Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus Perschke

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Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56 - Klaus Perschke

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polnischen Tallymädchen, die in den Westen verschwinden wollten.

      Der Schiffsmakler händigte Kapitän von Busch die Manifeste aus, weiterhin die Rechnung des Schiffshändlers, denn der war zwischendurch während des Ladens an Bord gewesen und hatte dem Alten mehrere Kartons guten polnischen Wodkas verkauft. Wodka war damals billig in den polnischen Häfen und Wodka wird in den skandinavischen Ländern, besonders in Finnland, gerne getrunken.

      Normalerweise darf man in jedem schwedischen, norwegischen, dänischen und finnischen Hafen nur über eine Flasche Alkohol pro Besatzungsmitglied frei verfügen. Aber was ist schon normal? Die Geldgier verführte schon immer Generationen dieser in der Ostsee fahrenden Kümokapitäne und alle weiteren Seeleute zum russischen Roulett mit den Zollbehörden. Und in den 1950er Jahren waren der Erlös von 20 schwedischen Kronen oder Finnmark ein profitables Nebengeschäft für jeden Ostseefahrer. Jedoch, erlaubt war nur eine Flasche Feuerwasser. Aber profitabel wurde das Geschäft erst ab einem Karton mit in der Regel sechs Flaschen. Doch diese unerlaubte Überzahl musste man an Bord vor dem Zoll verstecken, allerdings so, dass die Herren der „Swaten Gang“ diesen Schatz nicht fanden. Das Problem war nur: Die Zollbehörden in den skandinavischen Ländern waren auch nicht auf den Kopf gefallen. Die Beamten der Swaten Gang (Schwarze Gang = Zollbeamte, die ein Schiff nach verbotenen Schmuggelwaren durchsuchen) waren meistens ehemalige zur See gefahrenen Schiffsmaschineningenieure, die jeden Maschinenraum aus dem „FF“ kannten, desgleichen die Unterkünfte der Besatzung sowie den gesamten Schiffskörper von vorn bis achtern. Diese Herren kannten also die „schwarzen Schwäne“ der Ostsee. Und Fritz von Busch stand wie viele andere Kümokapitäne ganz oben auf der schwarzen Liste der skandinavischen Zollbehörden.

      Auch dieses Mal bekam der Schiffsmakler für den schwedischen Kollegen in Gävle das obligatorische ETA ausgehändigt. ETA hat nichts mit der baskischen Terrororganisation zu tun. Es bedeutet schlicht und einfach „Estimated Time of Arrival“ in Gävle, zu Deutsch „geschätzte Ankunftszeit“.

      Da die Distanz von Stettin bis Gävle genau 506 Seemeilen beträgt, würde die Reise bei einer optimalen Fahrt von 10 Knoten pro Stunde bei gutem Wetter 51 Stunden oder 2 Tage und 3 Stunden dauern. Der Gävleer Schiffsmakler hatte jetzt genügend Zeit, den Liegeplatz des Schiffes zu organisieren, die Stauerei, den Empfänger, den Zoll und die Einklarierungsbehörde auf die Ankunftszeit des Schiffes vorzubereiten.

      Doch noch waren wir in Stettin. Nachdem die Ausklarierung abgeschlossen und der Lotse an Bord gekommen war, wurde nur noch das Brückendeck, Backbord und Steuerbordseite, das Peildeck und vorkante Steuerhaus die Front und die Fenster abgewaschen. Als wir damit endlich fertig waren, hieß es: „Klar vorn und achtern!“ Die Hauptmaschine wurde angeschmissen, ein Hafenschlepper machte vorn an Stb-Seite fest, und dann kam der Befehl „Alle Leinen los!“ Schon törnte der Hafenschlepper vorsichtig ein, zog uns vom Kai ab und drehte uns im Hafenbecken. Und nachdem er uns auf Auslaufkurs gewendet hatte, hieß es: „Schlepperleine los!“, und wir fuhren unter Lotsenberatung langsam in Richtung Stettiner Haff, auf der Swina und durch Swinemünde bis zur Mündung in die Ostsee. In der Zwischenzeit waren von unseren Jan Maaten die restlichen achteren Aufbauten und das Hauptdeck gewaschen worden. Die ACHILLES sah wieder einiger Maßen sauber aus.

      Unser Kurs und Ziel war die südöstliche Küste Schwedens, dann zwischen Öland und dem Festland hindurch bis zu den Stockholmer Schären. Vor uns lag die Nacht.

      Während ich in der Kombüse noch Backschaft machte, kam der 1. Steuermann vorbei und erklärte mir, was am nächsten Tag auf dem Speiseplan stand. Irgendetwas, das ich sogar kapierte und sogar schon erledigen konnte. Es sollte frische Suppe mit viel Gemüse und Kartoffeln und ein großes Stück Bauchfleisch geben. Am nächsten Morgen sollte ich mir dann noch die Zutaten bei ihm abholen, denn er war der „Speckschneider“, der Herrscher über den Proviantraum. Vor dem Zur-Koje-gehen musste ich aber erst noch Kleinholz und Papier zum Feuermachen bereit legen.

      In der Nacht war Nebel aufgekommen. Die ACHILLES fuhr mit der den Sichtverhältnissen entsprechenden Geschwindigkeit, also langsam. Und da es 1951 in Deutschland noch keine Radargeräte für Küstenmotorschiffe dieser Größe gab, musste ein Mann als Ausguck vorn auf der Back stehen und nach Typhongeräuschen von entgegenkommenden Schiffen „aushorchen“ bzw. nach entgegenkommenden Lichtern Ausschau halten. Von achtern brüllte alle drei Minuten das blöde Typhon der ACHILLES. Ein Heidenkrach, bei dem man ganz bestimmt nicht vorn unter der Back schlafen konnte. Also brauchte man mich am nächsten Morgen erst gar nicht zu wecken, da ich ab Mitternacht kein Auge zugemacht hatte. Morgens um 5 Uhr war ich bereits in der Kombüse, hatte kurz darauf das Feuer im Herd angezündet und den Wasserkessel aufgesetzt. Das Frühstück musste für den Alten, der die ganze Nacht auf der Brücke war, sowie für den von der 00-06 Uhr Wache gehenden 2. Steuermann, den Rudergänger und den Ausguck und für die nächste Wache vorbereitet werden. Ab 4 Uhr war es auch schon hell, also die Sonne längst aufgegangen. Je weiter man im Sommer nördlich fährt, desto kürzer wird die Nacht

      Wir hatten die ganze Nacht spiegelglatte See und, nachdem der Nebel sich gelichtet hatte, wurde auf Anweisung des Kapitäns der Ausguck von der Back abgezogen. Der 1. Steuermann musste selbst ans Paddel, denn der Alte hatte an diesem Morgen viel auf dem Zettel stehen. Seine Order lautete: Vermessungsluke auf, also abdecken. Das heißt, beide Persenninge und die Holzlukendeckel entfernen und an der Seite der Vermessungsluke stapeln. Anschließend wurde eine Art Rutsche in den Raum gebaut, die bis auf das Deck der Zwischendeckluke reichte. Der Matrose, die Maaten von der 06-12 Wache, alle drei mussten jetzt von der Deckladung Briketts in Säcke füllen, die Säcke auf der Rutsche in die Vermessungsluke runterrutschen lassen und auf dem Zwischendeck von der inneren Bordwand aus die Briketts aufstapeln. Und damit hatten sie den ganzen Tag zu tun. So eine günstige Gelegenheit kam für Fritz von Busch während meiner Zeit an Bord nie wieder. Ein Schlitzohr war er schon immer gewesen. Es war „vom Kapitän angeordneter Ladungsdiebstahl“.

      Während die Jan Maaten in der Vermessungsluke eine Lage Briketts nach der anderen aufstapelten, musste der Steuermann oben auf der Brücke sowohl das Kümo steuern als auch noch den Standort der Achilles bestimmen. Auf Dauer war das nervig, denn der Alte hatte sich ein paar Stunden in sein Kabuff zurückgezogen. Wie konnte man diesen nervigen Job erleichtern? Man krallt sich den Moses und stellt ihn vorübergehend an das Steuerrad! Doch am Vormittag konnte man das nur zwischendurch für kurze Zeit machen, da der Moses ja auch noch das Mittagessen kochen musste. Also lief es dann so ab: „Mooses, komm gliigs up de Brüch und bring n’ Muck Kaffä mit no bobn.“ Die Kaffeezeit war immer von 10:00 bis 10:30 Uhr. Und da ich für die Werktätigen der Christlichen Seefahrt den Kaffee schon gekocht und in der Kombüse auf dem Kombüsentisch Brot, Butter, Wurst und Käse angerichtet hatte, konnte ich mit einem Tablett mit einer Muck Kaffee, Milchkännchen und Zuckerdose auf die Brücke entfleuchen. Dort angekommen, stellte ich das Tablett auf dem Klapptisch ab und wollte sofort wieder umkehren. Doch der alte Bohning ließ mich nicht laufen. Stattdessen stellte er mich ans Ruder, und ich musste steuern lernen. Er unterwies mich nun in der Kunst des Steuern, weil er mich dringend brauchte.

      Zuerst erklärte mir der Steuermann den Magnetsteuerkompass: Die Kompassrose bildet einen Kreis und ist in 360 Bogengrad unterteilt, beziehungsweise auch in 32 Striche. Ein Strich hat 11,25 Bogengrad. Dann wies er auf die „Vorausanzeige des Schiffes“, ein schwarzer Strich, der an der weißen Innenseite des Kompasskessels angebracht ist. Weiter erklärte er mir, dass die schwimmende Kompassrose mit Magneten ausgestattet ist und sich aus diesem Grund immer zum magnetischen Nordpol ausrichtet und dass man, um ein Schiff auf Kurs zu halten, immer versuchen muss, den schwarzen Steuerstrich am Kompasskessel mit dem angegebenen Kompasskurs auf der Rose in Deckung zu bringen. Manche lernen es schnell, und manche lernen es nie. Und wie gut man als Rudersmann steuert, kann man durch einen Blick achteraus auf das Schraubenwasser des Schiffes kontrollieren. Steuert man gut, ist das Schraubenwasser achteraus eine ganz leicht geschlängelte Linie. Steuert man miserabel, dann sieht es aus, als ob man seinen Namen schreibt.

      Und bei gutem Wetter, also bei Windstille und schwach bewegter See, kann man ein Schiff mit ganz wenig „Ruder geben“, also

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