Sternengeflüster. Mara Janisch
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„Ein Cappuccino und ein Apfelstrudel mit Schlag.“
„Danke“, sagt Umberto.
„Nur für sich allein singen – ausgenommen beim Üben – hat wirklich nichts mit Singen zu tun“, antworte ich.
„Genauso empfinde ich es, “ Umberto schaut seinen Kaffee gar nicht an und fährt fort „doch der Klang, der in mir entsteht, wieso hat er solche sozialen Bedürfnisse? Welches Geheimnis verbirgt sich im Klang?“, fragt er weiter.
„Wie alle Geheimnisse, so verbergen sie sich, aber ich denke der Klang kommt aus einer Welt, der der Mensch in seinem tiefsten Inneren angehört. Einer Welt, die ihm entglitten ist, einer Welt, deren Zutritt ihm mehr verschlossen als geöffnet ist. Und jedes Mal ist es ein Wunder, wenn sich dieser Zutritt ereignet. So wie ein scheinbar verbotener Garten, das Paradies, das man zufällig entdeckt“, antworte ich.
Umberto gerät in eine Erregung.
„Und dieses Wunder der Paradiesöffnung soll Abend für Abend mit einer bestimmten Gesangstechnik sichergestellt werden“, stellt er in Frage.
„Eine unverbildete Gesangstechnik ist die Grundlage dafür“, füge ich hinzu.
„Aber mit dieser Grundlage öffnen sich noch nicht die Pforten des Paradieses“, schließt er an.
„Nein, das nicht.“
„Und wer öffnet diese Pforten?“, will Umberto wissen.
Zunächst lächle ich angesichts dieser schweren Frage.
„Ja, wenn man das wüsste; die Gesangstechnik macht sicher den kleinsten Teil, ich schätze 40 Prozent von diesem Wunder aus“, sage ich.
„Wenn ich bedeutende Sänger beobachte und höre, glaube ich diesem Wunder näher zu kommen!“, sinniert Umberto.
„Zum Teil, ja“, gebe ich zu.
„Zum Beispiel, mein großes Vorbild, Giuseppe di Stefano, er hat seine Gesangsausbildung nicht fertig gemacht, aber – oder gerade deshalb hatte er dieses Charisma“, schwärmt er.
„Ja, weil er mit höchster Hingabe und Liebe gesungen hat – mit Enthusiasmus – mit Begeisterung. Und die Liebe des Publikums hat ihn getragen, er durfte auch Fehler machen und ist nicht verstoßen worden. Ein Phänomen, das heute undenkbar wäre. Umberto, willst du noch schöner werden, dein Kaffee wird kalt.“ Er lacht und fährt erregt fort ohne Kaffee und Strudel zu beachten.
„Ich merke jetzt schon an der Musikhochschule, dass ich diesen verbissenen Ehrgeiz einfach nicht mitmachen will, ich kann nur lachen darüber, das hat doch nichts mit Singen zu tun. Einen angemessenen Leistungsgedanken aus der Werktreue heraus zu verwirklichen – das kann ich noch verstehen. Auch, dass ein gewisser Grad an Genauigkeit dazugehört, um zu musizieren – das alles kann ich verstehen. Aber nur diese kalte Perfektion, das lehne ich ab. Das Geheimnis des Singens, es wird ganz entzaubert, profanisiert“, sagt er traurig. „Und wenn ich dich nicht als Privat-Lehrerin hätte, würde ich ganz verzweifeln. Ich überlege mir allen Ernstes, ob ich das nächste Jahr noch mache. Ich habe dort wenig gelernt – im Gegenteil, ich muss aufpassen, dass ich dort nichts verlerne“, antwortet er.
„Umberto jetzt übertreibst du aber ein wenig. Die Hochschule für Musik ist eine ausgezeichnete Schule. Dass deine Individualität eine andere Art der Ausbildung braucht, ist wieder eine andere Sache.“
Umberto schaut sehr traurig aus, aber plötzlich hellt sich sein Gesicht auf und er sagt: „Wir wollten doch unser Lied singen.“
„Schon wieder?“, frage ich.
„Du hast ja gesagt, immer wenn ich traurig werde, soll ich es singen.“
„Aber hier?“, wende ich ein.
„Ja, hier.“
„Na gut“, stimme ich zu.
Wir wiegen uns in den Takt ein und an den Nebentischen sitzen Menschen in ihre Zeitungen vertieft. Wir beginnen „Que serat, serat, whatever will be, will be ...“ zu singen. Wir singen nicht laut, weil wir es nur für uns singen und auch keine Aufmerksamkeit erregen wollen.
Umberto hat eine wunderbare Tenorstimme und ich begleite ihn mit meiner Sopranstimme. Die Menschen werden aber doch aufmerksam auf uns, sie legen ihre Zeitungen weg und lächeln uns an.
Aber in dem Moment ändert sich auch unser Verhalten und wir nehmen die Zuneigung aus einem gewissen Theaterinstinkt sofort an und singen, was wir nicht vorhatten, mit voller Stimme.
Von den Tischen, die um die Ecke der Meierei stehen, kommen Menschen neugierig hervor. Den Serviererinnen merkt man an, dass sie nicht so recht wissen was hier vorgeht. Es ist mir fast schon peinlich, dass wir jetzt so im Mittelpunkt stehen.
Jetzt fangen wir mit der dritten und letzten Strophe an, die mit einem hohen langen Ton endet. Umberto steht automatisch auf, um diesen letzten Ton besser stützen zu können. Ich lasse ihn alleine weiter singen bis über den hohen Ton hinaus, damit man seine Stimme gut hört. Der Schlusston – lang ausgehalten hallt förmlich im Park der Meierei.
Die Menschen applaudieren und kommen zu unserem Tisch.
„Das war wunderschön, so wohltuend, vor allem so überraschend. Einen Klavierspieler haben wir schon oft gehört, aber noch nie Sänger. Kommen Sie morgen wieder hierher, um welche Zeit?“, fragen sie.
„Nein, nein, wir treten hier nicht auf, das war wirklich ein Zufall“, sage ich. Aber niemand glaubt uns; in dem Moment sehe ich Umberto von einer Schar junger Mädchen umringt, die ein Autogramm von ihm wollen.
Plötzlich fangen einige Menschen wieder zu applaudieren an, die anderen stimmen ein.
„Bitte noch eine Zugabe“, hören wir eine Frau sagen.
„Ja, bitte eine Zugabe“, wiederholt sie. Wir stehen vor ungefähr 30 Menschen, die von uns noch eine Zugabe wollen!
Ich versuche den Menschen zu erklären, dass wir hier private Gäste sind und keine Zugaben vorbereitet haben.
„Dann wenigstens eine Strophe noch einmal“, hören wir aus der Gruppe jemand sagen.
Umberto und ich schauen uns hilflos an, in dem Moment ruft die Mädchengruppe um Umberto
„Bitte noch eine Strophe!“.
Also gut, wir singen noch einmal die letzte Strophe. Ich merke wie nervös Umberto wird, weil jetzt die Erwartung der Menschen eine Forderung nach „gut sein müssen“ fast erzwingt, deshalb singe ich mit meinem Orpheus gemeinsam den letzten hohen Ton und er dankt es mir mit seinem Blick. Es ist gutgegangen! Sehr gut sogar! Die Menschen applaudieren wieder begeistert – langsam löst sich die Gruppe auf mit den Worten:
„Morgen kommen wir wieder.“
Ich habe es aufgegeben, den Menschen zu erklären, dass wir hier nicht auftreten und langsam beruhigt sich alles wieder. Da Umberto mehr als überfordert aussieht, rufen wir die Serviererin, um zu zahlen und aufzubrechen.