Was einem so auffällt. Hanns van Kann
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„Ach, die in Bochum gibt es nicht mehr? Das kann doch nicht sein. Entschuldigen Sie. Aber so sind die Zeiten heute. Sie wissen ja, Globalisierung, Euro, Teilzeit. Auf nichts ist mehr Verlaß. Ich melde mich wieder,“ sagt er und legt auf. Hoffentlich, denke ich. Er tut’s, tatsächlich und nennt mir einen freundlichen Herrn, der angeblich in der Lage sein soll, einen passenden Schlauch zu schicken. Per Nachnahme. Er ist noch nicht eingetroffen. Es sind ja auch erst acht Tage vergangen seit dem letzten Auflegen. Ich weiß nicht, ob er noch kommt.
Wenn man verzweifelt ist und Hilfe dringend braucht, dann hat man das Bedürfnis, sich anderen anzuvertrauen. Man redet über seinen Kummer und tauscht Erfahrungen mit Nachbarn und Freunden. “Ruf doch mal unseren Sanitärklempner hier im Ort an, der kann vielleicht helfen.“ „Der, ausgerechnet der soll das können, was Frau Dr. Müller-Lauenberger und ihr gesamtes Fachteam bis hin ins ferne Nordrhein-Westfalen nicht vermag? Aber warum nicht, versuchen kann man es ja mal.“ Wir kennen doch unseren Sanitärspezialisten! Da muß schon ein Rohrbruch gemeldet werden, um ihn schnell aus seinem in unser Haus zu kriegen. Diesmal aber ging’s flotter. Nach mehrmaligen Umschaltungen mit dezenter Wartemusik und mehrmaligen Erklärungen unseres Schlauchproblems nahm sich der Chef energisch der Sache an. Vielleicht reizte ihn diese technische Schlauchmontage. Er entsandte Herrn Meier, ja, schlicht Meier, zur Ortsbesichtigung. “Oh“, sagte der, „das ist ein Problem, nicht einfach. Oder warten Sie mal, ich hab’s, schneiden wir doch einfach das schadhafte Schlauchstück heraus und fügen die beiden Enden zusammen. Lang genug ist der Schlauch ja.“
Ist Ihnen so etwas auch schon einmal passiert? Haben Sie solche Erfahrungen auch schon gemacht? Man fährt weit ins Land, in die nächste Stadt vielleicht, um etwas zu erstehen, was es mit Sicherheit im engen Umkreis nicht geben kann. Es gibt’s eben nicht, Punktum. Und fährt und fährt weite Strecken, versucht es hier und da - und dann, dann bleibt man in unserer Nebenstraße vor einem kleinen Schaufenster stehen und der Blick fällt genau auf das lang Gesuchte. Denken Sie doch nur an Ihre letzte Operation, so Sie eine solche hinter sich haben sollten - was Gott verhüte. In welchem Krankenhaus sind Sie gelandet? In dem etwa, das Sie von Ihrer Wohnung aus sehen und gut erreichen können? Nein, beileibe nicht - weit weg sind Sie gefahren, weil Ihnen das Naheliegende doch zu simpel erschien.
Der Whirlpool funktioniert wieder. Mit Hilfe unseres Sanitärklempners, hier nebenan, nur zwei Häuser weiter.
Handy
Herr N., Sie werden ihn nicht kennen, lehnt es ab, sich ein Handy anzuschaffen. Er brauche solch ein neumodisches Ding nicht, sagt er. Bisher habe er es problemlos geschafft, ohne ein Handy durch die Welt zu kommen, immerhin mit achtzig. Und dabei solle es auch bleiben, meint Herr N. Ihn umzustimmen, gerade ihn mit seinen immerhin achtzig von den Vorzügen dieser technischen Errungenschaft zu überzeugen, gelingt uns nicht. Herr N. will ganz einfach nicht und damit basta.
Herr D., auch ihn werden Sie nicht kennen, wohnt in einer Urbanisation. Stellen Sie sich eine Anhäufung von Häusern vor, die ein sich so nennender Erschließer oder Immobilienmakler auf ein großes kahles Gelände gesetzt hat. Er gestaltet einen Swimmingpool, pflanzt Palmen, Olivenbäume und Oleander, spricht von traumhaftem Fernblick und verkauft die Eigenheime dann für viel Geld als Finkas. Zur Sicherheit der Eigentümer ist eine solche Urbanisation dann von einer Mauer oder einem festen Zaun umgeben. Ein Tor, meist steht es offen, gestattet den Zugang.
Als ich Herrn D. besuche, ist es verschlossen. Ich suche auf dem Klingeltableau mit 36 Knöpfen nach dem Namen unseres Freundes. Den finde ich nicht, nur Nummern. Von eins bis sechsunddreißig, denn es ist eine gehobene Wohnanlage, deren Bewohner anonym bleiben wollen, aus Sicherheit, sagen sie. Nur, welche der Nummern ist nun die richtige?
Ich versuche es mit einer Klingel. Ohne Erfolg. Versuche es mit dem zweiten Knopf, dem dritten, vierten - über die Sprechanlage meldet sich keiner. Bei meinem 10. Versuch sagt mir eine liebe Kinderstimme, die Mammi habe verboten, die Tür für fremde Männer aufzumachen. Es geschieht auch nichts, trotz meines inständigen Bittens. Das gehorsame Kind hat lediglich vergessen, den Hörer aufzulegen - also sind alle weiteren Klingelversuche vergebens.
„Aber wozu gibt es ein Handy?“ sage ich so vor mich hin. „Welch großartige Erfindung doch für solche Notfälle.“ Problemlos kann sie mir wenigstens das Tor öffnen ..., vorausgesetzt, die Telefonnummer unseres Freundes D. ist gespeichert. Sie ist es nicht (inzwischen wohl). Ich suche im Speicher unsere häusliche Telefonnummer unter unserem Namen und drücke den Knopf mit dem grünen Symbol. Mit klarer, mir wohlvertrauten Stimme meldet sich unverhofft die Schwiegermutter unseres Sohnes, die in der Frankfurter Wohnung gerade nach dem Rechten sieht. Ich muß wohl auf den falschen Knopf gedrückt haben. Aber sie freut sich über den unerwarteten Anruf und will nun sofort wissen, wie es denn so geht, wie ich mich fühle, wie so das Wetter hier ist - in Frankfurt sei es lausig kalt und von Mallorca habe man ja auch Schreckliches gehört usw. Höflich beende ich das Gespräch und wähle erneut, diesmal richtig. Meine liebe Frau ist dran. „Frage jetzt nichts. Ruf einfach den D. an und bitte ihn, mir das vermaledeite Tor zu öffnen.“ Nach einigen Minuten des Wartens wird mir tatsächlich aufgetan. Fröhlich kommt mir unser Freund D. entgegen. Er habe sich schon solche Sorgen gemacht, wo ich nur bleibe! Wie freut man sich über solche Anteilnahme und wie haben wir uns über das Wiedersehen gefreut.
Aber warum erzählt er uns das nur? werden Sie fragen. Was interessiert es uns, wie der in ein Haus kommt. Sie werden es bald erfahren. Dazu müssen wir wieder zurück zu unserem Herrn N., na, Sie wissen es noch: Das ist doch der, den ich Ihnen eingangs bereits vorstellte. Wie wäre der wohl ins Haus gekommen? Wie hätte der das geschafft, ohne Handy? Wäre er über die Mauer geklettert? Nein, Herr N, ist nicht mehr so sportlich, zumal in seinem Alter. Hätte er gewartet, bis jemand das Tor von innen öffnet? Auch nein, denn alle Bewohner gehen tagsüber außerhalb ihrem Broterwerb nach, wie mir unser Freund D. zur Erklärung sagte. Oder hätte er gar um Hilfe gerufen, wie neulich, bei einem Waldspaziergang, der sich unbeabsichtigt bis in die Dunkelheit hinzog? Er stolperte auf einem abschüssigen, steinigen Weg und verstauchte sich den Fuß. Keiner hörte seine verzweifelten Hilferufe. Mit Mühen konnte er sich zurück in sein Haus schleppen.
Herr N., heute geht es ihm zum Glück wieder gut, zieht gerade in Erwägung, sich doch solch ein neumodisches Ding anzuschaffen.
Pinökelchen
Sagen Sie mal ehrlich. Das ist Ihnen doch auch schon passiert. Sie gehen gedankenverloren, oder auch gedankenvoll durch Ihre Wohnung und finden auf dem Teppich oder in einer Ecke ein von jedem Staubsauger mißachtetes winziges Schräubchen oder eine kleine Lochscheibe, ein Stück gebogenen Drahtes. Es kann auch eine klitzekleines, irrwitzig gekrümmtes Teilchen aus Plastik, aus Metall oder Holz sein, kurzum ein Gegenständchen undefinierbarer Herkunft. Meine liebe Frau nennt so etwas ein Pinökelchen. Sie hat es von ihrer Mutter. Und ich habe diesen ungemein treffenden Ausdruck nur zu gern von beiden übernommen.
So steht man nun da und dreht und wendet dieses Pinökelchen hin und her und fragt sich, wo es wohl fehlen, wozu es wohl bestimmt sein mag. Wo in der Wohnung ist der Gegenstand, zu dessen Funktionstüchtigkeit das Pinökelchen