Julia. Gunter Preuß
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Читать онлайн книгу Julia - Gunter Preuß страница 15
Der Lehrer trat langsamer als gewöhnlich ins Klassenzimmer. Er hielt einer jungen Frau die Tür auf. Beide gingen zu Rohnkes Tisch.
Liebscher und Pit lagen noch am Boden.
Herr Rohnke wartete, ohne etwas zu sagen, bis die beiden aufgestanden waren und sich auf ihre Plätze gesetzt hatten.
Pit biss noch immer die Lippen zusammen. Liebscher wusste mit seinen Händen nicht wohin. Er schob sie in die Taschen seiner Hose.
Julia war es unangenehm, dass Herr Rohnke diese Prügelei gesehen hatte. Er hatte doch bestimmt genug Sorgen. Sie wollte schon eine Entschuldigung vorbringen, aber sie war dabei.
So ernst die Situation war, Julia musste lächeln. Die Neue war klein, hatte eine gute Figur, hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wippte nervös auf den Zehenspitzen. Sie hatte braunes aufgestecktes Haar und große, etwas verträumte Augen.
Hinter sich hörte Julia Röbel anerkennend sagen: »Klasse Puppe!«
Julia dachte: Leute, fällt euch sonst nichts auf? Das könnte doch unsere große Schwester sein. Und die will unseren Herrn Rohnke ersetzen? Einfach lächerlich.
Herr Rohnke ging zu einem Fenster und öffnete es. Er setzte sich auf das Fensterbrett und strich sich mit den Händen über die Stirn. Der Wind stieß kalt ins Klassenzimmer.
Er sagte noch immer nichts. Es sah so aus, als suche er nach Worten und fände keine. So kannten sie ihn nicht. Er hatte stets das richtige Wort gefunden.
Sie wurde immer unruhiger, begann aus ihrer breiten Ledertasche Bücher auszupacken. Als Herr Rohnke weiterhin schwieg, stellte sie sich vor: »Mein Name ist Rosen. Ich bin eure neue Klassenlehrerin.«
Julia hörte, dass ihre Stimme gewollt fest klang. Die Rosen sprach mit norddeutschem Akzent. Julia spürte ihre Unsicherheit.
Herr Rohnke war vom Fensterbrett aufgestanden. Er ging zur Neuen und sagte: »Entschuldigen Sie, Kollegin Rosen. Das ist sonst nicht meine Art ... «
Er wandte sich der Klasse zu. Er stand etwas gebeugt, sah durch alle hindurch und sagte: »Also, die Zwölfte braucht mich nun. Macht mir und Frau Rosen keinen Kummer. Ich bin ja nicht aus der Welt. Und um meinen Sportunterricht kommt ihr nicht herum.«
Herr Rohnke hatte zum Abschluss noch einen Scherz machen wollen. Aber der misslang. Er gab Frau Rosen die Hand und lief eilig aus dem Klassenzimmer.
Julia legte sich die Arme um die Schultern. Ihr war kalt. Sie hatte Kopfschmerzen. Der Wind trieb Blätter und schmutziges Papier durchs Fenster.
Die Mädchen und Jungen schwiegen, blickten zur Tür. Es sah aus, als warteten alle, dass sie sich jeden Moment öffnen und Herr Rohnke zurückkommen würde, als hätte er nur ein Stück Kreide aus dem Lehrerzimmer geholt. Aber Herr Rohnke vergaß nie die Kreide.
Die Rosen packte noch mehr Bücher aus. Dann sah sie hoch. Sie suchte ein ihr zugewandtes Gesicht, einen freundlichen Blick, ein Lächeln. Aber sie fand nichts von alledem. Sie lief zum Fenster und schloss es.
Das Keifen des Windes war verstummt. Nur die Schritte der Lehrerin, das harte Aufprallen der Absätze auf den Dielen, waren zu hören.
Julia war wütend, enttäuscht. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, wie immer, wenn sie etwas nicht begriff und nicht weiter wusste.
Das Fenster!, dachte sie. Das Fenster hat Herr Rohnke geöffnet! Wollte sie die Klasse zwingen, bei geschlossenen Fenstern zu sitzen?!
Julia sah zu Liebscher. Aber von ihm war jetzt keine Hilfe zu erwarten, er hatte sich in sich selbst verkrochen.
Frau Rosen setzte sich auf ihren Stuhl. Sie stand schnell wieder auf. Auf ihrem Stuhl fühlte sie sich noch kleiner, noch unbeweglicher.
Sie lief bis zu den vorderen Tischen und sagte: »Mir tut es leid, dass wir unter solch unglücklichen Umständen unsere erste Stunde beginnen müssen. Aber ... «
Julia war aufgestanden. Sie hielt sich an der Tischplatte fest und sagte, obwohl sie fror: »Mir ist heiß. Das Fenster muss geöffnet werden.«
Frau Rosen sah Julia an, die an ihr vorbei blickte. Sie wusste, das war ein erster Angriff gegen sie, ein erstes Kräftemessen. Sie hatte sich ihren Beginn in der 8b ganz anders vorgestellt, hatte mehr Freundlichkeit und Entgegenkommen erwartet. Wie hatte der Direktor gesagt: »Sie bekommen die disziplinierteste und leistungsstärkste Klasse der Schule, Kollegin Rosen. Es hat nicht jeder von uns so einen guten Start gehabt.«
Guter Start?, dachte sie bitter. Was dir hier entgegenschlägt, ist Abweisung und Kälte. Aber sie durfte sich nicht unterkriegen lassen. Sie hatte sich doch wie ein Kind auf diese achte Klasse gefreut. Das waren doch schon erwachsene Menschen, mit denen sie gemeinsam arbeiten wollte.
Frau Rosen sagte: »Es ist kühl. Das Fenster bleibt geschlossen. Es kann in der Pause geöffnet werden.«
Es war härter herausgekommen, als sie es gewollt hatte.
Vor Julias Augen begann das Klassenzimmer, die Gesichter von Pit, Liebscher und Frau Rosen ineinander zu verschwimmen.
Wie Blitzlichter tauchten auch Mutters, Vaters und Frau Saubes Gesichter auf.
Dann sah sie nur noch das Gesicht der neuen Lehrerin. Es lachte hämisch und sagte immer wieder: Das Fenster bleibt zu! Das Fenster bleibt zu!
Julia fühlte jetzt eine Schwäche die Beine heraufkriechen, gegen die sie keinen Widerstand leistete. Sie wollte, dass irgendetwas mit ihr passierte. In ihrem Kopf stach es dumpf. Um sie herum begann sich alles zu drehen. Ihr knickten die Beine weg.
Sie wäre auf den Boden gestürzt, wenn Pit sie nicht aufgefangen hätte. Das letzte, was sie sah, war das erschrockene Gesicht der Lehrerin.
9.
Es war später Sonnabendmorgen. Julia lag noch im Bett. Sie war eben erst munter geworden.
Sie hörte den Wind an den Häusermauern pfeifen. Im Bett war es kuschlig warm. Jemand im Haus spielte Akkordeon. Julia hörte in die mal aufbrausend wilden, dann wieder melancholischen Klänge. Bestimmt war Herrmanns Sohn Jürgen zum Wochenendurlaub nach Hause gekommen. Nun würde er bis zum Mittagessen auf seinem Akkordeon spielen.
Langsam kehrte Julia der gestrige Tag ins Bewusstsein zurück. Sie erinnerte sich, dass sie im Klassenzimmer plötzlich ohnmächtig geworden war. Pit und Ellen hatten sie nach Hause gebracht. Dann war ein Arzt gekommen. Er hatte sie abgehorcht und Blutdruck gemessen. Sie musste eine Tablette schlucken. Als er wieder gehen wollte, hatte sie ihn gefragt, wer ihn denn geschickt hätte.
»Schlaf jetzt«, hatte der Arzt gesagt. »Geschickt hat mich deine Lehrerin. Die war ja völlig durcheinander am Telefon.«
Dann war Vater von der Frühschicht gekommen. Er war hilflos. Immer wieder fragte er: »Hast du Schmerzen? Brauchst du etwas?«
Julia hatte aufgeatmet, als die Mutter nach Hause kam, ihr alles erzählt, in ihren Armen geweint und war eingeschlafen.
Julia fand auf