Die 50 besten Morde oder Frauen rächen anders. Birgit Ebbert
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Wo ist nur dieses verdammte Henker-Buch? Wie hieß der Autor?
Ich beginne die zwanzig Bücherregale in meiner Wohnung abzusuchen. Auf Brett zweiunddreißig fällt mir Erich Kästners Fabian in die Hände. Das gehört mir überhaupt nicht. Das habe ich mir vor Jahren von meiner damaligen Freundin Caroline geliehen. Warum ist die Freundschaft eigentlich auseinandergegangen? Wegen des Buches, das ich nicht zurückgegeben habe? Ich muss sie unbedingt einmal anrufen.
Auf einen kleinen Zettel schreibe ich »Caroline« und hefte ihn mit einem Katzenmagnet an die große Pinnwand. Das ist ab sofort meine Auftragswand, jeden Tag muss ich eine Aufgabe erledigen, damit ich mich jeden Abend über ein kleines Tagwerk freuen kann. Kleine Erfolgserlebnisse sind wichtig für das Ich. So etwas wie Schränke aufräumen, Briefe schreiben, die immer schon geschrieben werden sollen, Geschichten verfassen, die mir schon lange am Herzen lagen. Will ich Caroline das Buch zurückgeben?
Ich lese den Klappentext. NEIN! Dieses Buch wurde vor 80 Jahren geschrieben. Warum muss es ausgerechnet um Arbeitslosigkeit gehen?
Schon wieder dieses Unwort! Ich schlage verzweifelt mit dem Kopf gegen die Regalwand.
Die ersten Bücher fallen auf mich. Das Regal gibt knirschende Töne von sich. Hallo, Kerstin, dieses ist ein nicht befestigte Metallregal, scheint es zu sagen. Zum Glück habe ich als Jugendliche Metallisch gelernt und verstehe, was es von sich gibt. Ich lasse mich nach hinten fallen und bleibe auf dem Boden liegen.
Die Lampen könnten auch geputzt werden. Auftrag! Es lohnt sich immer, die Welt aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.
Vielleicht ist es sogar gut, dass ich nicht mehr in den Eisbergpalast muss. Womöglich wäre ich dort krank geworden. Vermutlich hat der Eisberg eine ansteckende Krankheit.
Der Gedanke an den Eisberg, der schwitzend und um Luft ringend mit dicken, juckenden Blasen am ganzen Körper langsam stirbt, muntert mich auf.
Ich stelle zum wiederholten Mal die CD an und singe laut und falsch mit: »Du schaffst es!« Genau, ich werde es schaffen!
Das Telefon klingelt. Wieder einmal.
»Hey, hier ist noch einmal Karsten Denker von Schwapp.de!«, begrüßt mich die fröhlich-kieksige Stimme, obwohl, ganz so kieksig klingt sie nicht mehr. Vermutlich hatte der Typ beim letzten Anruf eine Stimmbandentzündung.
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich das Gespräch so plötzlich beendet habe!« Höflichkeit zahlt sich immer aus. Bei einem vielleicht gut aussehenden Mann, dessen Stimme beim ersten Zuhören sexy klingt, ist sie jedenfalls nicht vergeudet.
»Ich«, wenn ich gewusst hätte, dass er erneut anruft, hätte ich mir vorher eine Ausrede zurechtgelegt. Na, im Improvisieren war ich immer gut. Das Wichtigste dabei ist, dicht an der Wahrheit zu bleiben.
»Äh, es gab eine Überschwemmung. Anscheinend ist die Waschmaschine kaputt.«
Ich trage mein Telefon ins Badezimmer und werfe mir im Spiegel einen lobenden Blick zu. Alle Achtung, das war clever.
»Das macht nichts. Soll ich Ihnen meinen Bruder vorbeischicken, der ist Flaschner!«
Ich sehe mich im Spiegel verständnislos an.
»Was soll ich mit einer Flasche?«, erkundige ich mich vorsichtig bei Herrn Schwapp.de.
Seine Antwort ist ein albernes Kichern.
Ich hasse es, wenn Männer kichern. Ob der Typ schwul ist? Schade, dann ist jede charmante Annäherung vergeudet.
Der Mann kriegt sich nicht mehr ein.
»Hallo, Herr Denker«, versuche ich vorsichtig, ihn daran zu erinnern, dass ich auf eine Antwort warte.
»Ich«, er gluckst vor sich hin wie ein Liter Orangensaft in einer Glaskaraffe, »ich vergesse immer, dass die Nichtschwaben den Beruf nicht kennen.« Ein letztes Glucksen. »Flaschner ist die schwäbische Bezeichnung für einen Installateur.« Glucks.
Na, da habe ich etwas gelernt: ein neues Wort und dass er mindestens dreihundert Kilometer entfernt von mir lebt. Ade, ihr Hoffnungen auf einen höflichen neuen Mann.
»Vielen Dank, das ist nicht nötig«, lehne ich sein Angebot ab. Das fehlt mir gerade: dreihundert Kilometer Anfahrt für eine Reparatur, die nicht erforderlich ist.
»Selbst ist die Frau!«, füge ich hinzu, um ihm gleich zu zeigen, mit wem er es zu tun hat.
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung dauert etwas zu lange. Mindestens so lange, wie man für das Denken des Satzes »Das habe ich gemerkt, als ich das erste Mal angerufen habe.« braucht.
»Na, dann, will ich Sie nicht weiter stören. Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, wie der Titel des Henker-Buches lautet: Der Henker von Paris. Aus den Memoiren des Henri Sanson. Viel Spaß beim Lesen. Auf Wiederhören!«
Ich starre den Telefonhörer an.
Tuuuuut, kommt aus dem Lautsprecher, aus dem ich eben noch die leicht sexy klingende Stimme von Herrn Schwapp.de vernommen habe.
Das heißt, er verfolgt genau, was ich im Forum schreibe. Warum? Ist er im Nebenberuf Polizist und wartet darauf, eine Straftat zu vereiteln? Oder ist er ein Berufskiller, der bei Schwapp.de als Forenbetreuer untergetaucht ist? Egal, er ist weit weg und ich werde in Zukunft einfach vorsichtiger sein.
Jetzt suche ich erst einmal das Buch Der Henker von Paris, da finde ich sicher einige Anregungen für Foltermethoden, die ich an dem Eisberg ausprobieren kann. Eine schöne Lektüre für meinen Besuch beim Arbeitsamt.
3 - Eine Brücke für dich, Lea
Schwer atmend lag Vindicta auf dem Dach der Regionalbahn. Sie wagte kaum, einen Schluck aus dem Champagner-Fläschchen zu nehmen. Ein Glas wäre bei diesem Projekt zu Bruch gegangen.
»Und, Lea, wie fühlst du dich«, rief Vindicta und der Fahrtwind trug ihre Worte zu der Frau, die einige Meter entfernt auf dem Dach des Zuges saß. Mit großen flehenden Augen starrte sie Vindicta an. Sie versuchte ihr zu antworten, indem sie die Schultern bewegte. In ihrem Mund steckte ein weißes Tuch, ihre Hand- und Fußgelenke waren mit einem Kinderseil aneinander gefesselt, damit sie nicht nach hinten kippen konnte.
»Warst du es nicht, die immer als Brücke zwischen Marc und mir dienen wollte. Eine nützliche Brücke, die sich einen der Brückenpfeiler schnappt.« Vindicta sah sich um. Die steinerne Brücke, die sie sorgfältig für diese Rache ausgewählt hatte, war in der Ferne bereits zu sehen. Sie nahm einen letzten Schluck und sagte: »Du weißt doch, kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, große Sünden bestraft das Leben. In diesem Sinne: adieu.«
Sie presste sich auf das Dach der Regionalbahn. Zwischen Dach und Tunneldecke war nicht viel Platz. Für einen sitzenden Menschen zu wenig, wie Vindicta feststellte, als die Bahn aus dem Tunnel herausfuhr und von Lea nicht viel übrig war.
Das Arbeitsförderungsgesetz schreibt vor, dass sich jeder Arbeitslose unverzüglich bei seinem