Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr
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Überall liegen Pärchen auf den Wiesen, beobachten die Bäume und das Sonnenlicht durch die wehenden Blätter der Baumkronen. Wie gerne würde ich jetzt auch hier mit meinem Freund liegen. Während meines Praktikums haben wir uns zumindest jedes Wochenende gesehen, jetzt gibt es nur noch Telefonate.
Ein zweites Mal betrete ich die Sprachfakultät, diesmal für meine erste Unterrichtsstunde. Sie findet im Raum 412 statt, in der dritten Etage nach deutschen Gegebenheiten. Als ich oben ankomme, sitzt unsere Lehrerin Olma schon vor der weißen Tafel, bereit, uns die spanische Sprache näherzubringen.
„Buenos días muchachas!“, begrüßt sie uns und lacht. Dann teilt sie einen genauen Zeitplan aus, der vorschreibt, welche Grammatikmodule an welchem Tag gelehrt werden. Das Programm ist straff, alle drei Tage folgt eine neue Zeitform, dazwischen stopfen etliche Kleinigkeiten die Lücken, Präpositionen und unregelmäßige Verben wollen auch gelernt werden. Sie reicht uns drei Schülern jeweils ein Buch, beziehungsweise eher einen dicken Stapel gebundener Kopien.
„Jeden Freitag schreiben wir eine Klausur und jeder hält einen Vortrag von etwa zwanzig Minuten“, verkündet sie dann und lacht herzhaft. Schon wieder. Ich kann dieses permanente Lachen nicht deuten.
„Ich bin dreiunddreißig Jahre alt und eine richtige Tica!“, leitet sie die Vorstellungsrunde ein und schiebt dabei alle Zettel beiseite. Passend zu ihrem weiteren Lebenslauf klebt sie Bilder an die Tafel. Sie nimmt ein kleines Comichaus und platziert es oben rechts.
„Ich wohne ganz nah bei meiner Familie, das ist mir sehr wichtig.“
Olma spricht langsam und deutlich, wir verstehen fast alles. Sie ist hervorragend vorbereitet, hat alle Infos auf leuchtend grünem und rosafarbenem Papier gedruckt und eingeschweißt. Sogar verschiedenfarbige Stifte zauberte sie aus ihrer Tasche, um an der Tafel Vokabeln, Grammatik und sonstige Lerneinheiten optisch voneinander zu trennen.
Nachdem wir uns alle etwas holprig vorgestellt haben, spielen wir zum Abschied ein kleines Spiel. Wir werfen uns einen großen Plüschwürfel zu, dessen Zahl uns die Person angibt, in der das Verb auf unseren Zetteln konjugiert werden muss. Wenn der Würfel zu Boden fällt, läuft Olma zu ihm hin und reicht ihn uns - freudestrahlend.
„Zeitverschwendung, total sinnlos!“, raunt mir meine Kurskameradin Fulin zu, während Olma sich wieder umgedreht hat, um den Würfel zu packen. Ich weiß nicht so recht, wie ich über diese Methode denken soll und fühle mich ein bisschen wie im Englischunterricht der siebten Klasse. Trotzdem lockert es auf und zaubert sogar den ehrgeizigen Asiatinnen ein Lächeln auf’s Gesicht.
Mittlerweile hat sich die Sonne anderen Kontinenten zugewendet, in good old Germany dürfte es wieder hell sein, in Costa Rica wird es gerade dunkel, es ist 17:44 Uhr. Ich fühle mich wie in der tiefsten Nacht, eine unendliche Müdigkeit lähmt meinen Körper. Wenn ich jetzt im Schlafsaal bleibe, werde ich den Jetlag niemals überwinden.
Stattdessen gehe ich zurück zum Wohnzimmer und sehe mit einigen Backpackern gemeinsam einen amerikanischen Film. Ich fühle mich im Hostel heimisch und spiele mit dem Gedanken, das ganze halbe Jahr hier zu wohnen und die Wohnungssuche nicht auf später zu verschieben, sondern sie mir ganz zu ersparen.
Die Menschen im Film nuscheln ein unverständliches Englisch, die Untertitel sind auf noch viel verwirrenderem Spanisch, mein Kopf denkt Deutsch. Ich hätte Eiswürfel in den Tee werfen sollen, dann wäre er abgekühlt.
Zum Glück gibt es neben den Wörtern auch Bilder. Astronauten fliegen durch das Weltall, ihre unter Glaskugeln versteckten Köpfe schreien, wollen raus aus dem All und zurück zur Erde. Wollen ihre besten Freunde nicht verlieren. Und während sie diese äußerst unbequeme Situation zu meistern versuchen, schweben Bilder aus ihrer Kindheit umher. Warum welcher Astronaut jetzt in eine andere Richtung schwirrt, wer keinen Sprit mehr in seinem Anzug hat und was mit ihrem zuhause, der Raumfahrtzentrale, passiert ist, kann ich anhand der Bilder nicht nachvollziehen.
„Wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich dir“, murmelt einer der weiß umhüllten Menschen zu seiner Geliebten und verschwindet.
Ich kuschele mich in die apfelgrüne Fleecedecke und einer der zwei Backpacker auf dem Sessel beginnt herzhaft zu schnarchen. Ich rutsche zufrieden ein wenig an der Rückenlehne herunter, um es mir noch bequemer zu machen. Wenn mein Freund jetzt noch hier wäre, dann wäre die Welt in Ordnung. Aber dann wäre ich jetzt auch nicht hier.
„Hoffentlich treffen die beiden sich wieder!“, kommentiert der schlanke Amerikaner neben mir das Geschehen und starrt weiter auf den großen Flachbildschirm, „ich bin weit gereist, aber so weit werde ich nie gehen.“
Bruce fährt seit Oktober als Motorrad-Backpacker durch ganz Amerika, von den USA bis ins südliche Argentinien, erzählt er mir nach dem Film. Kein Wort Spanisch hat er vor seiner Abreise beherrscht. Trotzdem lernt er bei seiner Tour nebenbei neue Begriffe und Formulierungen, und bald sogar eine Vergangenheitszeitform, so hofft er.
„Man kann nichts Komplexes erklären, wenn man keine Geschehnisse in der Vergangenheit oder Zukunft beschreiben kann. Wie sage ich dem Zollbeamten, dass ich ‚bezahlt habe‘ und nicht ‚bezahle‘?“
Einmal hatte sein Motorrad einen Schaden, da erkundete er gezwungenermaßen zwei Wochen lang Texas. Das schönste Erlebnis seiner Reise war eine Fahrt unter dem Sternenhimmel Mexikos, später fuhr er sogar durch den Dschungel des riesigen Landes. Er berichtet, dass die Menschen in El Salvador daran arbeiten, ihr Image zu verbessern und Reisende sehr freundlich empfangen. In Honduras hingegen fühlte er sich unsicher. Er träumt davon, mit seinem Rad durch Bolivien zu heizen und in diesem von Tourismus verschonten Gebiet die Kultur zu erkunden. Vorher muss er aber ein Boot finden, dass ihn samt Ausrüstung von Panama nach Kolumbien transportiert, denn es gibt keinen Landweg zwischen den beiden Ländern. Die Schiffsreise ist leider sehr gefährlich, denn viele Kapitäne steuern die kleinen Riesen durch das Meer, ohne sich mit dem gemieteten Boot gut auszukennen. Seine Geschichten nehmen mich mit, wie ein reißender Strom, gegen dessen Strömung man sich nicht wehren mag.
Ich stelle mir weiße Schrift vor, die vor seiner Brust den aktuellen Text in Spanisch abdruckt - bei Filmen in Costa Rica gibt es schließlich immer spanische Untertitel.
Die Länder, von denen er berichtet, kann ich nur schlecht zuordnen und über die Unterschiede und Besonderheiten weiß ich fast nichts. Ob alle diese Länder so bunt, leicht und glücklich sind, wie ich Costa Rica bisher erlebt habe? Ich erinnere mich an meine wilde Fahrt von Hamburg durch Deutschland, gehetzt von einer Behörde zu nächsten, am Ende mit der Trophäe, zwei Stempeln, im Gepäck.
Hier lasse ich mich nicht hetzen und nehme mir die Zeit den Geschichten von Wildfremden zu lauschen. Bruce verabschiedet sich, um sein Motorrad in die sichere Garage zu schieben und ich gehe in den Schlafsaal. Morgen steht wieder der Sprachkurs auf dem Programm und danach heißt es, weiter nach Wohnungen suchen. Als ich mein Hochbett erreiche, werde ich noch in ein Gespräch mit der Backpackerin Rissa verwickelt, die mir von Nicaragua erzählt. Dann schlafe ich endlich ein.
Den Jetlag noch nicht ganz überwunden, schleiche ich um fünf Uhr morgens aus meinem Gemach, vorbei an schlummernden Jugendlichen aus allen Ländern und setze mich zum Spanisch-lernen in den Garten. Kurze Zeit später färben die ersten Sonnenstrahlen meine Haut. Ich habe den Winter verdrängt, den Frühling übersprungen und bin im Sommer gelandet. Manchmal fragt mein Körper, warum es nun plötzlich fünfzehn Grad wärmer ist. Ich lege mich auf