519 Park Avenue. Peter Stockfisch

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519 Park Avenue - Peter Stockfisch

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aus dem täglichen Kampf ums Überleben. Er würde vielleicht einen Beruf erlernen.

      “Solltest du schwatzen, schneide ich dir die Zunge raus”. tönte Kutschinski mit einem fiesen Lächeln und einem Ausdruck im Gesicht, der Angst machte.

      “Oder besser: Ich erzähle der Polizei, zu der ich – wie du weißt – einen guten Draht habe, von deinen kleinen Nebengeschäften.”

      Saidi zuckte zusammen. Woher wusste er dies. Saidi, wie viele seiner Kumpel, machte hin und wieder ein paar Metical - oder manchmal auch Dollars – als Runner durch den Weiterverkauf von Stoff – meistens Koks – den ‘Profis’ von Südafrika über die Grenze nach Maputo brachten.

      Er ließ ihn also beobachten.

      “Kein Problem, Sie können sich auf mich verlassen”. sagte er schnell und streckte ihm seine Hand entgegen. Kutschinski ignorierte die Geste, tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger zum Gruß an die Stirn, öffnete die Wagentür, blickte sich kurz nach beiden Seiten um und verschwand schnell im Restaurant.

      Er musste jetzt schlafen. In zweieinhalb Stunden würde es hell werden. Er nahm ihr ruhiges, gleichmäßiges Atmen wahr. Elvira schlief fest. Sie musste in zwei Stunden aufstehen. Um sieben fing ihre Schicht im Lenox Hill Hospital an. Sie versuchte dann, ihn nicht aufzuwecken. Das Frühstück für Jazmin und Roy bereitete sie schon am Abend zuvor vor. Sie waren jetzt groß genug, um sich selber Brot zu toasten und Orangensaft aus dem Kühlschrank zu holen. Cornflakes standen auf dem Küchentisch.

      Was sollte er Elvira sagen ? Sie hatten keine Geheimnisse voreinander, und er hatte ihr am Anfang ihrer Ehe natürlich von seiner Jugend in Maputo erzählt.

      Und er wusste, wie sie aufgewachsen war. Etwas außerhalb von San Juan. Alle paar Jahre besuchten sie Elviras Schwester und deren Familie in Puerto Rico. Durch den regen Verkehr zwischen New York und San Juan waren die Flüge recht preiswert geworden.

      Aber er war eigentlich nie ins Detail gegangen. Sie wusste lediglich, dass er für einen Diplomaten gearbeitet hatte, der sich als fieser Gauner erwiesen und ihm übel mitgespielt hatte. Der Mann, der schließlich der Grund für seine Flucht aus Mosambik war.

      Über seine Schwester hatte er seiner Frau nur erzählt, dass sie in jungen Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen sei. Einzelheiten verweigerte er immer mit dem Hinweis auf die schmerzlichen Erinnerungen, die diese in ihm hervorrufen würden. Auch jetzt war bei dem Gedanken an Micaela an Schlaf nicht zu denken. Wie bei einer Rückblende im Film kamen die Ereignisse wieder wie ein böser Traum zurück.

      *

      Kutschinski hatte Micaela zum ersten Mal gesehen, als sie ihren Bruder eines Abends vor dem schmiedeeisernen Tor der DDR-Botschaft in der Rua Damiâo de Góis abholte. Für seinen Nachhauseweg nahm er normalerweise einen der Minibusse und ging die restliche Strecke zu Fuß. Micaela war mit dem alten Fahrrad gekommen, das – wenn es nicht gerade kaputt war – von den Familienmitgliedern abwechselnd benutzt wurde. Sie trug knappe weiße Shorts und ein hellblaues T-Shirt. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie in einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Mit ihren knapp 18 Jahren war sie eine hübsche junge Frau, nach der sich die Männer in Maputo umschauten. Sie fuhren zusammen auf dem Fahrrad nach Hause, er auf dem abgenutzten Sattel, sie im Damensitz auf dem Gepäckträger.

      “Eine hübsche Schwester hast du, Saidi”, sagte Kutschinski am nächsten Morgen. “Was macht sie? Geht sie noch zur Schule ?”

      “Nein, sie arbeitet im Hotel Pestama Ruvama in der Rua da Se. In der Wäscherei.”

      Später erfuhr er, wie sich Kutschinski an Micaela herangemacht hatte. Er hatte ihr in der Nähe des Hotels aufgelauert und ihr – wie auch zuvor ihm - von den Chancen in der DDR erzählt.

      Saidi hatte nie genau herausbekommen, wo Kutschinski seine Schwester in den folgenden Wochen getroffen hatte. Wahrscheinlich an Wochenenden, wenn Saidi meistens frei hatte und Kutschinski ohne - zumindest sichtbaren - Aufpasser war.

      Micaela und Saidi verstanden sich sehr gut und hatten eigentlich keine großen Geheimnisse voreinander. Über romantische Themen oder gar Sex sprachen sie allerdings nie. Nur einmal, als sie an einem Sonntagabend spät, völlig verstört, verweint und mit zerrissenem T-Shirt nach Hause kam, stellte er sie zur Rede. Ihre Eltern schliefen bereits. Micaela ging sofort in den Hof, wo es eine Dusche gab, deren Wasser aus einer Zisterne kam, die das Regenwasser auffing, das sich tagsüber durch die Sonne aufwärmte. Sie wohnten in einem einfachen Holzhaus am Stadtrand. Dort, wo die kleineren Wohneinheiten beginnen. Aber noch vor den Schilfhütten der Armen in der Canhico-Stadt.

      In ein großes weißes Badelaken gehüllt, das vom vielen Waschen an den Rändern ausgefranst war, hockte sie sich auf die Holzstufen, die von einer Art Veranda des Hauses in den Vorgarten führten. Sie sah schrecklich aus: Ihr Gesicht war verquollen, ihre nassen Haare standen nach allen Seiten und das Strahlen in ihrem Gesicht war einem Ausdruck von Leere gewichen. Sie hatte ihre Arme mit den Ellenbogen senkrecht nach unten über ihrer Brust verschränkt, und Saidi konnte im fahlen Licht der Verandabeleuchtung trotz ihrer braunen Haut die dunklen Blutergüsse auf ihren Oberarmen erkennen.

      “Dein Boss ist eine Bestie,” sagte sie mit leiser Stimme. “Gerd Kutschinski ist ein Schwein”.

      Saidi war geschockt. Eine unbeschreibliche Wut kam in ihm hoch. Er musste all seine Beherrschung aufbringen, um ruhig auf sie einzureden. Aber er wollte wissen, was geschehen war.

      “Wir haben uns heute Abend in der Avenida Mao Tse Tung getroffen. Ecke Julius Nyere. Er lud mich zu einem Drink in die Aquarius Bar vom Polana Hotel ein. Ich dachte, er wollte mir mehr über das Leben in der DDR erzählen. Außerdem war ich noch nie in diesem tollen Hotel. Ich hab’ den ganzen Abend nur einen Caipirinha getrunken. Er hat dann tatsächlich von dem Leben in der DDR erzählt und von sich. Wie allein er in Maputo sei. Dann bot er mir an, mich nach Hause zu fahren. Er bog dann ab zur Baia und hielt am Strand. Keine Menschenseele ringsum. Er hielt sich nicht lange mit Vorreden auf und kam gleich zur Sache. Ich bat ihn aufzuhören. Ich wehrte mich mit allen meinen Kräften. Ich bettelte, ich schrie, ich weinte. Aber diese Sau ist stark. Hinterher befahl er mir, keinem etwas zu erzählen. Schon gar nicht etwa der Polizei. Anderenfalls, drohte er, würde ich es bereuen.”

      In Saidis Kopf kamen viele Gedanken gleichzeitig zusammen. Was ist mit Micaela, was würde sie tun, wie würde sie mit diesem Horrorerlebnis fertig werden ? Was sollten sie ihren Eltern sagen. Oder vielmehr der Mutter. Der Vater würde histerisch reagieren und wenn er betrunken war – was in den letzten Jahren immer häufiger vorkam – anderen davon erzählen. Sollten sie zur Polizei gehen ? Sollte er jemandem in der DDR Botschaft sagen, was für ein Schwein Kutschinski ist ? Ein Verbrecher.

      Sie schwiegen beide. Eine ganze Weile.

      “Sag’ nichts,” hörte er Micaela ganz leise. “Gar nichts. Zu niemanden.”

      “Spinnst du ? Wie stellst du dir dies vor ? Soll ich diese brutale Sau weiter chauffieren, als sei nichts geschehen ?”

      “Bitte !”

      Saidi war außer sich. Er glaubte fast, den Verstand zu verlieren. Als älterer Bruder hatte er sich immer als Beschützer seiner Schwester gesehen. Hatte er versagt ?

      Er musste sich beruhigen. Klaren Kopf behalten.

      Am nächsten Morgen war Sonntag. Gottseidank, er hatte frei. Zeit zum Nachdenken.

      *

      Obwohl es über 20 Jahre her ist, wühlte ihn

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