Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus Perschke
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Kommen wir zu Hans Wölbing, dem Verfasser des Artikels „Hol dien Muul“, Seite 60 in „Küstenschiffer“. Er schreibt darin von einer „Schiffsjungenschule Stettin“ bei Ziegenort, wohin er 1942 einberufen worden war. (siehe auch Band 2 in dieser maritimen gelben Buchreihe) „An die dortige komprimierte Einführung in alle wichtigen Kenntnisse und Fähigkeiten und den Unterricht zu Fragen der Schiffssicherheit und Rettungseinrichtungen schloss sich eine mehr-monatliche Fahrtzeit auf dem Viermastschoner NORDWIND an. Unter Führung eines alten und sehr qualifizierten Bootsmannes sowie eines ebenfalls qualifizierten ehemaligen Offiziers der Kaiserlichen Marine als Kapitän versah der 14jährige Schiffsjunge Wölbing zusammen mit gleichaltrigen Kameraden seinen Dienst wie ein gestandener Matrose.“
Auch Wilhelm Hausmann, der spätere Leiter der Referate „Fischerei“ und „Nautik“ bei der See-Berufsgenossenschaft Hamburg, erinnerte sich, dass es außer Stettin noch in Hamburg und Bremen Ausbildungszentren gab, die alle dem Reichskommissar für die Seeschifffahrt unterstanden. Auf dem Fünfmastschoner „KAPITÄN HILGENDORF“, der 1918 in Vancouver ursprünglich für kanadische Rechnung gebaut worden war und 1939 vom Reichsverkehrsministerium, Abteilung „Reichsverkehrsgruppe Seeschifffahrt“ erworben und nach entsprechendem Umbau als stationäres Schulschiff in Dienst gestellt wurde, fanden sechswöchige Ausbildungslehrgänge statt. Ein straffer Lehrgang vermittelte seemännische Grundfertigkeiten im Umgang mit Tauwerk und Drähten, im Rettungsbootsdienst, im Lichtmorsen sowie Winken mit Signalflaggen, in der Unterweisung wichtiger Kapitel der Seeschifffahrtsstraßenordnung und der Lichterführung der Schiffe auf See“.
Es gab aber auch private Initiatoren wie den Hamburger Reeder John T. Essberger, welcher ein „Fracht fahrendes Segelschulschiff“, die Bark „SEUTE DEERN“, in der Ostseefahrt seit Ende der 1930er Jahre als Ausbildungsschiff in Dienst hatte. Nach wechselvollem Schicksal liegt es heute als Museumsschiff des Deutschen Schifffahrtmuseums in Bremerhaven im Museumshafen.
Erwähnenswert ist auch das stationäre Ausbildungsschiff „NAWITKA“, des Norddeutschen Lloyds in Bremerhaven. Die NAWITKA war ein ehemaliger amerikanischer Dampfer, der seit 1923 in Bremerhaven als Hulk aufgelegen hatte und 1925 vom NDL als Ausbildungsschiff übernommen worden war. Auch dort hatten pädagogisch erfahrene Bootsleute den angehenden Schiffsjungen mit preußischer Disziplin und Drill Grundkenntnisse der Seemannschaft bis hin zum Spleißen und Knoten von Schiffstauwerk und Schiffsdrähten vermittelt.
Band 1 dieser maritimen gelben Buchreihe berichtet über den späteren Kapitän Hans Borgward:
Am 11.4.1944 begann Hans seine seemännische Laufbahn als Schiffsjunge auf dem Schulschiff „GROSSHERZOGIN ELISABETH“, das der Seemannsschule Finkenwerder zur Verfügung stand. In vier Monaten wurde ihm mit dem damals üblichen militärischen Drill das seemännische Grundwissen eingebläut. „Wir schliefen mit etwa 60 Mann in einem Raum in Hängematten. Geweckt wurde mittels Flötens mit einer Trillerpfeife. Morgens beim Wecken fingen bereits die ersten Schikanen an. Jede Hängematte musste am Fußende mit einem Slipsteek versehen sein. Wer nicht sofort aus der Matte war, dem wurde der Slipsteek gezogen, und er fiel aus 1,5 m Höhe auf den Fußboden. Die Ausbilder zogen immer erst bei einigen Schiffsjungen den Slipsteek, bevor sie flöteten. Es war eine harte Schule mit viel Schikane, aber ich zehre noch heute von den Grundverhaltensmustern, zu denen wir damals erzogen wurden. Vor dem Landgang am Sonntag wurden wir streng kontrolliert. Es wurden ja mindestens acht Mann für Reinigungsarbeiten an Bord benötigt. Die suchte man sich bei den Landgangskontrollen heraus: Wessen Schuhsohlensteg nicht einwandfrei sauber war, war für den Landgang ausgeschlossen. Wenn alle Schuhstege sauber waren, fand man bestimmt Leute, deren Zahnbürste Mängel aufwies. Die benötigten 8 Mann fielen immer durchs Sieb.
Nach den vier Monaten in Finkenwerder wechselte ich auf das in der Flensburger Förde liegende Schulschiff „PADUA“ (die heute unter russischer Flagge segelnde „KRUSENSTRERN“). Es war nicht leicht, auf diesem Schulschiff einen Platz zu bekommen, aber mein Onkel war dort Kapitän, und diese Beziehungen halfen mir. Zum Ausbildungsprogramm gehörten auch Lerninhalte militärischen Charakters, z.B. Lichtmorsen und Ausbildung an der Vierlingsflak. Wenn die angloamerikanischen Bomberverbände über uns hinwegzogen, mussten wir Munition für die Flak schleppen. Nach 8 Monaten bestand ich im Herbst 1944 an Bord der PADUA die Leichtmatrosen-Prüfung und meldete mich sofort freiwillig auf einen Dampfer.“
Also gab es doch die vorgeschriebene Ausbildung für angehende Seeleute, allerdings militärisch straff ausgerichtet mit gewissen Hintergedanken. Die damalige Reichsregierung hatte entsprechend qualifizierte Ausbildungszentren für den seemännischen Nachwuchs an Nord- und Ostseeküste eingerichtet und die vorgeschulten Schiffsjungen in die verbliebene Nord- und Ostseefahrt vermittelt.
Nach 1945 wurden diese pädagogischen Aufgaben zur Ausbildung des Nachwuchses stark vernachlässigt, besonders in der Küstenschifffahrt. Dafür hatte man in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch keine Zeit und kein Geld und die meisten Küstenschiffer vermutlich auch kein großes pädagogisches Feeling für die Ausbildung des Nachwuchses in der Nord- und Ostseefahrt.
Ein Blick über den Tellerrand zu unseren britischen Nachbarn kann auch nicht schaden. Ich möchte behaupten, die absolut beste Ausbildung für den seemännischen Nachwuchs auf Segelschiffen wurde in U.K., also in Großbritannien, praktiziert.
In „YOUNG SEAMAN’s MANUAL and RIGGER’s GUIDE”, herausgegeben von CAPTAIN C. BURNEY, R.N., C.B., F.R.G.S, Superintendent of Greenwich Hospital Schools, erschienen im KEGAN PAUL, TRENCH, TRÜBNER Verlag, London 1901, wird ein Nachschlagwerk vorgestellt, welches wahrscheinlich schon ein Jahrhundert lang zur Standartausrüstung für die Royal Navy und die Mercantile Marine gehört und die gesamte Palette der Seemannschaft auf Segelschiffen bis ins kleinste Detail abhandelte. Es würde Monate dauern, um den komplexen Inhalt zu studieren und zu verinnerlichen.
Meine ersten Schritte an Bord eines schwimmenden Untersatzes
Nachdem ich im März 1951 aus der Volksschule entlassen worden war, ging es zunächst darum, dass mein Vater mir seine schriftliche Einwilligung zur Seefahrt gab. Seine Vorurteile konnte ich in einem andauernden Gespräch inhaltlich ungefähr so abfedern: „Zum einen fahre ich nicht nach Halchter zur Gerda, da ich keine Lust auf Landwirtschaft und Kuhstallausmisten habe“, worauf mein Vater konterte: „Aber die Landwirte sind schon immer gut durch die mageren Jahre gekommen.“ Als er noch der große Oberzahlmeister von Führers Gnaden war, wollte er mich in Paris Kunst studieren lassen. Doch jetzt, wo der Führer ihn in Stich gelassen hatte, sollte ich mein künstlerisches Talent im Kuhstall eines Gutshofs verbraten! Verrückt! Egal, er merkte, dass er mir nicht mit seinen Drohungen und schon gar nicht mit der Landwirtschaft imponieren konnte. Außerdem bestand für mich die Chance, dass ich aus dem verdammten Steckrüben- und Kohlsuppen-Speiseplan meiner Mutter ausbrechen und dem Chef eventuell Tabakwaren von Bord mitbringen konnte. Also, die erste Hürde war geschafft. Jetzt ging es darum, eine vernünftige Arbeitsbekleidung für den zukünftigen Seemann zu organisieren. Da ich immer noch die Fischkutterkarriere im Kopf hatte, brauchte ich nun in erster Linie „wullen Ünnertüüg“, warme wollene Unterwäsche aus Mako, denn die war entscheidend beim Arbeiten an Deck, um auch bei Kälte und Nässe gesund durch den Winter zu kommen. Da die Fischerei auch bei schlechtem Wetter stattfindet und man dabei öfters nass wird, war es wichtig, Wollklamotten auf dem Körper zu tragen. Aber die waren teuer, jedenfalls für einen arbeitslosen Vater. Dazu kam kräftige Oberbekleidung (wullen Obertüüg), z. B. zwei Buscherumps (Arbeitskittel), wullen Pullover, wullen Strümp, gleich mehrere Paare, wullen Fischerbüx, die ingelnschleddern Büx, eine Arbeitshose aus Baumwollstoff, Hultpantinen (Holzpantinen) und Eultüüg, früher geöltes Leinenzeug, wie es mein Vater noch als Leichtmatrose und Matrose getragen hatte, nach dem letzten Krieg gab