Julia. Gunter Preuß

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Julia - Gunter Preuß

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was stillstand. So liebte Julia das Leben. Diese Atmosphäre an der Kreuzung war ihr wie Musik. Wenn sie manchmal müde war von der Schule, dann holte sie sich hier neue Kraft.

      Julia fiel dieser Stanislaus Büdner aus dem Buch ein. So einen konnten sie jetzt in der Klasse gebrauchen. Einen Wundertäter. Einen, der es fertigbrachte, Herrn Rohnke zurückzuholen. Dieser Stanislaus war ein schlauer Bursche. Der hat's dick hinter den Ohren, würde Großvater sagen.

      Julia achtete auf die Straßenbahnen. Sie brauchte nur zwanzig Minuten zu warten, dann sah sie ihre Mutter in der Fahrerkabine der Linie »11«.

      Julia stieg zu. Ihre Mutter rief überrascht: »Julia! Was suchst du denn hier?! Warum bist du nicht im Bett?«

      »Die Ampel zeigt grün. Du kannst fahren«, sagte Julia ruhig. »Mir geht es wunderbar. Das kannst du mir glauben.«

      Julias Mutter schüttelte den Kopf und fuhr los. »Bist du ein verrücktes Ding! Kann man dich überhaupt allein lassen?!«

      »Kannst du.«

      Die Mutter wollte weiter schimpfen. Julia unterbrach sie. »Mutsch, du weißt doch: Gespräche während der Fahrt sind für dich verboten.«

      Julia fühlte sich jetzt wieder besser, ruhiger. Am liebsten wäre sie ihrer Mutter um den Hals gefallen. Aber so etwas tat sie immer seltener.

      Auf dem Vorderperron der Straßenbahn war außer Julia und ihrer Mutter niemand.

      Julia stand an die Fensterwand gelehnt. Sie beobachtete die Hände der Mutter, schmale, kleine Hände, die die Straßenbahn sicher durch die Stadt steuerten.

      Julia summte vor sich hin. Die Mutter lenkte die Bahn über das Hauptbahnhofvorgelände. Die Menschen strömten in die Ost- und Westhalle des Hauptbahnhofes hinein. Andere kamen heraus, mit Koffern beladen. Am Taxistand warteten viele Leute. Auf den schmalen Straßenbahnsteigen drängten sich die Menschen. In den Bäumen vor dem Hotel schaukelten unzählige Stare.

      Viele Leute stiegen zu. Die Mutter brauchte jetzt ihre ganze Kraft und Aufmerksamkeit, um die Bahn durch das Gewühl des Stadtzentrums zu steuern.

      Ampeln, dachte Julia. Überall Ampeln. Autos stauten sich in langer Reihe vor ihnen. Julia schloss einen Moment die Augen. Sie stellte sich Frau Rosen als lebendige Ampel vor und die Jungen und Mädchen der 8b als Autos, die zu beiden Seiten der Kreuzung standen. Sie ließ die Ampel rotes und grünes Licht geben, völlig durcheinander. Die Autos rasten los, näherten sich der Kreuzungsmitte, kamen einander immer näher. Gleich mussten sie zusammenstoßen ... !

      »Kannst du nicht aufpassen?«, dröhnte eine Stimme. »Du trittst mir ja Plattfüße!«

      »Entschuldigen Sie«, sagte Julia. Im letzten Moment hatte sie diesen Zusammenprall verhindern wollen. Sie hatte mit aller Kraft auf die »Bremse« getreten.

      Am Connewitzer Kreuz wurde es leerer. »Was war denn vorhin?«, wollte Julias Mutter wissen.

      »Nichts weiter«, beruhigte Julia »Ich habe nur stark gebremst.«

      »Gebremst? Hast du etwa Fieber, Julia?«

      Julia spürte einen Moment lang Mutters Hand auf der Stirn.

      »Die Neue ... Frau Rosen war heute morgen bei mir,«

      »So ... Was wollte sie denn?«

      »Nichts weiter.«

      »Was heißt denn nichts weiter, Julia? Sie muss doch etwas gewollt haben.«

      »Sie hat eben nichts gewollt. Es muss doch nicht immer jeder gleich etwas wollen!«, regte Julia sich auf. Sie verstand ja selber nicht, warum die Neue sie zu Hause besucht hatte. Na schön, ihr war in der Schule schlecht geworden. Die Rosen hatte sie nach Hause bringen lassen. Damit hatte sie doch getan, was sie musste. Warum kam sie gleich am nächsten Tag zu ihr?

      Die Straßenbahn fuhr in die Endstelle ein. Julias Mutter übergab die Bahn einer Kollegin. Ihr Dienst war für heute beendet. Julia und ihre Mutter fuhren mir der S-Bahn nach Hause.

      Beide schauten aus dem Fenster. Sie schwiegen.

      Die Mutter fragte: »Wie ist sie eigentlich, eure neue Lehrerin?«

      »Weiß noch nicht. Will es auch gar nicht wissen.«

      Haltestelle Coppiplatz stiegen Julia und ihre Mutter aus. Sie gingen an den Händen gefasst die steile Treppe zur Straße hoch. Als sie die Bahnbrücke überquerten, sah Julia Pit vor einer Bäckerei stehen. Sie schaute weg und zog ihre Mutter weiter. Pit! Mit ihm wollte sie jetzt nicht sprechen. Ihn verstand sie überhaupt nicht mehr.

      »Renn doch nicht, Julia!« Die Mutter lachte. »Warum willst du nicht wissen, wie eure neue Lehrerin ist? Hast du etwas gegen sie?«

      Diese Fragen, dachte Julia. Zum Verrücktwerden war das. Jeden Tag Fragen, seit dieses neue Schuljahr begonnen hatte. Julia war froh, dass vor der Wohnungstür der Vater sie schon erwartete. Er war sehr aufgeregt, weil Julia aus dem Bett aufgestanden war und keinen Zettel hinterlassen hatte.

      Vater hatte Kuchen gekauft. Die Mutter wollte Kaffee kochen, aber Julia drängte zu dem Zirkusbesuch. Vielleicht würde sie an der Kasse fragen, ob für eine Vorstellung in den nächsten Wochen noch zweiunddreißig Karten zu haben wären. Dreiunddreißig Karten, verbesserte sich Julia. Diese Rosen würde natürlich mitgehen wollen.

      10.

      Am Montag war Julia völlig die Alte. Diesmal verschlief sie nicht, obwohl Pit sie wieder nicht abgeholt hatte. Liebscher war es, der mit der Wohnungsklingel SOS morste. Er wollte gleich hereinkommen. Julia wehrte ab: »Betreten verboten! Ich bin noch im Nachthemd. In einer Minute bin ich unten.«

      Julia beeilte sich. Ihr gefiel nicht, dass Liebscher gleich in die Wohnung stürmen wollte. Pit hatte immer von unten gerufen oder geklingelt.

      »Hat dich der Doktor wieder zusammengeflickt?«, fragte Liebscher, als Julia auf die Straße trat. »Wir können jetzt auf niemanden verzichten. Die Rosen hat vielleicht eine Art zu unterrichten. Die stellt mehr Fragen an uns als wir an sie. Unsicher ist sie, sage ich dir. Na, du wirst ja sehen.«

      Sie gingen die Elsbethstraße hinunter. Ungefähr fünfzig Meter vor ihnen liefen Pit und Olaf.

      »Hat Pit nun seine Meinung geändert?«, fragte Julia. Sie sah, dass Pit Olaf am Arm vorwärts zog. Der Kleine wollte bestimmt wieder nicht in die Schule. Zu so einem Bruder brauchte man Nerven.

      Liebscher winkte ab. »Auf den können wir verzichten. Für mich ist der ein Verräter! Mit Verrätern verhandle ich nicht!«

      Julia sagte nichts dazu. Sie fand Pits Handlungsweise auch nicht in Ordnung. Aber er gehörte zur Klasse. Man konnte ihn nicht einfach ausschließen. Pit war doch sonst ein prima Junge.

      »Der ist ein Fanatiker«, sagte Liebscher. »Der hätte sich glatt den Arm brechen lassen. Der wird sowieso sitzenbleiben. Gehalten hat ihn doch nur Herr Rohnke.«

      Julia sah Liebscher an. Er war tadellos gekämmt und gekleidet. Er hatte braune Jeans und eine Wildlederjacke mit Pelzkragen an.

      Julia fand, dass er sich übers Wochenende erholt

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