So weit weg uns doch ganz nah. Eomée Wächter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу So weit weg uns doch ganz nah - Eomée Wächter страница 9
Am Schlimmsten war das nächtliche Einschlafen, da bekam ich eine kleine niedrig dosierte Einschlafhilfe. Ich ließ den Weihnachtsengel aus Halit-Salz ständig leuchten, er stand auf dem Tisch, Timos Bild daneben, ihn ständig betrachtend und ihn heimlich bittend, er möge nach Hause kommen, während ich versuchte, auf dem Sofa einzuschlafen.
Jedes kleine Geräusch ließ mich hochschrecken, es könnte doch Timo sein, der gerade die Haustüre aufsperrt und „Hi Mum“ ruft. Die Einschlafhilfe hat dann doch gewonnen und ich fiel in einen tiefen Schlaf.
Jeden Abend zündete ich draußen eine große Kerze an, vor der Kellertreppentür, die Timo doch den Nachhauseweg leuchten soll. Doch Timo kam nicht wieder ….
Fabian war unsere größte Stütze in dieser schweren Anfangszeit. Ich frage mich noch heute, woher er diese Energie nahm, diese Ruhe ausstrahlte, um mich und Robin für den schwersten Tag unseres Lebens vorzubereiten, die Beerdigung. Er fuhr uns zum Beerdigungsinstitut, wir redeten über Abschiedszeremonien, wie die Urne auszusehen hat vor allem standen wir vor der großen Frage. „wo wird Timos letzte Ruhestätte sein“?
Wir fanden nach langem Suchen eine schöne Stelle, ein Baumgrab sollte es werden. Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Timo, als wir von Röttenbach aus dem schönen alten Häuschen wegen Eigenbedarf des Mieters ausziehen mussten. Er fand ein Prospekt über Baumbestattungen und ich erklärte ihm, dass ich mir so etwas wünsche, wenn ich mal das Zeitliche segne. Er fand diese Idee gut und ich erklärte ihm, dass es an der Zeit ist, dass ich meinen letzten Willen aufsetze, damit er weiß, was zu tun ist, wenn ich gehe.
Nun ist es andersrum, ich musste Timo irgendwie und irgendwo begraben, mein eigenes Kind, welches in meinem Bauch heranwuchs, sein Strampeln ich oftmals an der Bauchdecke zu spüren bekam, mein Kind, das aus mir heraus gewachsen und geboren wurde, muss ich wieder zurückgeben in einer Urne … an Gott.
Ein Tag vor seinem Tod fragte mich Timo über whats app (ich war schon zur Kur), ob er eine „Homeparty“ Zuhause am 15.11.13 machen darf. Das war mir nur recht, wenn er Zuhause blieb bei seinem Bruder und stimmte dem zu. Ich bat ihn nur, zwei Zimmer abzuschließen, doch die Türschlüssel fand er nicht. Ich wollte es ihm noch schreiben, wo die Schlüssel zu finden sind, doch er antwortete mir: „das hat doch alles noch Zeit“ … das waren seine letzten Worte an mich ….
Was ich als Mutter immer versuchte einzuhalten waren die Versprechungen, die ich meinen Kindern gab. Wenn es mal nicht funktionierte, fand ich immer einen Weg, es nachzuholen. Somit versprach ich Timo an seinem Bild, eine Kerze anzündend, dass ich ihm seinen letzten Wunsch noch erfüllen werde. Ich werde seine Homeparty organisieren mit seinen Freunden.
Somit machten wir, Fabian, Robin und ich, uns ans Werk, suchten einen geeigneten Raum zum Feiern und einen Tag, an dem es stattfinden soll, an seiner offiziellen Beerdigung am 22.11.13, an John F. Kennedys 50igsten Todestag. Warum das Datum? Es hieß damals in den USA, dass ein Präsident dort einzieht, der den „heiligen Gral“ mitbringt. Das war die Verbindung von Timo zu ihm, Timos Abschiedsgedicht.
Zuvor war jedoch noch die Aussegnungsfeier mit Sarg angedacht. Es sollen seine Freunde und Lehrer, Bekannte und Verwandte sich auf eine besondere Art und Weise bei ihm verabschieden können.
Ich erinnerte mich an eine Situation, halbes Jahr zuvor, als die Erlanger Bergkirchweih zu Pfingsten stattfand. Mit Lederhosen und schicken karrierten Hemden machten sich die jungen Burschen auf den Weg zum Berg. Unterwegs war unser neu bezogenes Haus in Alterlangen eine willkommene Zwischenstation, um sich zu stärken für den weiteren „Kastenlauf“ zum Berg. So trafen einige Freunde bei uns ein und machten es sich in unserem kleinen Holzhäuschen gemütlich, feierten, lachten, tranken Bier, so wie es eben ist bei einer Kirchweih.
Einen Tag später ging ich in das Häuschen und es traf mich der Schlag. Der schöne Holztisch wurde bemalt, beschriftet mit Songs und Zitaten, sie hatten mächtig Spaß daran,die Buben. Und kurze Zeit später durften Timo und Jan diesen Holztisch abschleifen und neu versiegeln, unter sengender Hitze, mit Sonnenschirm als Schutz und kühlen Getränke von mir. Der Tisch sah dann danach wieder wie neu aus.
Und diese Begebenheit packte ich beim Schopf und legte neben dem Sarg auf dem Tisch eine Vielzahl von Stiften mit der Aufforderung, Timos Sarg doch zu bemalen, ihn zu beschriften, ihm noch persönlich was mitzugeben auf seine letzte Reise. Der Sarg sah danach wunderschön bunt aus und ich denke, dass es eine gute Idee war, somit war jeder von seinen Freunden und Bekannten nochmal ganz nah mit ihm zusammen, ganz nah bei ihm, während sie malten und konnte auf ihre Weise von ihm Abschied nehmen. Es wurden Bilder davon gemacht, die ich bis heute nicht anschauen konnte ….
Auf dem Tisch lagen noch Zettel aus, wer mochte, konnte ihm noch etwas schreiben oder etwas in die Glasschale legen, ein letztes Geschenk, letzte Worte an ihn gerichtet. All das wurde nach der Aussegnungsfeier mit in den Sarg gelegt und ging auf die Reise mit ihm zum Krematorium nach Coburg. Coburg ist die Stadt, wo meine Ahnen väterlicherseits herstammen.
Diese Abschiedsfeier sollte nicht steif und traurig verlaufen, das hätte Timo niemals gewollt und gewünscht. Ich holte mir immer seine Energie, wenn ich Entscheidungen treffen wollte und fühlte dann die Zustimmung von ihm aus der geistigen Welt.
Somit bat ich seine engsten Freunde, seine Lieblingsmusik aufzulegen, diese im Aussegnungssaal zu spielen, während die Menschen kamen und sich bei ihm verabschiedeten. Draußen gab es Kaffee und Wasser zum Trinken, seine Freunde sollten sich wohlfühlen, wenn sie ihn verabschieden müssen. All das wurde von dem Beerdigungsinstitut Baumüller bestens geplant und organisiert. Wunderbare Menschen, die Baumüllers, dafür danke ich Ihnen sehr. Lange Gespräche, Umarmungen, Tränen, Auswahl der Urne, Ablauf der Beerdigung und Aussegnung, alles haben Sie übernommen und harmonisch umgesetzt, immer im Hintergrund dezent dabei und dennoch da, wenn ich Sie brauchte. Ich danken Ihnen hier an dieser Stelle sehr.
Da Timo durch einen Seitenaufprall (laut meiner Recherche durch viel zu hoher Geschwindigkeit des Zuges durch die Innenstadt fahrend durch den entstandenen Sog hineingezogen worden) starb und sein Körper zerstört wurde, hat man mir eindringlich empfohlen auch seitens der Kripo, ihn nicht mehr persönlich zu verabschieden, ihn anzusehen. Ich haderte mit dieser Entscheidung, ich wollte doch nochmal seinen Kopf streicheln, ihn auf die Wange küssen, ihn nochmal umarmen, meinen Jungen, mein Kind ….
Verzweifelt kontaktierte ich Herrn Baumüller, brachte Timos Lieblingslederhose und sein karriertes Hemd sowie sein Foto mit und in der Aussegnungshalle stellte ich ihm drei Fragen mit der Bitte, sie nur kurz zu beantworten:
1 Können Sie ihm seine Lederhose und Hemd anziehen? Antwort: nein, nur drauflegen
2 Erkennen Sie Timo anhand dieses Fotos? Antwort: nein, nur schwer.
3 Kann ich ihn sehen und mich von ihm verabschieden? Antwort: er schüttelte verneinend heftig den Kopf
Mit Tränen in den Augen nahm er die Anziehsachen von Timo behutsam an und versprach mir, dass er sie so auflegen wird, dass man denken könnte, er hätte sie an. Ich weiß nicht mehr, wer mich dorthin gefahren hat und wie ich dann nach Hause kam; ich denke, dass Fabian immer in meiner Nähe war und mich beobachtete, schaute, dass ich durchhalte. Ich weiß nur noch, dass ich immer noch weinen konnte und immer noch Tränen kamen, die wie ein Wasserfall über meine Wangen liefen. Soviel kann man doch gar nicht weinen … oh doch, bis zur gänzlichen Erschöpfung und immer wieder ….
Der Tag der Aussegnung, bis dahin war ich tapfer und irgendwie stark, konnte reden, organisieren und immer noch weinen … doch als ich vor der großen Tür stand zur Aussegnungshalle und Fabian sie öffnete, war es aus.