Die großen Schlagzeilen Ostbayerns. Mittelbayerische Zeitung
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Die Fragen nach dem „Warum“ sind bis heute in den Köpfen der Menschen. Warum musste ein 67-jähriger Rentner sterben, warum mussten acht Menschen schwere Verletzungen davontragen, warum wollte sich der Mann an ihnen rächen? Pfarrer Xavier Parambi sagt im Gespräch mit der MZ, dass man inzwischen versuche, zu vergessen. „Die Dorfbewohner wollen nicht mehr darüber reden.“ Im Ort sei wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Kirwaverein, Ministranten und Landjugend sorgten für Lebendigkeit. „Die vielen engagierten Jugendlichen tun der Pfarrei gut.“
Auch der Täter gehörte zu dieser Pfarrei. Der passionierte Jäger galt als Eigenbrötler, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hielt und auch gerne Beleidigungen austeilte. Man mochte ihn nicht besonders und mied den Kontakt. Der 49-Jährige lebte mit seinem Vater bis zu dessen Tod auf dem Hof seines Bruders. Im Ort nannte man ihn arbeitsscheu und renitent. An jenem 30. Oktober 2005 hätte der Mann die Wohnung auf dem Hof seines Bruders räumen müssen. Das Gericht sah dies aber bei der Hauptverhandlung später nicht als den Auslöser für das Blutbad. „Die jahrelange Ablehnung und die Schmähungen durch die anderen Dorfbewohner“ seien für die Tat verantwortlich gewesen, hieß es im Urteil.
Pfarrer Parambi besucht bis heute die betroffenen Familien, darunter die Wirtsleute und die Frau des getöten Rentners. Eines der Opfer sitzt nach der Tat im Rollstuhl. „Bei diesen Begegnungen sind die Erinnerungen an die Ereignisse von damals wieder sehr wach“, sagt der Geistliche. Parambi selbst hatte an jenem Pfarrfamilienabend die Gastwirtschaft gerade verlassen, als die Schüsse fielen. „Einige Minuten nachdem ich zu Hause war, bin ich angerufen worden und eilte sofort zurück.“ In der Gaststätte habe sich ihm ein „gespenstisches Szenario“ geboten – „wie in einem Horrorfilm“. Im Flur habe er den erschossenen Rentner gesehen, daneben auf dem Boden die Verletzten. „Ich hörte die Schreie, sah das Blut“, erinnert er sich. „In so einer Situation ist man auch als Pfarrer sprachlos.“
Waffen in einem Baum versteckt
Während die Rettungskräfte und Kriseninterventionsteams sich in Saltendorf um die Verletzten kümmerten, rückte die Polizei mit einem Großaufgebot aus, um nach dem Amokläufer zu suchen. Verschiedene Jagd- und Schutzhütten in der Umgebung wurden gestürmt. Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei und des Spezialeinsatzkommandos aus Nürnberg durchkämmten Wiesen und Wälder. Der Fahndungsraum wurde schließlich auch auf Tschechien und Österreich ausgedehnt.
Am Morgen meldete sich der Täter selbst per Handy bei der Polizeidirektion Weiden gab seinen Standort in der Nähe von Kettnitzmühle durch. Dort schwenkte er eine weiße Fahne, als er die Beamten sah und ließ sich widerstandslos festnehmen. Das Versteck der beiden Tatwaffen nannte der Mann erst Jahre nach der Tat. Er hatte die Faustfeuerwaffen nahe des Gewerbegebiets Wernberg-Köblitz in einen Baum gebunden.
Am 26. April 2007 wurde gegen den Saltendorfer eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, sechsfachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung verhängt. In der umfangreichen Beweisaufnahme stellte das Gericht die Tatabläufe in einem nachgebauten Modell der Gastwirtschaft nach. Die Richter gingen in ihrem Urteil davon aus, dass der Angeklagte die Ahnungslosigkeit seiner Opfer bewusst ausgenutzt hatte und stellte deshalb auch eine besondere Schwere der Schuld fest. Eine Revision des Angeklagten wurde vom Bundesgerichtshof verworfen. Der inzwischen 58-jährige Täter kann damit nicht nach 15 Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen werden.
„Trost finden die Menschen in der übergroßen Solidarität der Pfarrgemeinde und in ihrem Glauben“, sagt Pfarrer Parambi. Sie sitzen wieder im Gasthaus Schlosser, Vereine halten dort ihre Veranstaltungen ab und die Jagdgenossenschaft lädt zum Rehessen ein. Alles ist wie vor dem Amoklauf und doch nicht mehr ganz so wie früher, sagt Pfarrer Parambi. „Es läuft normal und doch hat sich Saltendorf verändert.“
Das ewige Rätsel von Utzenhofen
Die großen Schlagzeilen Ostbayerns: Jahrelang terrorisierte ein Einwohner mit Drohbriefen seine Nachbarn. Wer der „Pumuckl“ war, bleibt geheim.
Utzenhofen, ein 300-Einwohner-Ort, sorgte damals für Aufsehen, als die „Pumuckls“ aus Schabernack Ernst machte. Fotos: Archiv/Durain
Von Pascal Durain, MZ
Utzenhofen. Der Terror in Utzenhofen endete, als „Pumuckl“ sich in „Frauholle“ umbenannte – nach fast einem Jahrzehnt kehrte der Frieden in das 300-Seelen-Dorf zurück. Doch die Zeiten, in denen sich abends kaum jemand aus dem Haus wagte, sind unvergessen. Ein Nachbar verfasste unter Pseudonym Droh- und Schmähbriefe. Die 300 Einwohner waren anfangs amüsiert, später verärgert, dann verunsichert und wieder verärgert. Niemand dachte, dass es am Samstag, dem 22. Oktober 1988, zu der Tat kommen könnte, über die die „Bild“-Zeitung und der „Spiegel“ berichten sollten. Der Mesner wurde entführt, Pumuckl hatte ihm vorher mit Folter und Tod gedroht. Und bis heute sind die Utzenhofener gespalten: Hielt der Mesner alle zum Narren oder war er das Opfer der „Pumuckl-Mafia“?
Stefan Braun kennt die Antwort darauf nicht. Der Bürgermeister des Marktes Kastl war aber dabei, als es ernst wurde und Hubschrauber über dem Dorf kreisten, um die Geisel zu finden. Heute, mehr als 25 Jahre später, sitzt Braun in seinem Wagen, deutet auf einen Weg auf der anderen Seite des Dorfs und spricht in Konjunktiven. Niemand weiß wirklich, was damals passiert ist. Der Tatablauf bleibt Spekulationssache. Doch da oben auf dem Feldweg, sagt Braun, könnten „die Pumuckls“ mit ihrer Geisel entlang gefahren sein. So hätte man den Mesner ganz bequem zu dem Baum bringen können, an dem ihn die Polizei fand. Braun war damals Aktiver bei der Feuerwehr und durchforstete so viele Büsche auf der Suche nach dem Opfer, bis es dunkel wurde. Erst am nächsten Morgen war der Spuk vorbei, als der Mesner, ein hagerer Mann – sehr fromm, sehr nett, gutmütig und bis dahin sehr unverdächtig – so aufgefunden wurde: gefesselt, unterkühlt, nur in Unterwäsche bekleidet, das Gesicht mit Ruß geschwärzt, aber nicht in Lebensgefahr. Eine halbe Stunde lang schrie er: „Helft’s ma, helft’s ma, i stirb!“ bis ihn eine Nachbarin hörte.
Das war der Höhepunkt des „Pumuckls“, der sich nach dem frechen Kobold (Selbstbeschreibung: „Pumuckl neckt, Pumuckl versteckt“) aus der Serie von Ellis Kaut benannt hatte.
Drohbrief in wirrer Diktion – so sah Post von den „Pumuckls“ aus. Fotos: Archiv/Durain
Eine mysteriöse Entführung
Fast zehn Jahre lang dauerte der Terror des anonymen Autors, der seine Briefe später im Plural unterschrieb. Post erhielten die Bürgermeister, die „wichtigmacher in der Kierche“, Bischof Manfred Müller oder sein Generalvikar, die Presse, die Vereinsvorsitzenden, fast jeder im Dorf. Die meisten Briefe erhielten die hohen Geistlichen: der Pfarrer und sein Mesner. Irgendwann gaben die Kirchenleute auf, wechselten die Stelle oder setzten sich zur Ruhe. Die Kriminalpolizei nahm das Dorf unter die Lupe; als der Mesner über einen Draht stolperte, der vor dem Altar gespannt war.
Der anonyme Schreiber kannte sich bestens mit Dorfinterna aus: Er wusste zum Beispiel, dass die Kirchenglocken auch mal für einen evangelischen Verstorbenen