Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr
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„Hast du Angst vor Hunden?“, hatte unsere Gastgeberin mich gefragt, während sie in ihrer Tasche nach dem Eingangstürschlüssel suchte. Ich hatte kaum Zeit zu antworten, und schon sprangen ihre drei Hunde schwanzwedelnd auf uns zu. Fulin und ich standen mitten in einem Knäuel aus Fell, Schnauzen und Hundebeinen von einem aufgedrehten Dobermann, einem Mischling und einem alten langsamen zimtfarbenen Cockerspaniel namens Canela, die uns freudeschleckend willkommen hießen.
Während ich mich durch den Zuckerschock des Churchills kämpfe, erfrischt sich Fulin mit Vanilleeis und Früchten. Vermutlich wusste sie um den legendären Churchill und dessen Kalorienbombe, sie ist schließlich viel erfahrener mit Costa Rica.
Immer wieder versuche ich herauszufinden, in welcher Sprache wir miteinander sprechen. Eine Mischung aus holprigem Spanisch und Englisch trifft es recht gut. Bevor sie hierher kam, lehrte sie einige Jahre Englisch in Tokio und lebte dann in Kalifornien.
„Ich suche nach einem Ort, an dem ich leben kann. Singapur ist mir zu klein. Das ganze Land ist verbaut und es gibt kaum Natur. Und die Luft ist dreckig“, sie hält sich symbolisch die Hand vor den Mund, dann setzt sie wieder ihr breites Grinsen auf. Ich stelle mir vor, wie ein Wolkenkratzer dem anderen das letzte Licht abgreift und wie es in den Schluchten nur so vor Menschen wimmelt, die wie Ameisen in der Dunkelheit ihrer Arbeit nachgehen und dabei weder rechts noch links sehen.
„Tokio hat mir sehr gut gefallen, die Menschen sind super freundlich und alles ist sauber“, sie schaut skeptisch auf den sandigen Plastiktisch vor uns und lächelt dann wieder verlegen. Fulin ist genau wie ich Mitte zwanzig und reist durch die Welt, um sich selbst besser zu verstehen und eine neue Sprache zu lernen. Wir befinden uns in der gleichen Situation und verstehen unsere Sorgen und Wünsche deshalb auf Anhieb.
Esparza ist der erste Ort, an dem meine Freundin aus Singapur damals im September nach ihrer Ankunft in Costa Rica gelebt, und der erste Ort, an dem sie jemals Spanisch gesprochen hat. Unsere Spanischniveaus wurden von der UCR beim Einstufungstest gleich geschätzt, weshalb wir jetzt jeden Morgen von neun bis dreizehn Uhr gemeinsam büffeln.
‚Im Land lernt man eine Sprache am besten’, heißt eine Kalenderweisheit. Etwas Wahres muss dran sein, denn Fulins fünf-Monate Spanisch ist um Längen besser als mein ein-Jahr-Spanisch, in dem ich drei Sprachkurse belegt habe.
„Am Anfang war es sehr, sehr, seeeehr schwierig“, sie seufzt, „ich würde nicht noch einmal ohne Sprachkenntnisse in ein Land reisen.“
Ich muss an Hannah denken. Vor Ort lernt man schneller, es ist aber auch härter, das merke ich jeden Tag, wenn ich wieder einmal verzweifelt nach Worten ringe.
„Also ich habe da kein Wort verstanden, können wir das noch mal hören?“, hatte meine deutsche Freundin unsere Lehrerin bei einer schwierigen Übung des Hörens und Verstehens im Kurs gebeten.
„Okay, noch einmal, das ist wirklich schwierig zu verstehen mit den Hintergrundgeräuschen. Und außerdem sprechen sie ein panamaisches Spanisch, das ist ein wenig anders. Oigan!“ Wir hörten den Text erneut und verstanden wieder nichts.
„Wie können wir im Anfängerkurs einen so schweren Text durchnehmen? Wie soll man denn da Spanisch lernen?“, hatten wir völlig verständnislos später gewettert. Inzwischen sehe ich das anders und bin unserer Lehrerin sehr dankbar. Manchmal wünsche ich mir sogar, Gespräche in Costa Rica gemeinsam mit ihr durchgehen zu können. Ich möchte nicht ausgegrenzt sein durch Wörter. Im Spanischkurs stört das niemanden, da wartet man, aber im wahren Leben wird ein Schweigen oder stotterndes Wortesuchen vom Gesprächspartner schnell missverstanden.
Mit unserer Reise nach Puntarenas fahre ich das erste Mal ans Meer in einem tropischen Land. Abends, wenn man sich sonst eine lange Hose herbeisehnt und eine Strickjacke umhängen würde, bleibt es hier so warm, dass man gar nicht darüber nachdenkt. In der Normandie hätte ich auf das Eis am Abend bibbernd verzichtet.
„Der Boden hat sich aufgeheizt, deshalb ist es so warm“, erklärt mir Gisella.
„Sicher?“, fragt Fulin ungläubig, „ist das nicht wegen der Klimazone?“
Viele Ticos waren ihr ganzes Leben noch nicht außerhalb von Costa Rica, Olma reiste bisher auch nur einmal in die Nachbarländer Nicaragua und Panama.
Fulin und ich erzählen Gisella vom Sprachkurs, denn Fulins neu erworbene Sprachkenntnisse beeindrucken sie und sie möchte das Erfolgsgeheimnis wissen. Gisella hat kein Englisch in der Schule gelernt und versucht diese Lücke nun zu schließen.
„Kennst du Hostel? Mit vielen Backpackern reden. Sprache schnell lernen“, puzzele ich ein paar Wörter zusammen, „habe App zum Vokabellernen. Sehr praktisch!“
„Nach dem Sprachkurs mache ich noch einen Kurs, glaube ich“, wirft Fulin ein, „ich kann erst zu meinen Eltern zurückkehren, wenn ich Spanisch spreche. In Singapur habe ich keine Zeit dazu.“ Spanisch, Sport, Spanisch, Telefonieren, Spanisch, Schlafen, etwas anderes tut Fulin nicht. Leider nimmt sie sich in ihrem Tagesablauf keine Zeit für Freunde, Spass und Erholung. Erst dann eine Pause machen, wenn es fast zu spät ist, ist zu spät.
Heute Nachmittag saßen die Bewohner Puntarenas vor ihren Häusern, als wir mit dem Auto durch die kleinen Gassen fuhren, die uns zum Stadtkern bringen sollten. Es wurde gegessen, getrunken, geredet, gespielt und gelacht, Schaukelstühle und Hocker aus Holz standen vor jedem Haus. Wir parkten das Auto von Gisella in einer Nebenstraße und liefen zum Strand. Hier steckte die rot blaue Fahne von Costa Rica an einem hohen Metallpfahl die unendlich lange Grenze von Meer und Land ab. Dann hörten wir immer lautere Rufe und Pferdewiehern.
‚Topes’, das sind große Umzüge, bei denen alle Reiter des Landes das Können ihrer vierhufigen Kameraden präsentieren. Jeder kann mitreiten und sein Pferd, dessen Fähigkeiten und sein eigenes reiterliches Geschick unter Beweis stellen. Das lassen wir uns nicht entgehen und stellen uns in die Menge am Straßenrand, um auch einen Blick auf den Tumult werfen zu können. Topes sind Tradition, so wie das Neusser Schützenfest, der Kölner Karneval und das Oktoberfest.
Der Tope von Puntarenas zählt zu einem der schönsten des Landes und erklärt die aufgeregten Menschen, die wir vor ihren Häusern auf dem Hinweg gesehen haben.
Fast drei Kilometer lang vereinen sich die Laute der Tiere und Menschen zu einem großen lärmenden Chaos. Andalusier piaffieren auf der Stelle, schlagen ihre Hufe auf den Asphalt und konkurrieren mit schweißgebadeten Arabern, die nur noch von einem in die Luft tretenden Criollo übertroffen werden. Das Bild hochkonzentrierter Pferde wird durch lässig Bier oder ‚Refresco‘ (Saftgetränk) trinkende Reiter mit Jeans und Cowboyhut abgerundet. Letztes Jahr ritten fast anderthalb Tausend Reiter durch die abgesperrten Straßen. Ein riesiger schwarzer Friese mit gewellter Mähne oder ein kuhfell-gemusterter Tinker schreiten durch die Masse und lassen die Zuschauer vor Freude jubeln. Hier und dort hört man einen der Cowboys jauchzen und Pferde schnauben.
Hauptsächlich reiten Männer die Straße entlang, auch einige junge Frauen mit spitzen Cowboystiefeln und kurzen Hemden finden sich in der Menge. Sogar eine ganze Familie, deren drei Kinder die Kunststücke in nahezu gleicher Perfektion vollführen, kann ich entdecken. Die Pferde prallen in der engen Straße immer wieder mit den Schultern und Kruppen gegeneinander und bahnen sich mit schäumenden Mäulern taumelnd ihren Weg.
Bei dem ganzen Hufgetrappel, der Enge, den lauten Geräuschen und der Anstrengung würden die Pferde in Deutschland