen Welt. Er war nämlich sein ganzes Leben lang der Meinung, daß die Theorie, wonach es keine zwei sich völlig gleichenden Fingerabdrücke gäbe, falsch sei. Er stützte sich darauf, daß ja die Polizei nur die Abdrücke derjenigen Leute habe, die einmal mit ihr in unangenehme Berührung gekommen waren. Die Millionen anderen – und das ist die Mehrzahl –, die ihr Dasein verbringen und beenden, ohne jemals mit der Polizei in Konflikt gekommen zu sein, hätte man bei dem jetzt üblichen Verfahren überhaupt nicht erfassen können. Mein Vater bestach Fabrikwerkmeister, Geschäftsführer und auch Arbeiter, ihm die Fingerabdrücke ihrer Kollegen zu liefern, die er dann sorgfältig registrierte. Als er endlich durch den Tod seine Aufgabe unerfüllt lassen mußte, fiel die ganze Sammlung als Erbschaft mir zu.«

      »Vielleicht war es sogar die Enttäuschung, die Berechtigung seiner Theorie nicht nachweisen zu können, die Ihren Vater so frühzeitig ins Grab gebracht hat?« meinte Dick.

      »Ich weiß ja nicht einmal, ob er nicht doch erfolgreich war, Mr. Staines«, gab der Sohn zurück. »Vielleicht steckte doch ein Körnchen Wahrheit in seiner Auffassung, und es gibt tatsächlich vollkommen gleiche Abdrücke verschiedener Herkunft. Die Polizei würde jedenfalls kaum behaupten können, daß dem nicht so sei, denn sie hat ja nur einen minimalen Bruchteil der Fingerabdrücke aller Menschen im Besitz.«

      »Nun, setzen Sie die Nachforschungen Ihres Vaters fort?« wollte Dick wissen.

      »Ich werde mich schwer hüten«, lachte Derrick. »Ich habe andere Sorgen. Die ganze Sammlung, so wie ich sie fand, verbrannte ich. Die Polizei wollte sie ja nicht haben.«

      Die Unterhaltung wandte sich den Jagdabenteuern Tommys zu, und aus dem Verlauf des Gesprächs schöpfte Staines die Gewissheit, daß Walter Derrick die Gegend um den Tanganjika-See sehr genau aus eigener Anschauung kennen müsse. Endlich erhob sich Derrick.

      »Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste«, sagte er. »Ich bin gewohnt, früh ins Bett zu gehen. ›Zeitig ins Bett und zeitig heraus‹ – das ist mein Wahlspruch.« Er verabschiedete sich, und Tommy blickte ihm nach.

      »Einen Humor hat der Mann, der nicht mit Gold aufzuwiegen ist«, meinte er. »Ich erzählte ihm vor einigen Tagen den Witz, der mir auf ...«

      »Wenn du jetzt etwa beabsichtigen solltest, den Witz aufzuwärmen, den man dir auf der Fahrt nach Beira erzählt hat, dann wirst du mein Leben auf dem Gewissen haben«, unterbrach ihn Dick. »Noch einmal würde ich einen derartigen Kalauer nicht überstehen können.« Er erhob sich: »Gute Nacht, geliebter Lord, träume süß.«

      Am nächsten Morgen blühte dem mutigen Dick das Glück, der jungen Krankenpflegerin einen kleinen Dienst leisten zu können. Der alte Krankenstuhlführer bemühte sich auf der Promenade vergebens, den schweren Stuhl mit dem Kranken über eine kleine Anhöhe hinaufzuschieben, und auch die schwachen Kräfte Miss Danes reichten dazu nicht aus. Den Muskeln Staines' war die Arbeit ein Kinderspiel, und nach wenigen Augenblicken befand sich mit seiner Hilfe der Krankenstuhl auf der Höhe des kleinen Hügels. Miss Dane lächelte ihm dankbar zu, und Dick bemerkte nicht, wie er bei seiner hastigen Verbeugung einen goldenen Füllbleistift, ein Geschenk Lord Tommys, verlor. Die Kappe des Stiftes bestand aus siegellackrotem Kautschuk, wodurch das Geschenk eine individuelle Note bekam.

      Dick setzte seinen Spaziergang fort. Kurz vor ein Uhr saß er auf dem Promenadengeländer und ließ das lebhafte Treiben auf dem Strandweg an sich vorüberziehen. Plötzlich fesselte eine Szene seine Aufmerksamkeit, und er sprang blitzschnell auf.

      Die Straße entlang brauste ein knallgelber Rolls Royce und wollte eben um die Ecke biegen, als vor dem Wagen plötzlich der von Miss Dane und dem Fahrer begleitete Krankenfahrstuhl auftauchte, in dem Mr. Cornfort weltvergessen schlummerte. Im letzten Augenblick noch gelang es dem Insassen des Wagens, Mr. Derrick, zu bremsen, aber von der Eigengeschwindigkeit des Fahrzeugs getrieben, stellte sich das schwere Auto quer über die Straße. Dick hatte den drohenden Zusammenstoß vorausgesehen und war an die Stelle geeilt, wo er sich nun dem erschrockenen Mädchen widmete. Im Nu hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, und während ein Verkehrspolizist dem schuldigen Fahrer eine Standpredigt hielt, sprach Staines die glücklich der Gefahr entronnene Miss Dane an.

      »Sie sind sehr leichtsinnig, meine Dame«, sagte er. »Wenn es jetzt nach Recht und Gesetz zugegangen wäre, müßten Sie eigentlich in den Gefilden der Seligen weilen.«

      Miss Dane lächelte dem Ritter von heute morgen, den sie sofort wiedererkannt zu haben schien, verschmitzt zu.

      »War das nicht zum Schießen?« fragte sie.

      »Sie scheinen einen stark entwickelten Sinn für Humor zu haben, wenn Sie der Gefahr, der Sie eben mit Gottes und der Bremse Hilfe entronnen sind, etwas Lachhaftes abzugewinnen vermögen.«

      Das Mädchen schien nicht gehört zu haben, denn sie antwortete nicht. Aufmerksam starrte sie auf den Schuldigen, der sich eben der Fragen des Polizisten zu erwehren versuchte.

      »Ist das nicht Mr. Derrick?« wandte sie sich fragend an Dick. »Natürlich, ich erkenne ihn; seinen gelben Wagen habe ich schon oft vor dem Metropol stehen sehen. Wohnen Sie auch dort?«

      »Ja, aber nur als Gast eines Freundes«, erwiderte er. »Aus eigenen Mitteln vermag ich leider nicht, mir ein derartig teures Hotel zu leisten.«

      »Wie und warum Sie dort wohnen, ist ja ganz gleich: Die Hauptsache ist, daß Sie etwas vom Leben haben«, meinte das Mädchen. Sie verabschiedete sich freundlich lächelnd von Dick und setzte mit dem Krankenfahrstuhl den unterbrochenen Weg fort.

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