Was einem so auffällt. Hanns van Kann
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Eines Tages, irgendwann, stellen Sie fest, da wackelt etwas. Nehmen wir z.B. die Kaffeemaschine. Der Mechanismus, der den Kaffeefilter unter den Wasserbehälter schwenkt, funktioniert nicht so wie er sollte. Ein winziger Plastikring fehlt. Ist weg, nicht mehr da. „Ich habe es doch gesagt, daß da etwas nicht in Ordnung ist. Könnte das die Ringhälfte von neulich sein?“ Im Aschenbecher ist nur eine Hälfte. Aber sie nutzt nichts, wenn es die andere Hälfte nicht mehr gibt. Und wo ist die? „Du mußt es doch noch wissen, überleg doch mal ...., du hast doch....“ - na Sie kennen ja derartige häusliche Diskussionen. „Nein, ich weiß es nicht und ich habe auch nicht und überhaupt .....“ Und unsere gute Encarna, die Fleischgewordene, für Putzarbeiten zuständig, die weiß es natürlich auch nicht. Ärgerlich.
Zum Glück gibt es in der noch schönsten Stadt am Mittelmeer eine Firma, die sich auf das Reparieren von Kaffeemaschinen spezialisiert hat. Wir finden sie, nur keinen Parkplatz. Fahren zweimal um den Block, halten im Schatten eines Müllcontainers, stellen, wie hier in solchen Fällen üblich, die Warnblinkanlage an und gehen die paar hundert Meter zu Fuß. Bringen unser Begehr vor. Gut, daß wir wenigstens die spanische, wenn schon nicht die mallorquinische Sprache rudimentär beherrschen. Unerläßlich bei solchen Unternehmungen. Ein bebilderter Katalog wird uns vorgelegt. Wir sind zutiefst beeindruckt von der Vielzahl an Einzelteilen und Gegenständchen, aus denen solch eine Kaffeemaschine besteht und hoffen, den richtigen Ring gefunden zu haben. Wer ihn aber in seinem Kaffeemaschinenersatzteillagerregal nicht findet ist der Ladeninhaber. Er will ihn bestellen und uns anrufen. Das tut er auch, zuverlässig wie Mallorquiner sind. Nach vierzehn Tagen.
Wir wiederholen unsern Anlauf, parken an dem uns vertrauten Müllcontainer, stellen die Warnblinkanlage an, laufen die paar hundert Meter und wagen es kaum zu glauben: Es ist der richtige Ring. Für sage und schreibe nur 75 centimos. Wir freuen uns. Nicht nur über den niedrigen Preis. Nein, wir freuen uns, daß es uns in der 350.000 Einwohner zählenden noch schönsten Stadt am Mittelmeer gelungen ist, den richtigen Kaffeemaschinenring, den mit einem Durchmesser von 18 mm, zu finden. Und der Kaffee schmeckt wieder.
Übrigens: Die andere Ringhälfte haben wir gefunden. Rein zufällig. Sie lag in dem Döschen, in dem andere Pinökelchen, die bei handwerklichen Arbeiten so anfallen, aufbewahrt und gehütet werden.
Oder nehmen wir die Sockelschublade in der Küche. Warum zum Teufel, sagen wir uns, läßt die sich nicht wie sonst reibungslos herausziehen? Ist doch ganz klar: Weil sich eine Mutter gelöst hat! Eine, die die Radschraube hält. Und wo ist diese Mutter? Die im Aschenbecher ist es nicht. Sie ist nicht die richtige. Die im Döschen auch nicht. Und wieder können wir von Glück sagen, daß es die Ferreteria gibt, diesen Laden, in dem man alles kaufen kann: Vom schlichten Nagel und komplizierten Haustürschloß, vom Rostlöser und Wäscheklammern stückweise bis zur Haushaltsleiter, eben alles. Auch die passende Mutter. Kostet ja nicht viel. Ist auch nur ein kleiner Fußweg von 15 Minuten, einfache Strecke.
Übrigens: Die verloren geglaubte Mutter haben wir gefunden. In der Schublade, in einer dunklen Ecke. Jetzt liegt sie mit anderen Pinökelchen im Aschenbecher.
Oder denken wir an den schönen Kugelschreiber, der zu dem Notizblock am Telefon gehört. Er steckt in einer silberfarbenen Metallhülse, die mit einer winzigen Schraube an der Blockunterlage befestigt ist. Diese winzige Schraube, eben das Pinökelchen, ist weg, nicht mehr da. Ohne sie hat die Hülse ihren Halt und damit ihren Zweck verloren. Schade, aber man muß sich auch mal von etwas trennen können. Wir tun das schweren Herzens, nicht ohne dabei an die lieben Freunde zu denken, die uns dieses praktische Set eines Tages schenkten.
Übrigens: 14 Tage später haben wir das Hülsenpinökelchen gefunden. Vergraben im Flor des Teppichfußbodens. Wir haben beschlossen, uns nicht von ihm zu trennen. Man weiß ja nicht, vielleicht läßt es sich in anderen Notfällen verwenden. Es liegt nun auch im Aschenbecher, zusammen mit einer Metallscheibe, Durchmesser 1cm, einem Plastikröhrchen, weiß, 15mm lang und einem Innendurchmesser von 2mm, einem Ansteckknopf mit Patentverschluß, einem Gummiband, einem Hemdenknopf, einer aus einem Weißblech herausgestanzten Zahl 2000, wohl noch ein Überbleibsel vom Jahrtausendwechsel und einer Mutter - na ja, Sie können es sich denken, die von der Sockelschublade.
Tranquilo
Eine schöne Wolljacke liegt im Schaufenster. Gerade richtig für diese Zeit, in der es abends schon kühler wird, man sich aber noch gern im Freien aufhalten möchte. Drinnen, in dem Lädchen für Damenmoden, beschäftigt sich gerade die Inhaberin mit einer Kundin - oder richtiger: Diese beschäftigt die Inhaberin, die ständig hin- und herläuft, um von Stangen und aus den Regalen neue Kleider zum Anprobieren zu holen. Wir grüßen artig und warten eine Weile, noch eine, bis wir versuchen, mit einer schlichten Frage, was wohl die Jacke da im Schaufenster koste, die Aufmerksamkeit der Señora zu erringen. Sie nimmt uns etwas unwillig, weil gestreßt, zur Kenntnis und verweist uns mit einem energischen „Tranquilo“, was wohl so viel bedeuten soll wie „Sie sehen doch, ich habe zu tun“ in unsere Schranken. Derart gemaßregelt zucken wir zurück und verbringen die Wartezeit damit, uns im Lädchen etwas umzusehen, das eine oder andere modische Teil aus den Fächern zu klauben, um es genauer zu betrachten. Darunter auch die schöne Wolljacke. Sie paßt, der Preis auch, wir nehmen sie unter den Arm und warten, das Geld abgezählt in der Hand. Derweil trägt unsere Señora neue Kleider herbei, noch eins, immer mehr, solche, die nicht passen, und wieder andere, die nicht gefallen. Wir warten. In einem deutschen Modelädchen hätten wir längst die Klinke in die Hand genommen, entnervt, verärgert, ohne die Jacke. Nicht so im mallorquinischen Palma. Wir warten weiter, fasziniert von solcherart Kundenbetreuung, von solcher Liebe für den Kunden und eingedenk des Hinweises „Tranquilo“.
Endlich. Die verwöhnte Kundin scheint sich nach all den Bemühungen der rührigen Inhaberin entschieden zu haben. Sie geht - aber nicht etwa zur Kasse, sondern zur Tür hinaus. Uns steht der Mund offen. Sie geht ihres Weges, einfach so. Jetzt sollen wir die ungeteilte Aufmerksamkeit und Fürsorge der freundlichen Inhaberin finden, die wir aber nach unserer Selbstbedienung nun nicht mehr in vollem Maße in Anspruch zu nehmen brauchen. Eigentlich schade, denn wo findet man heute noch solche Bedienung? Etwas mehr „Tranquilo“ unsererseits hätte uns sicher gutgetan. So zahlen wir und gehen auch – mit der Wolljacke unter dem Arm und um eine spanische Erfahrung reicher, daß „Tranquilo“ Geduld bedeutet, alles der Reihe nach, nicht hasten, nicht drängeln.
Da stand ich kürzlich in einem Drogeriemarkt in Palma an der Kasse. Zwei Tuben Zahnpasta und ein Paket Haushaltsrollen in der Hand. Die Kundin vor mir schob einen hochgefüllten Einkaufswagen vor sich her. Das erkannte ich zu spät. Ich konnte nun nicht mehr zurück, denn hinter mir baute sich gerade eine Warteschlange auf, deren Gefüge ich mit einem Ausscheren durcheinander gebracht hätte. Zwangsläufig hatte ich Zeit und Muße, mir den Einkauf meiner Vorgängerin etwas näher anzusehen. Es ist ja doch interessant, anderen gelegentlich in den Topf zu gucken, mal zu sehen, was die Leute so alles einkaufen, wofür sie ihr hart erarbeitetes Geld ausgeben. Ich traute meinen Augen kaum. War doch der Wagen hochgefüllt mit Konservendosen. Mit Katzenfutterkonserven verschiedenster Geschmacks-richtungen: 62 x Kaninchen mit Gemüse, 65 x Thunfisch mit Salm und 50 x „Seleccion de carne“, eine Fleischauswahl aus Lamm, Rind, Huhn, wie ich auf einem Etikett lesen konnte. Das mußte wohl eine besondere Delikatesse sein.
Sie werden fragen, woher weiß der so genau, wieviel Dosen von jeder Geschmacksrichtung in diesem Einkaufswagen verstaut waren? Die hübsche Kassiererin war, was Sie nicht wissen können, ein Kind dieses Landes, eine Mallorquinerin, und gewohnt, alles der Reihe nach abzuwickeln. So mußte ich, zunehmend nervöser, ihren Arbeitsrhythmus miterleben und konnte die Dosen zählen,