Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern. Christian Springer

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Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern - Christian Springer

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oder zurückzunehmen, obwohl es sich längst als falsch oder obsolet erwiesen hatte.

      Er verwendete in vielen seiner Kritiken ein äußerst beleidigendes, unsachliches Vokabular, über das er sich allerdings beschwerte, wenn es ihm selbst gegenüber angewandt wurde. So wie er von Tschaikowskis Violinkonzert geschrieben hatte: „Es bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört“, warf er Verdi „ästhetischen bösen Willen“ vor und nannte dessen Opern „abstoßend, plump, roh, trivial, mühsam, dürftig, langweilig, peinlich, kindisch, grell, banal, gekünstelt, geschmacklos, gemein, fremdartig, unsympathisch“. Er attestierte der „Verdi’schen Musik ein schielendes, verlogenes Gesicht“, fand, dass sie mit „kramphafter Anstrengung“ komponiert sei und bezeichnete sie – Vischers{2} Diktum „Heinrich Heine sei die giftig gewordene Romantik“ plagiierend – als „giftig gewordene italienische Musik“. Er meinte, daß die „entsetzlichen Verdi’schen Pianissimo=Chöre [...] wie fernes Hundegebell“ klingen und befand zusammenfassend: „Verdi ist bei all’ seiner Intelligenz, seinem lebhaften, energischen Temperament eine gemeine Natur. Er hält es keine fünfzig Tacte aus, ohne einer Trivialität zu verfallen oder sie aufzusuchen.“ Das alles sagt weniger über die kritisierten Werke aus als über den Verfasser solcher Texte.

      Bemerkenswert ist, dass im Vergleich mit den von Hanslick angegriffenen und künstlerisch in den Schmutz gezogenen Komponisten seine jahrzehntelangen Attacken gegen Giuseppe Verdi kaum Beachtung fanden und finden. Die Ablehnung und Zurückweisung von Hanslicks Verdi-Verkennung ist im deutschen Sprachraum traditionell äußerst schwach ausgefallen. Wenn gesagt wird: „Zwar sind auch die darin formulierten Einwände Ausdruck eines Mißverständnisses, eines deutschen Mißverständnisses, das nicht begreifen will, wie sehr für den Musikdramatiker Verdi die dramatische Situation alles, die Logik der Handlung fast nichts ist“{3}, greift diese halbe Absolution Hanslicks zu kurz, denn auch sie erfolgt aus deutscher Sicht, ignoriert die Tatsache, dass Verdi immer vom Wort her komponiert, vernachlässigt dabei Verdis wohlbelegte Intentionen in Hinsicht auf die psychologisch und dramaturgisch glaubhafte – somit in sich logische – Darstellung von Figuren und Situationen, und wird dem Komponisten deshalb in keinem Moment gerecht.

      Wie anhand der Originalzitate zu sehen sein wird, ist Hanslicks Entwicklungskurve in Sachen Verdi sonderbar. Er beginnt seine Einschätzungen 1848 mit opportunistisch geifernder Wut, nimmt sich dann im Laufe der Jahrzehnte zuerst zu spöttischer Verachtung, dann zu herablassender Geringschätzung zurück, scheint sich in den 1870er Jahren ruckartig zu besinnen und in aufatmendes Erstaunen und tiefes Verständnis überzugehen, das fast in einen Widerruf seiner „Jugendsünden“{4} mündet, endet dann aber mit spektakulärem Unverstand.

      Herr Univ.-Prof. Dr. Eduard Hanslick ist an dem immensen Verdi nicht gewachsen. Er ist ungeachtet der Einwände seines Duzfreundes Brahms, der Verdi für ein Genie hielt, an dem „geistlosen Charlatan“ kläglich gescheitert.

      Ch. S.

      MUSIKKRITIK IM ITALIEN DES 19. JAHRHUNDERTS

      Dumme Kritiken und noch dümmere Lobhudeleien: kein erhabener, künstlerischer Gedanke; nicht einer, der meine Absichten begriffen hat; immerzu albernes Geschwätz und Unsinn, und hinter allem eine gewisse Mißgunst mir gegenüber, als hätte ich ein Verbrechen begangen, daß ich die Aida geschrieben habe und sie gut aufführen habe lassen. Keiner, der wenigstens die ungewöhnliche Aufführung und mise en scène hervorgehoben hätte! Nicht einer, der zu mir gesagt hätte: Hund, ich danke dir!{5}

      In dem Ärger, den Verdi anlässlich der Kritikerreaktionen auf seine von ihm selbst am Teatro alla Scala in Mailand inszenierte europäische Erstaufführung von Aida äußerte, schwingt die Diagnose eines bemerkenswerten, dem Komponisten schmerzhaft bewussten Phänomens mit, das seine gesamte Karriere begleitete: das fast völlige Fehlen einer seiner künstlerischen Statur und Entwicklung entsprechenden zeitgenössischen Musikkritik.

      Zwar gab es in Italien den zu seiner Zeit führenden Kritiker Filippo Filippi (1830-1887), einen Juristen, der auch eine musikalische Ausbildung genossen hatte und ab 1858 als Musikkritiker bei Ricordis Gazzetta Musicale di Milano tätig war, diese von 1860 bis 1862 leitete und von 1859 bis zu seinem Tod Kritiker bei der Perseveranza sowie bei weiteren Fachpublikationen wie der Gazzetta Musicale di Napoli war, doch verstellte ihm seine Wagner-Bewunderung die ungehinderte objektive Sicht auf Verdis Schaffen (obwohl er zwiespältig aufgenommene Opern Verdis wie den Simon Boccanegra durchaus verteidigte).

      Der Kritiker Filippo Filippi

      So befand Filippi beispielsweise – von der Atmosphäre der musikalischen Zwietracht des neuen Italien infiziert, wo futuristische Musik und von jenseits der Alpen importierter Modernismus die Oberhand zu gewinnen schienen, obwohl man all das nicht wirklich verstand und vorwiegend nur aus Kunst-Snobismus zu goutieren vorgab –, dass in der Aida die Verschmelzung von Altem und Neuem nicht so gut gelungen sei wie im Don Carlos. Und er fügte die polemische Bemerkung hinzu, dass den Einfluss von Gounod, Meyerbeer und Wagner auf Verdi zu leugnen der Behauptung gleichkomme, die Sonne sei dunkel. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass derlei Äußerungen weniger durch profunde Musikanalysen denn durch beleidigte Eitelkeit begründet waren: Verdi hatte Filippis Angebot, nach Kairo zu reisen{6} und von den dortigen Aida-Proben zu berichten, trocken abgelehnt. Zu La forza del destino war Filippi nichts Klügeres eingefallen, als Verdi öffentlich eines Plagiats zu bezichtigen: Er meinte, in Leonoras Arie „Pace, pace mio Dio“ Anklänge an Schuberts „Ave Maria“ vernommen zu haben.{7} Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit reagierte Verdi nach Rücksprache mit seinem Verleger Giulio Ricordi auf diese absurde Anschuldigung und wies sie brieflich, nicht ohne Ironie, zurück.{8}

      Filippis Verdi-Kritiken, immerhin die Arbeiten eines professionellen Musikkritikers, gingen in keinem Moment so in die Tiefe wie die 1859 in Florenz erschienene Arbeit Studio sulle opere di Giuseppe Verdi{9} von Abramo Basevi (1818-1885), einem Arzt aus Livorno, der neben seinem Brotberuf eingehende musikalische, philosophische und psychoakustische Studien betrieben hatte. Dieses Werk bewies Einsichten in die Kompositionen Verdis, wie sie der Musikkritik der Zeit verschlossen waren. Nicht umsonst wird Basevis Werk in Italien bis heute immer wieder neu aufgelegt.

      Der Kritiker Abramo Basevi

      Ansonsten war die Musikkritik im Italien des 19. Jahrhunderts vorwiegend „Dilettanten, Stümpern, Chronisten und ignoranten Pseudojournalisten“{10} anvertraut. Musikanalysen der Arbeiten Rossinis, Bellinis, Donizettis oder Verdis gab es zu deren Lebzeiten in Italien fast überhaupt nicht. Viele Rezensionen gaben oft nur geschwätzig und schwülstig subjektive Hörerlebnisse oder Beschreibungen des Verlaufs von Opernabenden oder Konzerten sowie der Publikumsreaktionen wieder, ohne auf die Musik oder deren Interpretation einzugehen. Dieser Musik-Boulevardjournalismus beschränkte sich vielfach auf die Wiedergabe von Theaterklatsch und Berichte über lächerliche Banalitäten im Umfeld der Oper wie die Toiletten der Damen oder ihr glitzernder Schmuck. Man mag über den Stellenwert von Musikkritik – sowohl der Werkkritik als auch der Interpretationskritik – als Mittel der Weiterentwicklung eines Künstlers durchaus geteilter Meinung sein, doch dass sie über das Niveau von Hagiographien, Operntratsch, Ablaufberichten von Premieren und geistlosen Betrachtungen des bei diesen Gelegenheiten stattfindenden Gesellschaftslebens hinausreichen sollte, ist wohl unbestritten.

      Zwar konnte man den Opernkritiken entnehmen, welches Werk aufgeführt wurde, doch wie es gesungen und gespielt wurde, blieb zumeist im Dunkeln. Anders verhielt sich dies bei Konzerten, bei denen in den Kritiken sogar oft unklar blieb, welche Werke gespielt wurden. Dies ist bei der in Italien damals üblichen Form

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