Professors Zwillinge im Sternenhaus. Else Ury
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Читать онлайн книгу Professors Zwillinge im Sternenhaus - Else Ury страница 3
Inzwischen hatte sich ein Auflauf um die Silberpappel gebildet. Sämtliche Kinder und Hunde der Nachbarschaft hatten sich zu dem Schauspiel eingefunden. Das war ein Johlen und ein Blaffen, daß man die sonst so stille, vornehme Straße nicht wiedererkannte.
Dem Professor war es unangenehm, diesen Tumult verursacht zu haben. Er bestieg wieder den Wagen und forderte auch seine Kinder dazu auf.
Aber Herbert und Bubi waren schon den Berg hinauf dem Wagen vorangeeilt. Suse war nicht zum Einsteigen zu bewegen. Das Wiedersehen mit Mutti, die schon vier Wochen vorher Freiburg verlassen hatte, um das neue Haus einzurichten, ja das neue Heim selber, nichts kam gegen Suses Sorge um ihr Kätzchen auf. Sie setzte sich, leise vor sich hinweinend, ins Gras unter die Pappel, ab und zu zärtlich »Mies – Mies« rufend.
Die Kinderschar hatte sich zerstreut. Nur ein kleines Mädchen war zurückgeblieben. Neugierig starrte es auf das fremde Kind.
»Du – wohär biste denn, hä?« erkundigte sie sich schließlich. »Biste von Weimar här?«
Suse schüttelte den Kopf. »Nein, von Italien«, sagte sie, trocknete die Tränen und begann nun ihrerseits die kleine Gefährtin zu mustern. Sie hatte rötliches Haar und Sommersprossen, war ärmlich, aber sauber gekleidet.
»Ja, wär's glaubt – du kannst mir ja viel vorschwindeln«, sagte diese dreist. Denn Weimar erschien ihr schon als weiteste Entfernung.
»Na, dann frage doch meinen Bruder Herbert.« Suse war gewöhnt, sich stets hinter ihren Zwillingsbruder zu verschanzen. »In Neapel waren wir ein ganzes Jahr, und das liegt in Italien. Sogar auf dem Vesuv war ich«, spielte sich Suse auf, trotzdem sie nur mit Grausen an die Vesuvfahrt zurückdachte.
Die andere hatte in ihrem Leben noch nichts vom Vesuv gehört. »Wie heißte denn, hä?« fragte sie wieder.
»Suse Winter – und du?«
»Tinchen Schiller.«
»Schiller – Schiller heißt du?« Suse wurde ganz rot vor Aufregung. »Bist du etwa mit dem großen Dichter Schiller, der ›Wilhelm Tell‹ und ›Maria Stuart‹ geschrieben hat, verwandt?«
»Das kann schon mechlich sein«, sagte Tinchen gleichgültig. Denn wenn die andere aus Italien kam, konnte sie doch wenigstens von Schiller herkommen.
»Ach, das muß ich doch sofort meinem Herbert erzählen«, rief Suse begeistert. Hatte sie ein Glück, daß sie gleich am ersten Tage in Jena eine Verwandte von Schiller kennenlernte. Da fiel es ihr jäh ein, daß Herbert, ihr zweites Ich, ja gar nicht mehr da war und daß sie hier unter der Pappel saß, um ihrem entsprungenen Kätzchen Gesellschaft zu leisten. Das hatte sie über Tinchen Schiller ganz vergessen.
Sie lugte in den silberigen Wipfel hinauf. »Piccola,« rief sie, »Mies – Mies – Mies.« Aber kein Miau antwortete. Kein weißes Fell lugte aus den Silberblättchen. Piccola war verschwunden.
»Um's Himmels willen, wo kann mein Kätzchen nur hingekommen sein?« Schwer fiel Suse ihre mangelnde Sorgfalt aufs Herz. »Hast du es nicht gesehen, Tinchen?«
»Nu nä. Es wird schon nach Haus gelaufen sein. Katzen finden immer wieder heime.«
»Aber es weiß ja noch gar nicht, daß wir im Sternenhaus wohnen«, jammerte Suse.
»Im Sternenhaus wohnste? Du, da hast es aber scheene. Da war meine Mutter zum Reinemachen«, meinte Tinchen Schiller anerkennend.
Was – eine Verwandte von Schiller hatte bei ihnen die Wohnung reingemacht? Aber Suse hatte augenblicklich andere Sorgen – Piccola, ihre kleine Mieze. Auf der Pappel saß sie nicht mehr, soviel stand fest. Unbemerkt mußte das Kätzchen, während ihre kleine Herrin mit Tinchen Schiller plauderte, vom Baum gesprungen sein. Wo war sie nur hingekommen?
Wenn sie die Anhöhe hinuntergelaufen war, dort unten floß die Saale. Piccola war noch so unerfahren, wie leicht konnte ihr etwas zustoßen.
Schluchzend machte sich Suse auf den Weg in ihr neues Haus. Tinchen blieb ganz selbstverständlich an ihrer Seite. Das war ein schlechter Anfang.
2. Kapitel
Das Sternenhaus
Das Sternenhaus war vor kurzem fertig geworden. Es war noch im Bau gewesen, als Professor Winter zum Juli nach Jena als Direktor des Planetariums berufen wurde. Er hatte es gekauft und nach seinen Angaben fertigbauen lassen. Ein allerliebstes Häuschen war es. Nur die Untermauerung war aus Stein. Sonst war es ganz und gar aus braunem Holz. Wie aus Schokolade sah es aus. Über seinem Gesims waren in blauem Felde die bekannten Sternenbilder gemalt. Man merkte gleich, daß man zu einem Professor der Sternenkunde kam.
Suse sah nichts davon in ihrem Schmerz. Nicht einmal die nach ihr ausschauende Mutter bemerkte sie. Ihre Gedanken waren bei der armen Piccola, die jetzt in der Fremde irreging. Dabei hatte sie sich doch so auf das neue Haus und vor allem auf ihre Mutti gefreut.
Der Garten, der das Haus umgab, stieg bergig an. Er hatte ein lustig blaues Holzgitter und einige Bäume und Sträucher. Sonst lag er noch ziemlich brach und ungepflegt. Kein Rasen, keine Blumen. Er war neu angelegt und unterschied sich kaum von den Berghängen. Suse, die sonst ein offenes Auge für landschaftliche Eindrücke hatte, gewahrte auch das nicht mal.
Plötzlich hemmte sie den Schritt. Hatte es da nicht irgendwo gemauzt? Noch einmal, ganz leise, ganz zart »mi – au« –. Wie eine Mutter die Stimme ihres Kindes erkennt, erkannte Suse ihre Piccola.
Da – da oben thronte das Kätzchen auf einem jungen Apfelbäumchen. Und wer saß unten? Bubi, der schwarze Bubi. Auf seinen Hinterpfoten hockte der Köter und machte schön zu dem Kätzchen hinauf, als wolle er sagen: »Komm nur ruhig herunter, ich tue dir nichts.« Piccola aber schien dem Frieden nicht zu trauen. Der Anblick war so komisch, daß Suse mitten im Weinen in helles Lachen ausbrach.
»Piccola« – rief sie, breitete ihren blauen Faltenrock aus und drin war die Mies, während Bubi sie fröhlich bellend umsprang.
»Was hat denn deine Katze für einen komischen Namen, hä?« fragte Tinchen Schiller verwundert. »Meine heißt bloß Mies.«
»Piccola ist auch Italienerin,« entgegnete Suse stolz wie eine Mutter. »Piccola heißt die Kleine auf deutsch. Wir hatten nämlich in Neapel auch eine große.«
»Will denn mein Suschen gar nichts mehr von ihrer Mutter wissen?« klang es vom Balkon herab.
»Ja, natürlich, Muttichen. Nur meine Piccola war ausgekniffen, und ich konnte doch das kleine Ding unmöglich in der Fremde allein lassen.« Bald hingen Suse nebst Piccola auch schon der Mutter am Hals.
»Willkommen, mein Herzchen, in unserer neuen Heimat. Mögt ihr euch darin zu tüchtigen Menschen entwickeln, auf die unser deutsches Land stolz sein kann.«
»Aber, wenn Vater wieder ins Ausland versetzt wird?« fiel Herbert ein, der immer ein Aber haben mußte. »Du, Suse, wer ist denn das fremde Mädel?« Er umkreiste Suses kleine Gefährtin mißtrauisch wie Bubi.
»Das ist Tinchen