Julia. Gunter Preuß
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»Du schläfst dich jetzt am besten erst einmal aus«, ordnete die Mutter an. »Jetzt wirst du nämlich ungerecht, mein Alter.«
Julia ging in ihr Zimmer. Sie packte die Hausaufgaben aus. Schaltete das Radio an. Kurbelte, bis sie eine leise, beruhigende Melodie fand. Sie rechnete unlustig. Musste oft neu beginnen. Dann trieb ihre Unruhe sie noch einmal aus dem Haus.
Sie lief durch den Regen, atmete mit offenem Mund, ließ sich den Regen den Nacken hinunterlaufen. Plötzlich stand sie vor den Einfamilienhäusern zwischen den Neubauten in der Berggartenstraße. Sie ging zu dem Haus Nummer 9, klingelte an der Tür mit dem Namensschild: LIEBSCHER. Aber niemand öffnete.
Julia war froh, als sie wieder aus dem Grundstück war. Sie rannte durch den Regen nach Hause zurück.
8.
Julia verschlief am nächsten Morgen. Sie sprang aus dem Bett, gab dem Wecker eine Ohrfeige. Der klingelte gleich noch einmal.
Julia wusch sich eilig, aß ein Brötchen und versuchte sich gleichzeitig anzuziehen.
Pit!, dachte sie. Hatte er sie nicht wach bekommen? Oder hatte er sie nicht abgeholt? Vielleicht war er eingeschnappt wegen ihres gestrigen Streites? Ach, er sollte sich doch nicht so zickig haben!
Sie sah nach draußen. Es regnete nicht mehr. Die Fenster waren angelaufen. Es schien kälter geworden zu sein. Julia war in einer besseren Stimmung als gestern Abend.
Gleich in der ersten großen Pause wollte sie zu ihrem Vater in die Brauerei laufen und ihn bitten, Herrn Rohnkes Weggehen beim Direktor der Schule zur Sprache zu bringen. Es musste doch etwas unternommen werden! Von allein kam die Suppe nicht zum Kochen. Dazu brauchte man ein kräftiges Feuer. Das waren doch Herrn Rohnkes eigene Worte.
Julia zog eilig die Jeans an und ihren blauweiß gestreiften Pulli, den sie unmöglich fand, den Pit aber mochte.
An der Wohnungstür fand sie einen Zettel: Wohnungstür abschließen! Mutsch.
Na, das klang nicht gerade sehr freundlich. Mutter hatte eben auch ihre Sorgen. Julia fiel einer der vielen Sprüche ein, die Großvater, wenn er zu einem kurzen Besuch kam, immer auf der Zunge hatte. Großvaters Vater war Hafenarbeiter in Hamburg gewesen, und sie waren sieben Kinder. Julia mochte den Großvater. Sie sprang die Treppen hinunter und sang: »Wird schon wieder wärn mit der Mutter Bärn. Mit der Mutter Horn ist's auch wieder geworn.«
Auf der Straße schlug sich Julia den Anorakkragen hoch. Wenn sie ausatmete, sah es aus, als ob sie rauchte.
Sie lachte, lief los, die Tasche unterm Arm, die rechte Hand führte sie zum Mund, atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. Unwillkürlich war sie in Vaters schweren Schritt verfallen. Sie hustete. So sehr hatte sie sich eingebildet, eine starke Zigarre zu rauchen. Jemand lachte. Julia sah sich nicht um.
An der Kreuzung zeigte die Ampel natürlich wieder rot, wie immer, wenn sie es eilig hatte, und sie hatte es immer eilig. Sie sah auf die Uhr. Die erste Stunde war nicht mehr zu schaffen. Und Herr Rohnke konnte mächtig sauer werden, wenn man seinen Unterricht störte. Entweder ganz oder gar nicht, sagte er immer.
»Also gar nicht«, sagte Julia. Sie sprang schnell noch in der anderen Richtung über die Straße. Es waren ja nur hundert Meter bis zur Brauerei. Sie wollte ihren Auftrag Vater gleich übergeben.
Im Pförtnerhäuschen saß der strenge Herr Pöschke. Aber so streng er war, so müde war er auch. Julia hatte ihre Methode, ohne Betriebsausweis ins Werk zu kommen. Sie wusste, Herr Pöschke schwankte zwischen höchster Wachsamkeit und gähnender Langeweile. Sie kannte seinen Rhythmus: ein scharfäugiger, spähender Blick auf den Toreingang und ins Gelände - ein müdes Kopfnicken seinem Kreuzworträtsel entgegen. Diesen Moment passte Julia genau ab und huschte unter der Schranke durch ins Betriebsgelände.
Sie lief etwas geduckt über den schmutzig nassen Hof, auf dem Lastkraftwagen mit Bierfässern und Limonadenkästen beladen wurden.
Julia musste ins Sudhaus, wo der Vater und seine Kollegen mit der Herstellung der Würze beschäftigt waren. Das Sudhaus lag am unteren Ende des Werkes.
Julia lief durch die langgestreckte Halle, wo Fässer und Flaschen abgefüllt wurden. Hier arbeiteten zum größten Teil Frauen. Die Halle war unfreundlich duster und kühl. Julia war froh, als sie wieder im Freien war. Vater sprach zu Hause manchmal von den Frauen, die oft unzufrieden mit ihrem Arbeitsplatz waren und bessere Arbeitsbedingungen verlangten.
Aus der Tür des Sudhauses kam ihr Vater entgegen. In seinem Gesicht stoppelten die Barthaare. Über den grauen Schlosseranzug hatte er eine Gummischürze gebunden. An den Füßen trug er Gummistiefel. Er lachte, als er Julia sah.
»Nanu, Tochter, ist schon wieder etwas passiert?«
Julias Vater sah auf seine Uhr. »Wir haben jetzt eine Versammlung. Ganz kurzfristig einberufen. Ich glaube, diese Liste von Frau Saube, dieses Ultimatum ist der Grund. Können wir nicht später darüber reden, Julia? Mir sitzt jetzt wirklich die Zeit im Nacken.«
»Nein, Nicht später. Jetzt«, sagte Julia.
Der Vater legte ihr den schweren Arm um die Schulter und lächelte. »Du bist eben eine Leißner, wie sie leibt und lebt. Komm, gehen wir zur Verwaltung. Sagst mir unterwegs, was du willst.«
Julia und ihr Vater gingen quer über den Hof zur Verwaltungsbaracke. Julia sagte: »Papsch, kannst du mit unserem Direktor wegen Herrn Rohnke sprechen? Du musst ihm sagen, dass wir ihn brauchen. Er darf uns unseren Lehrer nicht wegnehmen.«
»Miteinander sprechen ist immer gut«, sagte der Vater. »Aber die Schule hat natürlich auch ihre Probleme, genauso wie wir auch. Aber ich verspreche es dir, Tochter, ich spreche mit Herrn Rohnke.«
Julia und der Vater gaben sich die Hand. »Hast heut wieder verschlafen«, sagte der Vater noch. »Hat Pit dich nicht wach bekommen?«
»Ich habe nichts gehört.«
Der Vater ging eilig in die Baracke. Julia schummelte sich an Herrn Pöschkes Glaskasten vorbei.
Sie musste sich beeilen, um noch rechtzeitig zur zweiten Stunde in die Schule zu kommen.
Vor der Schule prügelten sich drei Jungen um eine Kastanie, obwohl überall Kastanien herumlagen. Julia trieb die Jungen auseinander. Das hätte sie sonst nicht getan. Aber jetzt hatte sie ihre Versöhnungsstimmung. Sie dachte: Vater wird Herrn Rohnke schon überreden, bei der 8b zu bleiben. Sie wollte sofort der Klasse davon erzählen.
Die Tür zum Klassenzimmer stand offen. Julia hörte nicht wie sonst schon von weitem Liebschers Stimme und Gerda Munkschatz' Lachen.
Als Julia ins Klassenzimmer trat, wurde sie nicht wie üblich, wenn sie zu spät kam, mit Scherzworten begrüßt. Die Jungen und Mädchen standen und saßen unruhig, als warteten sie auf etwas.
Julia sah Pit auf seinem Platz sitzen. Er sah weg, als sie zu ihm schaute.
Liebscher trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Als Julia sich setzte, kam er zu ihr.
»Schon gut«, sagte Julia. »Bin wieder mal zu spät gekommen. Werde mir noch einen Wecker anschaffen