Professors Zwillinge im Sternenhaus. Else Ury
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Читать онлайн книгу Professors Zwillinge im Sternenhaus - Else Ury страница 7
»Was sind denn die optischen Werkstätten von Zeiß, Vater?«
»Das größte Unternehmen seiner Art, ein Werk der Wissenschaft und der Technik zugleich, mein Junge, für das tüchtige Männer ihre ganze Lebensaufgabe eingesetzt haben und das jetzt vielen Tausenden zugute kommt. Optik ist die Lehre vom Sehen. Alles, was in dieses Bereich fällt, wird in den optischen Werkstätten hergestellt, Feldstecher, Operngläser, Brillen, Thermometer, medizinische Gläser, photographische Objektive, vor allem Mikroskope. Das sind Vergrößerungsapparate, die in der medizinischen Wissenschaft eine wichtige Rolle spielen.«
»Das wissen wir doch schon«, sagte Herbert beinahe gekränkt. »Ich habe sogar schon in ein Mikroskop hineingesehen.«
»So – wo denn, mein Junge?«
»Der Großpapa in Freiburg hat doch ein Mikroskop. Beinahe hätte es Bubi umgeworfen. Da habe ich reingeguckt. Großpapa hat mir Bazillen gezeigt. Wie ein Komma sahen sie aus.«
»Und mir hat der Großpapa ein Lindenblatt eingelegt«, fiel Suse ein. »Ganz groß waren da drin die Blattzellen. Aber die Augen tun einem weh, wenn man lange durch solch Mikroskop guckt.«
»Mikroskop – hahaha – die Suse denkt, das Wort kommt von ihre Mies her.« Herbert lachte die Schwester wieder mal weidlich aus.
Der Vater mußte sich ebenfalls zur Seite wenden, um das Lachen zu verbeißen. Er mochte das Töchterchen doch nicht kränken. Die gute Mutti nahm sich Suses wieder an.
»Mikroskop ist auch ein schweres Wort. Das nächste Mal wird es Suschen richtig sagen. Herbert, hör' auf, die Suse auszulachen. Du weißt auch vieles noch nicht.«
»Hier ist der Carl-Zeiß-Platz mit dem Abbedenkmal, Kinder. Das sind die Begründer des großen Werkes. Carl Zeiß war der Sohn eines Spielwarenhändlers aus Weimar. Er interessierte sich schon als Junge für Basteleien und wurde Mechaniker. Etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts kam er nach Jena und gründete hier eine kleine feinmechanische Werkstatt. Bald wurde er Mechaniker an der Universität. Hier wurde Dr. Ernst Abbe, vor dessen Denkmal wir hier stehen, sein wissenschaftlicher Mitarbeiter. Abbe hatte sich vom Sohn eines einfachen Spinnmeisters zum Professor der Physik und Mathematik emporgearbeitet. Nach dem Tode seines Freundes Carl Zeiß hat er die optischen Werke allein weitergeführt und ihren Betrieb auf jedem Gebiet vergrößert und weltberühmt gemacht. Dabei hat er nie vergessen, daß er aus einfachen Arbeiterkreisen hervorgegangen ist. Für die Arbeiter seiner Betriebe hat er wie ein Vater gesorgt. Auf seinen Gewinnanteil von dem gewaltigen Unternehmen hat er selbstlos verzichtet und die großen Summen für gemeinnützige Zwecke gestiftet. Er ist der Wohltäter der Stadt Jena geworden. Das Volkshaus dort drüben hat er für die Bevölkerung aller Klassen gebaut mit einer Volkshochschule, um die allgemeine Bildung zu heben. Jugend- und Sportvereine hat er gegründet zur Förderung der Volksgesundheit. Ein Jugendheim, ein Kinderkrankenhaus, alles dies verdankt ihm die Stadt. Ihr gehört jetzt zur Jugend von Jena, Kinder, und sollt mit Bewunderung und Ehrfurcht zu diesem hervorragenden Manne aufblicken.« So sprach der Professor voller Begeisterung.
Die Kinder hatten mit großen Augen zugehört. Selbst Herbert, der gern unterbrach und fragte, lauschte gespannt. Oh, wie schön mußte das sein, mal solch ein berühmter Mann zu werde«.
Suse aber meinte: »Vater, dürfen wir den Herrn Abbe nicht mal besuchen? Ich hab' ihn schon gern, weil er so gut zu seinen Arbeitern und gegen die Armen ist.«
»War – Suschen. Professor Abbe lebt nicht mehr. Er ist schon 1905 gestorben. Nur in seinen Werken und als Marmorbüste könnt ihr den edlen Mann kennenlernen.« Der Professor betrat mit seiner Familie die Stufen, die zu einem tempelartigen Bau hinaufführten. Stumm standen sie vor dem bedeutenden und doch so gütig blickenden Marmorbildnis.
Bis Herbert das andächtige Schauen unterbrach: »Vater, wenn du erst tot bist, kriegst du vielleicht auch mal so ein feines Denkmal hier in Jena.«
»Aber Herbert!« rief die Mutter halb entsetzt, halb belustigt, während Suschen zärtlich nach des Vaters Hand griff: »Unser Vater soll überhaupt nicht tot werden.« Ganz, ganz fest hielt die Suse ihren Vater.
Der lächelte. »Das ist ein guter Wunsch, Herbert. Nicht das Marmordenkmal hier, aber das Denkmal, das man sich im Herzen seiner Mitmenschen setzt. Ein jeder, ob berühmt oder unbekannt in der Stille lebend, in seinem Kreise kann er so segensreich wirken, daß man ihm eine bleibende Erinnerung bewahrt.«
»Ich will aber doch lieber berühmt werden«, überlegte Herbert.
»Dazu gehört zuerst, daß du deine Pflichten als Gymnasiast erfüllst, mein Junge. Ich bin schon zufrieden, wenn du ein tüchtiger Mann wirst auf dem rechten Platz.«
»Der Großpapa in Freiburg sagt, du seist auch berühmt, Vater. Du wärst einer der bekanntesten Sternforscher. Und es ist gut, daß ich nach Jena komme, hat der Großpapa gesagt, denn da wären immer die berühmtesten Männer der Naturwissenschaft gewesen.«
Dem Professor machte die Unterhaltung mit seinem Jungen Spaß. »Kennst du denn einen, Herbert?«
»Natürlich, Alexander von Humboldt und Professor Ernst Haeckel, die habe ich mir doch als Vorbild genommen.«
»Ein besseres Vorbild brauchst du nicht«, lachte der Vater und wandte sich suchend nach seinen Damen um. Die waren mit Bubi bereits vorausgegangen.
Die Mutter zeigte Suse gerade das Lyzeum, in dem sie schon als Schülerin angemeldet war. In acht Tagen begann das Wintersemester.
Suse betrachtete das Gebäude, das von schönen Anlagen umgeben war, mit geteilten Gefühlen, teils neugierig, teils beklommen. Die Schule spielt im Leben eines jeden Kindes die Hauptrolle. Nun war sie über ein Jahr dem deutschen Unterricht entfremdet. Sie hatte in Neapel eine italienische Schule besucht. Ob sie da in der vierten Klasse mitkommen würde? Zwar hatte sie und Herbert während ihres Sommeraufenthalts in Freiburg bei den Großeltern in Deutsch, Rechnen und Geschichte Privatunterricht gehabt, um die Lücken auszufüllen. Aber ob das genügte?
Herbert war selbstbewußter. Als der Vater ihm sein unweit davon gelegenes Gymnasium, das den stolzen Namen Carolo-Alexandrinum trug, zeigte, meinte er: »Die werden sich wundern, wie fein ich italienisch spreche.«
»Dazu wirst du vorläufig wenig Gelegenheit haben, mein Sohn. Auf Latein und Griechisch wird hier der Hauptwert gelegt. Ich habe lange geschwankt, ob ich dich lieber in ein Realgymnasium geben soll. Aber da du bereits in Neapel Latein getrieben hast, mochte ich das schon einmal Gelernte nicht brachliegen lassen.« Der Vater wies auf einen bergwärts führenden Weg. »Hier geht es zum Ernst-Abbe-Jugendheim und weiter zum Landgrafenberg hinauf. Von dort hat man einen Blick auf das Schlachtfeld.«
»Auf welches Schlachtfeld?« fragte Suse.
»Menschenskind, bist du vernagelt. Wenn du hier in Jena bist, wird es wohl nicht das Schlachtfeld von Leipzig sein.« Herbert tippte zum Überfluss noch mit dem Finger gegen die Stirn.
»In welchem Jahre war denn die Schlacht bei Jena, Herr Besserwisser?« fragte die Mutter.
Eine peinliche Frage, wenn man sie nicht zu beantworten weiß. Aber Herbert war so leicht nicht aus der Fassung zu bringen.
»Das – das muß vor der Schlacht von Leipzig gewesen sein. Bei Jena hat doch Napoleon über die Deutschen gesiegt.