Julia. Gunter Preuß

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Julia - Gunter Preuß

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Papa wird in der Pause nach Dir sehen. Wir haben gestern Abend den Arzt angerufen. Er sagte, wir brauchten uns um Dich keine Sorgen zu machen. Du wärst nur überanstrengt. Viel Vitamine sollst Du essen und viel an die frische Luft gehen. Wenn nichts dazwischenkommt, sagt er, kannst Du Montag wieder in die Schule gehen. Bis dann, tschüs, Deine Mutsch.«

      Julia drückte ihren Plüschbären Romeo fest an sich. Sie dachte an den vergangenen Tag, an die neue Lehrerin Rosen und an Herrn Rohnke. Jemand ging weg, und plötzlich war alles verändert, die Welt bekam ein anderes Gesicht.

      Sie wurde traurig, die Unruhe kehrte in sie zurück. Sie wünschte sich, auch ein Instrument spielen zu können. Wenn Jürgen Herrmann spielte, dann klang es so, als könnte er mit seiner Musik alle seine Sorgen aus sich herausströmen lassen. Sie hörte es seinem Spiel an, ob er guter oder schlechter Laune war.

      Julia war noch sehr erschöpft. Sie schlief ein. Als sie wieder erwachte, wurde immer noch Akkordeon gespielt. Vater war dagewesen. Ein Strauß Astern und eine Tafel Nussschokolade lagen auf dem Stuhl.

      Sie fühlte sich jetzt besser. Sie zog die Übergardine zurück. Der Wind hatte die Wolken vom Himmel gefegt. Die Sonne ließ gleißende Strahlen über die Dächer gleiten. Auf der Straße polterten die Müllautos. Ein Junge versuchte seinen Drachen steigen zu lassen. Der Ruß der Brauereischornsteine trieb in Richtung Schule.

      Es klingelte an der Wohnungstür. Julia sprang ins Bett zurück. Wer konnte das sein? Sie rief laut: »Herein! Die Tür ist offen!«

      Die Tür wurde zaghaft geöffnet. Julia riet: Ellen? Pit? Liebscher? Ellen und Pit schieden aus. Sie kamen anders. Sie waren schon öfter zu Besuch gewesen. Liebscher?

      Es klopfte an Julias angelehnte Zimmertür. »Ja«, sagte Julia gespannt.

      »Die Neue ...!«, rief Julia überrascht.

      »Guten Tag, Julia!« Frau Rosen lächelte. »Ja, die Neue«, sagte sie. »Wie geht es dir denn, Julia?«

      »Danke«, sagte Julia. »Es geht so.«

      Beide schwiegen. Julia wusste nicht, was sie sagen sollte.

      Frau Rosen hätte sich gern gesetzt. Ihr war es nicht leichtgefallen, hierher zu kommen. Sie hatte gewusst, wie sie empfangen werden würde. Am meisten hatte sie sich vor dieser abweisenden Kälte gefürchtet, die sie auch heute wieder in der Klasse zu spüren bekommen hatte. Aber die Sorge um dieses Mädchen, das in ihrer ersten Unterrichtsstunde ohnmächtig wurde, hatte sie hergetrieben.

      Sie fragte: »Habe ich gestern etwas falsch gemacht? Habe ich dir wehgetan mit irgendetwas?«

      Julia schwieg. Jürgen Herrmann spielte jetzt schnell die Tonleiter herauf und herunter. Die Töne überschlugen sich.

      Was für Fragen sie stellt, dachte Julia. Misstrauisch fragte sie: »Warum kommen Sie überhaupt?«

      »Darf ich mich setzen?« Frau Rosen zeigte auf Julias Bett.

      Julia nahm das Essen, die Blumen und die Schokolade vom Stuhl.

      Frau Rosen setzte sich. Sie sah sich im Zimmer um. Ihr Blick blieb auf einem Bild über Julias Bett. Es war eine Reproduktion von Josef Hegenbarth: In der Manege. Ein Clown war darauf zu sehen, ein steigendes Pferd und über der Manege eine Frau am Trapez.

      »Liebst du den Zirkus?«, fragte sie. »Wir könnten mit der Klasse hingehen. Es ist jetzt einer in der Stadt. Würdest du wollen?«

      »Ich gehe heute mit meinen Eltern in den Zirkus«, antwortete Julia. Und dann wiederholte sie ihre Frage: »Warum sind Sie gekommen?«

      Frau Rosen drückte den Verschluss ihrer Tasche auf und zu, immer wieder. Sie lächelte, als sie den Plüschbären unter der Bettdecke hervorlugen sah. »Ich wollte nur mal nach dir sehen«, sagte sie. »Brauchst du etwas? Hast du einen Wunsch?«

      Julia schüttelte den Kopf. Beide schwiegen wieder. Dann stand die Lehrerin auf. Sie gab Julia die Hand und sagte: »Also auf Wiedersehen. Und gute Besserung!«

      »Danke.«

      Julia fiel auf, dass Frau Rosen wie Herr Rohnke manchmal ein »Also« ihren Worten voranstellte. Aber dieses »Also« passte nicht zu ihr. Es gehörte zu Herrn Rohnke.

      Frau Rosen ging bis zur Wohnungstür. Dort kehrte sie um und betrat noch einmal das Zimmer.

      Sie sagte schnell, als müsste sie ihre Frage endlich loswerden: »Sag mal, was habt ihr gegen mich - du und die anderen? Ach«, sagte sie hastig, »vergiss es - das war eine dumme Frage. Überlege dir das noch einmal mit dem Zirkusbesuch der Klasse! Bitte.«

      Die Wohnungstür klappte ins Schloss.

      Julia ließ sich in die Kissen fallen. Der Besuch hatte sie angestrengt. Sie hatte wieder Kopfschmerzen. Sie zwang sich, etwas zu essen und zu trinken. Auch von der Schokolade aß sie. Die Eltern sollten sehen, dass es ihr besser ging.

      Julia stand auf und duschte. Das warme Wasser tat ihr gut. Sie war froh, dass sie aus dem Bett heraus war. Was sie brauchte, war Bewegung.

      Und jetzt durfte sie erst recht nicht schlappmachen. Jetzt, wo es darum ging, Herrn Rohnke für die 8b zurückzugewinnen.

      Ihr war vieles unklar. Warum hatte Frau Rosen sie zu Hause besucht? Interessierte es sie wirklich, ob es ihr gut oder schlecht ging? Dann diese Frage: Was habt ihr gegen mich?

      Julia zog sich an. Sie suchte sich warme Sachen heraus. Sie wollte auf keinen Fall krank werden. Die Rosen sollte schon noch erfahren, was die 8b gegen sie hatte. »Ich hätte ihr antworten können«, sagte Julia laut und ließ sich wieder auf ein Selbstgespräch ein.

      »Na, was hättest du ihr gesagt?«

      »Ich hätte ihr gesagt ... «

      »Was hättest du ihr gesagt?«

      »Ich hätte ihr gesagt: Sie passen nicht in unsere Klasse!«

      »Warum nicht?«

      Du kannst einen aber auch nerven, dachte Julia über sich. Sie rief laut: »Weil eben Herr Rohnke in unsere Klasse passt und niemand anderes!«

      Ihr war dieses Frage-und-Antwort-Spiel zu dumm. Was sie jetzt brauchte, war ein ruhiger und klarer Kopf.

      Julia versuchte sich abzulenken. Sie drehte im Sessel ein paar Runden. Aber davon wurde ihr schwindlig. Sie las in dem Buch, das Vater aufgeschlagen auf dem Couchtisch hatte liegenlassen. Es hieß »Der Wundertäter«.

      Julia las von der Geburt des Armebauernjungen Stanislaus und von seinen ersten Wundertätereien. Sie fand das Buch aufregend und lustig, und sie verstand nicht, warum Vater immer sagte, wenn sie manchmal nach einem seiner Bücher griff: »Das ist noch nichts für dich. Später, Julia.«

      Dieser Stanislaus Büdner - von dem wollte sie mehr erfahren. Sie würde das Buch zu Ende lesen.

      Julia zog sich den Anorak über und ging aus der Wohnung. Auf der Treppe begegnete ihr Frau Saube. Julia grüßte und ging schnell vorbei. Sie hatte ihre eigenen Sorgen.

      Julia lief zur Kreuzung. Sie brauchte jetzt den Lärm und viele Menschen um sich. Sie lehnte gern auf dem Geländer, sah die Straßenbahn und Autos an der Kreuzung halten und wieder

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