Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr

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Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica - Manuela Dörr

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Rissa ist schon wach. Sie gesellt sich zu mir und steckt sich eine Zigarette an. Ursprünglich kommt sie von den Philippinen und lebt seit zwei Jahren in New York. Dort arbeitet sie bei einer großen Motelkette an der Rezeption.

      „Ich habe mir San José anders vorgestellt“, bemerkt sie. Wie kann man sich auch einen Ort vorstellen, von dem man nur über die Medien erfahren hat, an dem man selbst aber noch nie war?

      „Ich auch“, flüstere ich, schaue in den blauen Himmel, vergesse das Visum und die Sprache. Wir träumen. Zumindest ein paar Minuten, bevor ich zum Sprachkurs aufbreche.

      Fast eine ganze Woche bin ich nun in Costa Rica und noch immer hat sich mein Körper nicht daran gewöhnt, dass die Sonne schon um viertel vor sechs aufgeht. Ich schnappe mir meinen Kleiderberg und schleiche aus dem Schlafsaal ins Badezimmer, putze mir schnell die Zähne und trete um kurz vor sieben durch das Gittertor hinaus. Es ist Samstag und zu meiner Verwunderung sind schon viele Menschen auf der Straße, viele Busse und ganz viele knallrote Taxen. Dahinter ragt das weiße Gebäude der Kirche direkt neben der Kreuzung empor.

      Die Neugier treibt mich in das Gotteshaus und ich lasse meine Kamera und mich von den leuchtenden Fenstern und der beeindruckenden Helle und Klarheit leiten, als plötzlich ein Priester am Altar steht. Meine Uhr verrät mir, dass es sieben Uhr fünfzehn ist. Gottesdienst zu so einer frühen Morgenstunde an einem Samstag?

      Etwa zwanzig Menschen zwischen dreißig und sechzig Jahren bevölkern bereits die Holzbänke im hellen Gebäude und es treten immer mehr Ticos ein. Direkt nach dem ersten Lied und einer kurzen Ansprache beginnt er mit der Predigt.

      Kurz lausche ich seinen Worten, dann schleiche ich hinaus, zurück zum Hostel, stecke meine Speicherkarte in den Cardreader und betrachte meine Bilder vom Morgen.

      „Ohh, ich mag die Farben! Wo ist das?“, Rissa schaut mir über die Schulter.

      „Das ist direkt in der Kirche hier gegenüber, verrückt, oder?“

      „Ja, da wäre ich nie rein gegangen“, sagt sie, „aber es scheint sich zu lohnen.“

      Rissa hat sich ihren Traum verwirklicht, sie hat lange gespart und sich dann zwei Wochen unbezahlten Urlaub gegönnt, um alleine loszuziehen.

      „Ich wollte immer alleine reisen, und jetzt habe ich es getan und ich liebe es!“, erklärte sie mir gestern Abend. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, alleine eine solche Reise zu unternehmen, aber beim Auslandssemester ist man quasi dazu gezwungen. Ich hatte erfolglos versucht, meine Geschwister oder Freunde zu überreden, doch zumindest die ersten beiden Wochen mit mir gemeinsam in den Dschungel zu fliegen, aber entweder fehlte es an Geld oder Zeit.

      Es sind erstaunlich viele Mädels alleine unterwegs, stelle ich immer wieder fest. Und keine von ihnen bereut ihre Entscheidung! Die meisten reisen schon länger und genießen es, frei zu entscheiden, welche Menschen und Orte sie morgen kennenlernen möchten. Nie wurde eine bedroht oder hat sich unwohl gefühlt, obwohl wir alle in großen gemischten Schlafsälen übernachten.

      „Wir gehen Morgen auf einen Vulkan wandern. Magst du mitkommen?“ spricht mich von hinten eine Frauenstimme an. Es ist bereits später Abend und ich habe den nächsten Tag mit drei Verabredungen durchgeplant. Ich möchte mit meinen Eltern telefonieren, eine Wohnung besichtigen und mit Juan auf den Markt in Zapote gehen, dort soll es tropische Gemüse und Obstsorten geben.

      „Nein, ich kann leider nicht“, sage ich ab und die Blondine namens Carly nickt mir verständnisvoll zu, „wenn du doch noch mit magst, wir haben noch einen Platz im Taxi frei.“

      Wir erzählen noch kurz, dann verschwinde ich ins Bett. Tief und fest schlafe ich. Kein Schnarchen, kein Rascheln, keine Geräusche, absolute Stille trotz einem mit zwölf Menschen besetzten Schlafsaal.

      Um halb fünf werde ich wach und starre an die Holzdielen über mir. Draußen ist es noch stockfinster. Stille. So früh kann ich unmöglich aus dem Bett klettern, ich suche mein Handy und die App der deutschen Tageszeitung verrät mir, dass es in Deutschland schon Mittag ist. Ich stöbere in weltweitem Wissen.

      Meine Gedanken schweifen immer wieder ab, fliegen durch das Fenster hinaus in den Garten, hinter die Mauern des Hostels. Costa Rica ist Natur, und ich habe davon, abgesehen vom Hostelgarten und der Universidad de Costa Rica (UCR), noch nichts gesehen. Eine Stadt ist eine Stadt, da gibt es Beton und Stein anstelle von Dschungel, Meer und Vulkanen. Vielleicht ist San José deshalb so unbeliebt, weil man etwas anderes vom Naturparadies Costa Rica erwartet. Ich erinnere mich an den Vorschlag der Backpacker und werde hellwach. Ich könnte heute einen aktiven Vulkan besteigen!

      Start ist erst in zwei Stunden, genügend Zeit um meine Verabredungen zu verschieben. Gesagt getan, zwei Stunden später schultern wir unsere Rucksäcke.

       Mit dem Taxi geht es zum Bus, dann weiter nach Alajuela, wo wir eineinhalb Stunden auf den nächsten Bus warten, der uns dann zum Nationalpark des Vulkans Poás bringt. Im Bus treffe ich eine Gruppe von deutschen Freiwilligen, die ein soziales Jahr in Costa Rica absolvieren. Aufgeregt schaue ich in die Gesichter der Jugendlichen, kann Julius unter ihnen jedoch nicht entdecken. Trotzdem, wir diskutieren über Visumangelegenheiten, von denen auch die anderen ein Lied singen können.

      Meine Sitznachbarin Susi aus England, die ebenfalls aus dem Hostel mitkam, wippt zum Takt der Musik, die aus ihren knallroten Kopfhörern dringt. Ihre Einstellung erinnert mich stark an mein erstes Gespräch fernab der Heimat: „Ich will meine Zeit nicht mit Studieren verschwenden, sondern lieber Spass haben. Am Ende haben doch eh alle den gleichen Job“, stellte sie eben noch fest und drehte an ihren etlichen bunten Armbändern. Da ich nicht weiter auf ihre Aussage eingegangen war, steckt sie sich Kopfhörer ins Ohr, lässt sich warmen Wind von draußen ins Gesicht wehen und schaut seitdem den vorbei huschenden Büschen nach. Ich kann diese Denkweise nicht nachvollziehen, ohne mein Studium wäre ich gar nicht hier. Susi schlägt sich mit ihrem Englisch und ohne Spanisch durch und scheint damit glücklich zu sein.

      Nach etwa vier Stunden Tour erreichen wir unser Ziel, verlassen erleichtert die unbequemen Sitze und fiebern dem langen Fußmarsch entgegen.

      Wie weit wir wohl bis zum Gipfel laufen müssen? Als wir den Bus verlassen, ist es angenehm kühl, aber längst nicht kalt, wie uns eine Hostelmitarbeiterin gestern angekündigt hatte.

      Mit Wanderschuhen ausgestattet, spazieren wir den breiten Asphaltweg hinauf zum Vulkan, werfen einen Blick in den Krater, wollen dann endlich wandern und betreten den Wald, der uns höher führen soll.

      Aber es geht nicht viel höher, insgesamt wandern wir eine Stunde durch einen dunklen Wald, dann sind wir wieder am Ausgangsort. Ein relativ unspektakulärer Rundweg, aber mein erstes Mal Natur in Lateinamerika.

      Wir setzen uns vor den Vulkan auf die dicken Steine der Aussichtsplattform, wickeln uns in Schals und Jacken ein, um Nieselregen und Wind zu trotzen und warten, dass der Bus wieder abfährt. Nebelschwaden sind aufgezogen und verschmelzen mit der Rauchwolke, die vor uns aufsteigt. Zwischendurch zeigt sich der Krater kurz, dann verschwindet er in der Leere.

      Bruce blättert in seinem Notizbuch und präsentiert eine mit schwarzem Filzstift skizzierte Karte, ‚nicht maßstabsgetreu‘ hat er schräg darunter gekritzelt.

      „Das wichtigste, was ich jemals verloren habe, war mein kleiner Kompass am Motorrad. Ich habe jemanden gestreift und dann muss er wohl herunter gefallen sein. Ich habe es erst später am Tag bemerkt“, berichtet er, während sein Blick dort verharrt, wo vorhin noch der Abgrund zu sehen gewesen war.

      „Und einmal hätte ich fast mein

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