Was einem so auffällt. Hanns van Kann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Was einem so auffällt - Hanns van Kann страница 6
Es wäre dazu noch viel zu sagen, aber ich will nicht noch weiter abschweifen. Ich wollte Ihnen doch über die Erfahrungen beim Anstehen um einen Konzertplatz berichten. Aus uns unerfindlichen Gründen werden die Tore der Patios erst kurz vor Beginn der Veranstaltungen geöffnet. Jedem wird einleuchten, daß die Reihe der Einlaß heischenden Konzertfreunde immer länger wird, zumal kein Eintrittsgeld zu bezahlen ist. Wer nicht bei den ersten Anstehenden ist, den – nein, den bestraft nicht etwa das Leben, soweit will ich nicht gehen – aber der hat später beim Kampf um eine guten Sitzplatz das Nachsehen. Denken Sie an das Paganini-Konzert mit Smerald Spahiu. Da es dort noch keine Ticketautomaten gibt, bedeutet das, sich eine Stunde vorher anzustellen und auszuharren. Man sieht sich um, sieht dabei dies, sieht das und man sieht auch den einen oder anderen Mitbürger, wie er von ungefähr an der Schlange entlangflaniert. Einfach nur so, hin und her – meint der Unkundige, aber auch nur der. Jetzt muß man aufpassen, was passiert:
Der Auf- und Abgehende verhält, sieht rein zufällig und bemerkenswerterweise immer im vorderen Drittel der Schlange einen alten Bekannten, winkt ihm zu und schon wechseln sie über Köpfe hinweg zunächst nur einzelne mallorquinische Worte, solche, die Sie und ich nicht verstehen, die beide jedoch ungemein zu interessieren scheinen. Sie wechseln weiter, Sätze nun schon, und führen, ehe man sich`s versieht, ein anregendes Gespräch. Die Umstehenden, so Mallorquiner, folgen dem mit wachsender Aufmerksamkeit. Die anderen, Nichtmallorquiner, verständnislos, sichtlich verärgert. Da man es gewohnt ist, alles der Reihe nach zu tun, zuhören nämlich und aufpassen, übersehen die Mallorquiner gern, daß sich der Flaneur, wieder wie von ungefähr, längst in die Schlange eingereiht hat, um nun, nach herzlicher Umarmung, ein Kuß links, ein Kuß rechts, den begonnenen Meinungsaustausch zu intensivieren. Er hat seinen Platz gefunden und hält ihn, der Schlaumeier, mit der Aussicht auf einen bevorzugten Sitz im Patio aus dem 16.Jahrhdrt. Dann hätte es auch er sein können, der das heruntergewehte Notenblatt vom Boden aufhob, um unseren Geigenvirtuosen zu retten. Aber nein, es war ein Deutscher, er war schneller, einer von denen, die noch nichts von „Tranquilo“ gehört haben.
Keiner der braven hinten Stehenden, der Ausharrenden, hätte das Herz, den Eindringling zu verjagen, ihn etwa ans Ende zu verweisen. Nein, man nimmt das gelassen hin, vielleicht auch, weil man sich durch das Gespräch der beiden mallorquinischen Freunde bereichert fühlt. Sie, lieber Leser, und wir, wir fühlen uns mangels mallorquinischer Sprachkenntnisse nicht bereichert. Deshalb sind Sie selbstverständlich wie wir empört. Nur zu gut können Sie sich nun unsere deutsche Reaktion vorstellen! Können Sie unseren, wie wir meinen, berechtigten deutschen Zorn ob dieser Schlickefängerei ermessen! Wie wir aufbrausen und lautstark in unserer deutschen Sprache nach Recht und Ordnung rufen, “Hallo. Sie da vorn, stellen Sie sich gefälligst hinten an...... usw. usw.“, um denen hier mal so richtig zu zeigen, wie man sich zu verhalten hat, wie man mit solchen bei uns umzugehen pflegt!
Aber vergessen Sie es:
Erstens würde man unsere deutschen Worte und zweitens unsere Erregung nicht verstehen. Und drittens denken wir daran, was man uns Tag für Tag lehrt: „Tranquilo“, ja, „Tranquilo“ eben. Und so fügen wir uns, und sind ruhig, und nehmen‘s gelassen. Ich glaube, uns bekommt das sogar recht gut.
Marseillaise
Der Königliche Yachtclub gibt sich die Ehre, zu einem Konzertabend einzuladen. Juan José Muñoz wird auf einem 150 Jahre alten „Bösendorfer“ Flügel spielen. Ein Juwel, dieser „Bösendorfer“, den der Club für viel Geld restaurieren ließ.
Juan José Muñoz, muß man ihn kennen? Würde man ihm auf der Straße begegnen, man würde ihn nicht sonderlich beachten. Klein, stark beleibt, eine Halbglatze mit schwarzem Haarkranz, nun, viele sehen so aus in Spanien, sicher auch anderswo. Aber im Smoking, da oben auf einer Bühne im Rampenlicht, da macht er schon etwas her, der Hans Josef - und wenn er spielt, ja, wenn er erst spielt, dann spürt, nein, dann weiß man, hier ist ein Großer, der bestehen kann neben solchen wie Breda Zakötnik, Perlemuter, Alexis Weissenberg, um nur einige zu nennen, die mir gerade so einfallen und die sicher auch Ihnen seit langem ein Begriff sind.
Beifall empfängt ihn, als er trotz seiner Leibesfülle behende die zwei, drei Stufen auf das Podium hinaufeilt, sich verbeugt, dabei die Arme seitlich etwas abgestellt, wie das stark untersetzte Persönlichkeiten ja so gern tun. Er nimmt Platz, reguliert mit einigen, sicheren Handgriffen die Höhe des Klavierstuhls, reibt sich die Hände, knackt mit den Fingern, hörbar - man merkt ihm die innere Spannung an, die auch den Großen vor einem Auftritt beherrscht. Sekunden der Sammlung, den Kopf gesenkt, dann wirft er ihn zurück, entschlossen, als wolle er sich sagen „ Hans -Josef, was sein muß - muß sein. Jetzt!“ Er beginnt mit dem Spiel, mit dem Zyklus „Bilder einer Ausstellung“. Sie werden ihn kennen, den Zyklus. Von Modest Mussorgsky.
Unser virtuoser Muñoz betritt die Ausstellung, festen Schrittes promeniert er, kraftvoll die ersten Akkorde. Die Finger gleiten über die elfenbeinernen Tasten dieses großartigen Instruments, halten vor dem ersten Bild, weiter dann durchschreitet er in wechselnder Stimmung die Ausstellung, betrachtet das „Alte Kastell“, das düster auf dem Berg liegt, die Landschaft beherrschend. Und dann wieder die dem Hörer vertraute Melodie der Promenade, das Intermezzo, das die einzelnen Bilder, so unterschiedlich sie sind, harmonisch verbindet. Ruhiger dann das Spiel bei einem Rundgang durch die Tuilerien, Muñoz versteht es, die Sonne auf den Parkwegen zu spielen, die Schatten, die unter den Bäumen liegen. Er beugt sich vor, voller Spannung. Was mag das nächste Bild einer Ausstellung zeigen? Seine Hände werden leichter, spielerischer beim Tanz der Küken in der Eierschale. Wieder weiter drängt es unseren Meister, so muß man einen wohl nennen, der es grandios vermag, seine Hörer in Bann zu ziehen, sie die Bilder miterleben läßt. Großzügig läßt er uns teilhaben an seinem Weg auf den Marktplatz von Limoges, wie er das Treiben der Marktleute beobachtet, den Kopf nach links werfend, nach rechts. Wie er das Gesehene seinen Fingern mitteilt, die behend über die Tasten eilen. Dann das Bild, das die Katakomben zeigt. Er betrachtet es, ruhig, nachdenklich sein Spiel, ja fast andächtig, voller Ehrfurcht. Aber er geht weiter, die Promenade führt zum letzten Bild, sie steigert sich zu einem pompösen Finale. Energisch schiebt er den kahlen Kopf, den der schwarzen Haarkranz ziert, nach vorn: Man weiß, er hat das Tor von Kiew erreicht, stürmt hindurch, die Lippen bewegen sich, wollen den gefühlvollen Händen den Takt eingeben, schneller, noch schneller - er treibt die Hörer an, reißt sie mit sich. Einem solchen kann man sich anvertrauen! Ja. Sie spüren es, fühlen es: Hier weiß ein Mann, wo er hinwill, hier muß er durch, ja, durch dieses Tor von Kiew.............
Da! Hinter uns ertönt die Marseillaise, laut, vernehmlich, intoniert von einer Blaskapelle im Handy der Firma Nokia oder Siemens oder so ähnlich. Wir spüren, wie der hinter uns rot wird, wie ein Mensch immer kleiner wird. Alle die, die gerade noch durch das Tor von Kiew marschierten, begreifen die Marseillaise jetzt als Signal, die Marsch- bzw. die Blickrichtung zu ändern. Der Unglückliche hinter uns nestelt an seinem Gerät, findet in der dämmernden Dunkelheit des Konzertsaals den richtigen Knopf nicht, flüstert in seiner Verzweiflung mit dem Konzertunterbrecher, wodurch alles noch schlimmer wird.
Was hätten Sie wohl an seiner Stelle getan? Wenn Sie mich fragen würden: Ich hätte mich leise im Schutz der Dunkelheit zurückgezogen, hätte auf das Passieren des Tors von Kiew verzichtet, wohl wissend, daß ich eine Sternstunde versäume. Sie doch sicher auch?
Der aber nicht. Er blieb.
Aber hier, jetzt, zeigt sich die wahre Größe unseres Pianisten. Unverwandt geht er weiter,