Mongolei – Gesichter eines Landes. Frank Riedinger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mongolei – Gesichter eines Landes - Frank Riedinger страница 9

Bevor es Nacht wird, helfe ich der Familie beim Einfangen der Schafe und Ziegen. Sie werden in ein Gatter getrieben, geschützt vor den Wölfen, deren unheimliches Geheul ich nachts höre. Ich rolle meinen Schlafsack aus und krieche in die weiche Hülle. Durch das Loch im Dachkranz sehe ich das Flimmern der Sterne draußen. Meine Gedanken kreisen um die Erlebnisse des Tages. Die Nomadenfamilie schläft noch nicht. Sie besitzt eine zweite Jurte, in die sie uns zu Ehren umzieht. Sukhee sitzt mit ihnen dort, raucht und erzählt. Ich höre friedliches Meckern und Blöken und das Knallen von Luftballons in der Dunkelheit.
Baga Gazriin Chuluu – Granitfelsen und ein zerstörtes Kloster in der Mittelgobi.
Die Milch wird nach dem Melken gekocht. Durch ständiges Aufschäumen trennt sich der Rahm ab. Er bildet sich an der Oberfläche.
Uns zu Ehren wurde eine Ziege geschlachtet.
Zum Schutz vor den allgegenwärtigen Wölfen wird das Vieh nachts in ein Gatter getrieben.
Tsaagan Arkhi (mongolischer Steppenwodka)
Milchschnaps stellt man aus vergorenem Joghurt (Tsagaa) her. Dieser „Steppenwodka“ oder Tsagaan Arkhi wird noch heute aus vergorenem Joghurt von Ziegen, Rind, Pferd oder Kamel gebrannt. Dabei werden ca. 18 Liter auf dem Ofen der Jurte erhitzt. In ca. 35 cm Abstand oberhalb des Joghurts wird eine Kühlschale mit Wasser auf eine Ummantelung aus Blech gesetzt. An dieser Kühlschale kondensiert der Alkohol, der darunter entweder gleich in eine Auffangschale tropft oder mit einem Rohr nach außen in eine Flasche abgeleitet wird. Manche Familien hängen auch das Fleisch von Ziegen und Schafen während des Brennvorganges in die Ummantelung. Ein so imprägniertes Fleisch beugt gegen Müdigkeit und Allergien vor, wissen die Mongolen.
Je nachdem, wie stark der vergorene Joghurt ist, können bis zu drei Brände erstellt werden. Der erste Brand heisst Okhi, der zweite Arz, den dritten Brand desselben Joghurts nennt man Khorz. Einen gesundheitsschädlichen Vor- oder Nachlauf wie beim Brennvorgang aus Maische gibt es hier nicht, da der Joghurt keine schädlichen Alkoholsorten bzw. Fuselstoffe beinhaltet. Aus dem restlichen Joghurt nach dem Brennen bereiten die Mongolen meist den Aaruul. Dieser wird auf dem Dach der Jurte getrocknet.
Milchschnapsherstellung – Der vergorene Joghurt wird erhitzt.
Milchschnapsherstellung – Der vergorene Joghurt wird erhitzt, anschließend läuft das Destillat in die Flasche
Die Granitfelsen bei Baga Gazriin Chuluu.
Tsagaan Suvarga – Eine markante Felsformation in der Mittelgobi. Die Färbungen im Boden deuten auf Bodenschätze hin.
Ongiin Khiid – Das Kloster in der Mittelgobi.
Das Kamelfest in Bulgan Sum
Drei Uhr morgens. Der eisige Gegenwind hat uns aufgehalten. Um wach zu bleiben kratze ich ein kleines Guckloch frei. Es ist ermüdend, durch die vereiste Fensterscheibe irgendetwas in der Nacht zu erkennen. Da sehe ich einen schwachen Lichtschimmer, der auf das kleine Örtchen hindeutet. Sukhee bestätigt durch ein Kopfnicken das baldige Ankommen. Sein Gesicht sieht müde aus. Ich schaue zu Battulga, der in Wolldecken eingewickelt auf dem Rücksitz schläft. Wir sind kurz vor Bulgan, dem Austragungsort des Kamelfestes.
Eine Ansammlung Häuser und Jurten erwarten uns. Sukhee fährt durch die schneeverwehten Straßen und steuert zielsicher die Herberge an. Eine verspätete Ankunft ist, wie jeder hier weiß, die Regel, besonders während der eisigen Wintermonate. Daher sind wir verwundert, im Haus seines Freundes kein Licht zu sehen. Alles ist still und dunkel. Vor dem Haus liegt ein Fellbündel, aus dem bedrohlich ein Augenpaar in die Scheinwerfer starrt. Wir haben die lange Anreise endlich geschafft. Meine Hand schon am Türgriff will ich aussteigen. Hastig gibt mir Sukhee zu verstehen: Vorsicht, die Tür bleibt zu. Mit mongolischen Hunden ist nicht zu spaßen, ohne Vorwarnung greifen sie jeden Eindringling an.
Er beginnt ein Hupkonzert. Nach fünfzehn Minuten erkennen wir, dass sich rein gar nichts ändert. Alles bleibt friedlich, nicht einmal das schwarze Wollknäuel lässt sich zu einem Kläffen hinreißen. Dem Vorschlag Battulgas, das zentrale Heizkraftwerk am Ortseingang anzufahren, stimmen wir sofort zu. Eventuell finden wir dort eine Unterkunft.
Vor dem Kraftwerk ist eine kleine Lampe montiert. In einer feuerroten Fensteröffnung sehe ich zwei schemenhafte Gestalten. Alle paar Minuten müssen die beiden Arbeiter den Ofen von Hand füttern. Bei jeder Zugabe von Kohle lodern die Flammen meterhoch aus der Feuerstelle. Eine überaus harte, verantwortungsvolle Arbeit. Sie tragen Sorge dafür, dass in der bitteren Kälte die Wärme nie nachlässt und das Feuer nie erlischt. Ich möchte keinesfalls mit ihnen tauschen. Leider schätzen die beiden Arbeiter unsere Anfrage nicht sonderlich. Sie schicken uns wieder zurück in die Siedlung. In der Kneipe würden wir ein paar Dorfbewohner antreffen. Das wüssten sie aus eigener Gewohnheit, denn hin und wieder wären auch sie als Gäste dort.
Mittlerweile ist es fast vier Uhr. Allein der Gedanke, im ausgekühlten Fahrzeug übernachten zu müssen, lässt uns erschaudern. Meine mongolischen Begleiter hegen wenig Hoffnung, in der Kneipe um diese Uhrzeit noch jemanden anzutreffen. Dennoch machen wir uns auf den Weg. Das Scheinwerferlicht huscht über die weiße Straße. Plötzlich sehen wir drei davoneilende Männer. Sukhee beschleunigt seinen Geländewagen und erreicht die Nachtschwärmer, bevor sie hinter dem Holzzaun verschwinden. Ich rufe ihnen nach und tatsächlich hält einer inne, fragt, ob er etwas für uns tun könne. Baatar, so der Hilfsbereite, schätzt die Lage richtig ein. Ohne Zögern bietet er seine Gastfreundschaft an.
Er öffnet die Jurte und schaltet das Licht ein. Seine Frau liegt mit dem kleinen Kind unter Wolldecken versteckt in einem Bett. Baatar wirkt noch sehr jung. Ich schätze ihn auf 25 Jahre. Erschöpft setzen wir uns auf dem Boden. Der Hausherr zündet das erloschene Feuer im Ofen an und kocht den obligatorischen Milchtee. Seine Frau erwacht. Sie reibt sich die Augen und schaut auf die fremden Gäste, dann nimmt sie ihrem Mann die Arbeit ab.
Die Ofenwärme ist jetzt genau das Richtige. Höflich frage ich nach dem Platz, an dem ich meinen Schlafsack in der Jurte ausrollen kann.