Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1. Manfred Stuhrmann-Spangenberg
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Eines will mir Joe aber unbedingt noch zeigen, bevor er um 18.30 Uhr zur heutigen Gemeinderatssitzung muss. „Wir fahren jetzt noch zum Pumpspeicherwerk. Wir haben hier in Vianden nämlich nicht nur historische Bauten, sondern echtes Hightech.“ Also fahren wir an der Staumauer vorbei und am Our-Stausee entlang bis zum Eingang einer unterirdischen Kavernenhalle. Durch einen langen Stollen gelangen wir bis zur großen Maschinenhalle. Durch ein Fenster blicken wir auf neun Maschinengruppen, die jeweils aus einem Generator, einer Turbine und einer Pumpe bestehen. „Die Idee ist im Prinzip ganz einfach, auch wenn es dann in der Wirklichkeit etwas komplizierter ist“, soweit Joe. „In Zeiten mit wenig Stromverbrauch wird über die Pumpen Wasser aus dem Stausee nach oben in große Sammelbecken gepumpt. Bei hohem Stromverbrauch, d. h. bei großem Bedarf an Strom, lässt man Wasser von oben nach unten durch die Turbinen fließen, die dann mit Generatoren Strom erzeugen. Unser Pumpspeicherwerk ist das größte seiner Art in Europa.“ Ich bin begeistert. Heißt es nicht immer, dass sich Strom leider nicht speichern lässt? Diese Art der Stromgewinnung aus Wasserspeichern erscheint mir geradezu genial, zudem man die ganze Produktion in den Berg verlegt hat, d. h. draußen sind außer Umspannmasten, den Speicherbecken und dem Stausee keine Anlagen zu sehen, die die hier überaus reizvolle Landschaft beeinträchtigen würden.
Wir fahren noch über den Leichenweg (über den früher die Verstorbenen vom alten im Tal gelegenen Dörfchen Bivels mangels eigenen Friedhofs nach Walsdorf gebracht wurden; das im wahrsten Sinne des Wortes arme Bivels wurde ein Opfer des Stausees und oberhalb desselben neu errichtet, was sich für die Bewohner durchaus gelohnt hat) am Victor-Hugo-Aussichtspunkt vorbei zum Oberbecken. Und dann ist es auch schon fast wieder Zeit zum Abschied nehmen. Joe muss zur Gemeinderatssitzung. Wir fahren nach Vianden zurück und verabschieden uns vor dem Stadthaus. Auf dem Weg zum Bus fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe, Joe danach zu fragen, warum das Schengen-Abkommen beinahe ein Vianden-Abkommen geworden wäre (das hatte er in seiner Einladungs-Email erwähnt).
Nun, per Email reicht er dankenswerterweise die Erklärung nach: „Ursprünglich sollten die diesbezüglichen Verhandlungen auf Schloss Vianden geführt werden, ergo wäre es dann ein „Vianden-Accord“ geworden. Dieser Plan wurde aber im letzten Augenblick umgekrempelt und die Verhandlungen wurden ins Dreiländereck nach Schengen verlegt.“
Der eingangs erwähnten Aufforderung Joes, sie wissen schon, das mit den lockeren Schrauben, nun, dieser Aufforderung komme ich jedenfalls nicht nach. Joe hat keineswegs ein paar Schrauben locker! Der Mann tanzt einfach auf vielen Hochzeiten. In Bremen geht er nicht nur zum Fußball, sondern nutzt auch gern und reichhaltig die vielen Kulturangebote dieser netten Hansestadt. In Vianden kümmert er sich auch noch mit um den Naturpark Our. Kaum zu glauben, dass er obendrein noch gern und viel reist. Am liebsten mit dem umgebauten Wohnmobil durch Europa (wie es sich für einen Luxemburger gehört), aber auch gern mal nach Ostafrika (was er sich als Luxemburger ja auch leisten kann). Über seine frühere Tätigkeit als Banker haben wir allerdings nicht gesprochen. Mit und über Banker werde ich schon noch anderen Ortes sprechen, warten Sie es einfach mal ab!
Burg Vianden
Fast ein Jahrhundert Luxemburg wird zu Grabe getragen
Am 23. April ist Großherzog Jean im Alter von 98 Jahren gestorben, und heute, am 4. Mai, ist sein Staatsbegräbnis. Die Trauerfeier findet in der Kathedrale in Luxemburg-Stadt statt. Tausende Luxemburgerinnen und Luxemburger und wohl nicht wesentlich weniger Touristen aus aller Welt stehen hinter den Absperrgittern, um dem Trauerzug mit dem Sarg des Verstorbenen die Ehre zu erweisen. Als ich vorhin noch einmal kurz auf die Wetter-App geschaut habe, luden mich 2 Grad (immerhin über Null) und die Aussicht auf Regen ein, mich doch ein wenig wärmer und wetterfester bekleidet (als sonst zu dieser Jahreszeit üblich) auf den Weg zu machen. Mein frühes Kommen sichert mir einen phantastischen Platz: direkt hinter einer Gruppe luxemburgischer Frauen mit Blick auf den Eingang der Kathedrale. Gleich schräg vor mir stehen auch schon der Reporter und der Kameramann von RTL auf einer kleinen Tribüne.
Nach und nach wird es um uns herum immer voller, dafür lässt aber auch der Regen nach. Jetzt wird es kritisch: Von hinten nähert sich lauthals palavernd eine chinesische Reisegruppe. Mein Größenvorteil reicht ja prima aus, über die freundlichen Luxemburgerinnen zu gucken, aber wenn sich jetzt noch mehr als 20 Regenschirm-bewaffnete Chinesen nach vorne kämpfen, was dann? Nun, ein Hoch auf die Luxemburgerinnen und ein paar Franzosen und Holländer links und rechts neben mir. Gemeinsam wehren wir den Ansturm ab, bleiben einfach standhaft da stehen, wo wir ja schon seit einiger Zeit ausharren und der chinesische Fahnenträger bläst zum Rückzug. Gerade rechtzeitig, denn jetzt fahren die ersten Staatsgäste vor.
Meine fehlenden Kenntnisse der Regenbogenpresse gleichen die Damen vor mir mit profundem Wissen locker aus. Kaum öffnen sich die Türen der Staatskarossen, da nennt schon die eine oder andere der Kennerinnen umgehend den Namen der aussteigenden königlichen Hoheiten, auch wenn wir die meisten von ihnen nur kurz von vorn oder der Seite sehen und ansonsten dann nur noch von hinten (schließlich laufen die gekrönten Häupter ja gemessenen Schrittes in die Kathedrale hinein und nicht auf uns zu). Der belgische König Philippe mit seiner Frau Mathilde, die ehemalige niederländische Königin Beatrix, die dänische Königin Margrethe II., König Harald V. aus Norwegen mit seiner Frau Sonja, König Karl XVI. Gustav von Schweden mit Frau Silvia, Alt-König Juan Carlos mit Frau Sophia, Fürst Albert II aus Monaco, Prinzessin Anne aus dem Vereinigten Königreich, Prinz Hassan aus Jordanien und sogar der Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein mit seiner Frau Sophie – die Damen vor mir zeigen keine Schwäche und erkennen sie alle. Tief beeindruckt vom Wissen der Expertinnen schieße ich ein paar Fotos und nehme einige Videos auf.
Aber es kommt ja noch besser. Luxemburgisch hin oder her, ich verstehe genug dieser reizenden Sprache, um zu begreifen, dass meine unbekannten Freundinnen ihre Zelte hier jetzt abbrechen, um sich an einen Ort zu begeben, an dem gleich der Trauerzug mit dem Sarg und der großherzoglichen Familie vorbeikommen muss. Also nichts wie los, dorthin, wo schon so viele andere Menschen warten. Na gut, den Trauerzug sehe ich schließlich dann nur aus der dritten oder vierten Reihe. Aber dafür haben die vor mir stehenden Massen die Royals nicht live gesehen, und wann bekommt man schon einmal solch eine Gelegenheit.
Die Trauerfeier schaue ich mir dann mit allen denjenigen, die keinen Platz in der Kathedrale bekommen haben, beim „public viewing“ auf der Place d´Armes an. Und wieder werde ich sehr angenehm überrascht, denn die Feier wird auf Luxemburgisch, Französisch und Englisch abgehalten. Auch hier reichen meine Sprachkenntnisse aus, um zu verstehen, dass Großherzog Jean ein liebevolles Familienoberhaupt war und obendrein ein vielseitig engagierter, großherziger Mensch, der sein Amt sehr diskret und zurückhaltend ausgeübt hat. Und, so möchte ich hinzufügen, es war während seiner Amtszeit von 1964 bis 2000, dass Luxemburg den Wandel vom Industrie- und Agrarstaat zum Dienstleistungszentrum vollzog, mit einem besonderen Augenmerk auf Europa. Im Stadtteil Kirchberg mit Gebäuden für das Europäische Parlament und dem Gerichtshof der Europäischen Union kann man sich persönlich davon überzeugen (allerdings ist genau dort momentan auch eine riesige Baustelle).
Überhaupt ist es eine (kann man das über eine Trauerfeier sagen?) sehr sympathische Feier mit wenig überschüssigem Pomp und Gehabe, dafür sehr