Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg. Horst Lederer
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Als ein weiterer uns wohlwollend und freundlich gesinnter Mecklenburger erwies sich der Bauer Bibow aus Tarnewitzerhagen, dem Irmgard Lederer in den Sommermonaten 1945 von Oberklütz aus beim Dreschen geholfen hatte und der ihr dafür Produkte von seinem Hof versprochen hatte. Eines Tages erschien er mit einem ganzen Kastenwagen voller Erzeugnisse von seinen Feldern und aus seinem Garten, die in unserem Gutshauskeller abgeladen wurden. Mehrere Säcke Kartoffeln, Möhren, Rotkohl, Weißkohl, Wruken, Porree, Sellerie, Beutel mit Erbsen, weißen Bohnen und Kartoffelmehl sorgten für mehrere Wochen für Abwechslung auf unserem Speiseplan. Großmutter Alwine Diethert verschenkte von diesem unerwarteten Überfluss sogar noch einiges an die Mitbewohner des Gutshauses.
Der eiskalte Winter 1946/1947 hatte dafür gesorgt, dass unsere Holzvorräte wegen des ständigen Heizens und Kochens zur Neige gegangen waren. Zuletzt verheizten die Lederer-Schwestern sogar die Bohnenstangen aus dem Gutsgarten. Es machte sich erforderlich, einen Baum zu fällen. Aber dafür fehlte es an notwendigen Geräten. Irmgard Lederer lieh sich beim Bauern „Kötter“ (wegen seines großen zottigen Hundes so genannt) Wulf in Klütz eine Schrotsäge, zwei Äxte und zwei Beile aus. Der zeitweilige Gespannführer Fritz Schmidt baute den Wagen für den Holztransport um und bedauerte lebhaft, dass er seinen aus der Heimat mitgebrachten „Bobschi“ nicht anspannen durfte. Zu dritt ging es in den Wald, in dem sich zur gleichen Zeit auch eine Gruppe einheimischer Neubauern um Stefan Patynowski gleichfalls zum Fällen eines Baumes eingefunden hatte.
Else Lederer suchte mit geübtem Auge einen Baum aus, der so stand, dass er beim Fallen keinen anderen mitreißen oder gar beschädigen konnte. Fachgerecht schlugen und sägten die beiden Frauen in Fallrichtung über der Wurzel eine tiefe Kerbe und sägten derart routiniert von der anderen Seite, dass sich der Baum in der gewünschten Richtung neigte und fiel, ohne Schaden anzurichten. Die hämischen plattdeutschen Kommentare ihrer Zaungäste, für die feststand, dass Frauen wie diese und dazu noch Flüchtlinge niemals einen Baum zu fällen imstande seien, ignorierten sie einfach.
Sie machten sich zügig an das Entfernen der Äste und Zweige, die Fritz Schmidt auf den Wagen lud, und zersägten den Stamm in etwa gleich große Teile, während Stefan Patynowski einen Baum ansägte, dessen Krone sich beim Fallen in denen zweier anderer verfing und den Waldboden nicht erreichte. Doch Zeit zur Schadenfreude blieb den beiden Frauen nicht, die die Stammteile aufluden, während die Männergruppe in sicherem Abstand ihrem Ärger wegen des Misserfolgs lauthals Ausdruck gab.
Bedauerlicherweise verletzte sich Kutscher Fritz Schmidt auf der Rückfahrt seinen Daumen so schlimm („Oj, oj, moj palez, moj palez!“), dass er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen musste und den Lederer-Schwestern danach nicht mehr zur Verfügung stand.
Nach dem Abladen des Holzes holten Else und Irmgard die Gutskreissäge in die Nähe des Gutshauses; Else schloss sie an das Starkstromnetz an und wollte die Stammteile ohne Schutzhandschuhe und -brille zu Kloben zersägen. Das beobachtete Karl Glass, machte sie
auf die Verletzungsgefahr aufmerksam und nahm ihr die gefährliche Arbeit ab.
Aus keinem plausiblen Grund mussten 1947 die für das Ablieferungssoll bestimmten Schweine nicht wie üblich auf dem Bahnhof in Klütz, sondern in Dassow abgeliefert werden. Irmgard Lederer fragte Stefan Patynowski, ob er ihr Schwein nicht auf seinem Wagen nach Dassow mitnehmen könnte. „Nein, das geht nicht, die Schweine würden sich unterwegs beißen“, gab er zur Antwort und machte sich mit seinem Gefährt auf den Weg. Irmgard blieb nichts übrig, als ihr Schwein mit Hilfe zweier Männer auf den eigenen Wagen zu laden, die Pferde anzuspannen und das Schwein selbst nach Dassow zu transportieren. In Hohen Schönberg überholte sie Stefan Patynowski, dessen Wagen am Straßenrand stand, weil die Achse gebrochen war, und der nun meine Mutter darum bat, sein Schwein auf ihren Wagen laden zu dürfen. Da gab Irmgard Lederer selbstbewusst zur Antwort: „Aber Herr Patynowski, das geht doch nicht, wie Sie selbst festgestellt haben, die Schweine würden sich auf der Fahrt beißen!“ In Dassow fand sie beherzte Männer, die ihr das Schwein vom Wagen luden.
Auf diese Weise setzten sich die beiden Frauen mehr und mehr gegenüber den überheblichen einheimischen Männern durch, deren spöttische Bemerkungen über das Unvermögen des schwachen Geschlechts allmählich verstummten.
Familien Lederer - gastfreie Verwandte
In der Nachkriegszeit hielten sich manche Verwandte für einige Tage in Arpshagen im Gutshaus bei den Familien Lederer / Alwine Diethert auf. Meist waren es Spätvertriebene aus den ehemaligen Kreisen Wirsitz und Schubin, die es im Januar / Februar 1945 nicht geschafft hatten, rechtzeitig vor dem Heranrücken der Russen auf die Flucht zu gehen. Nachdem die Polen ihre Arbeitskraft bei der Frühjahrsbestellung und Einbringung der Ernte ausgenutzt hatten, wurden sie nach Deutschland ausgewiesen.
Zu ihnen gehörten Hildegard Reek (*05.06.1921 † 20.12.1989) und ihre Kinder Gerhard (*22.07.1939), Irmgard (*24.08.1941), Renate (*12.07.1943).
Hildegard geb. Käding war die zweitälteste Tochter von Alwine Dietherts Schwester Sophie. Sie war mit Erhard Reek (* 25.07.1911 † 29.05.1993) verheiratet, der Soldat der Deutschen Wehrmacht und danach Kriegsgefangener war. Die Familie lebte in Mieczkowo, Kreis Schubin.
Der Familie Reek war angeboten worden, ihren Wohnsitz nach der Ausweisung aus ihrem Heimatort in der Ostzone zu nehmen. Hilde Reek wollte aber auf gar keinen Fall wieder unter dem Machteinfluss der Russen leben. Sie hatte gehört, dass ihre Tante Alwine und ihre Cousinen Else und Irmgard in Arpshagen wohnten, und wollte einen Kurzbesuch dort einerseits dazu nutzen, die
Verwandten wiederzusehen, sich andererseits bei diesem Zwischenaufenthalt von den Strapazen der Reise aus Polen zu erholen, zu säubern und satt zu essen.
Reeks reisten über Herrnburg weiter in die britische Zone und wohnten künftig in Oberhausen.
Häufiger Gast im Gutshaus Arpshagen war Klara Matzkuhn (* 24.10.1899 † 01.10.1992) geb. Joob, die zweitälteste Tochter von Alwine Dietherts ältester Schwester Bertha Joob geborene Thielmann. Klara war Witwe. Ihre Söhne Heinz und Erwin waren zur Wehrmacht eingezogen, sie galten als vermisst. Dennoch gab Klara die Hoffnung auf ihre Heimkehr anfangs nie auf und wies deshalb den Heiratsantrag ihres Landsmanns, des Eisenbahners Ernst Weichert, der in Grieben wohnte, trotz intensiven Zuredens ihrer Cousinen Else und Irmgard ab. Sie war noch 1948 bei der Hochzeit ihres Cousins Siegfried Diethert Weicherts Tischdame. Klara Matzkuhn wohnte in Weitendorf bei Brüel und war dort Köchin. 1949 wechselte sie von Weitendorf in die BRD über. Nach Weitendorf war sie mit ihrer Schwester Edith Klutzewski (*20.02.1908 † 16.02.1996) und deren Töchtern Edelgard (*06.01.1938) und Ilse (*12.08.1939) geflüchtet. Vor ihrer Übersiedlung nach Schleswig-Holstein besuchte Familie Klutzewski im Sommer 1947 ihre Verwandten im Gutshaus Arpshagen.
Besucher der Familien Lederer im Gutshaus waren auch Heinz Käding (*22.05.l925 †) und Ehefrau Ruth (* 27.02.1929 †), ein Sohn von Alwine Dietherts Schwester Sophie Käding, aus Oberhausen. Beide sollen dem Vernehmen nach verstorben sein. Bei einem Aufenthalt in Arpshagen waren sie in Begleitung ihres Sohnes Wilfried (*19.01.1954) gekommen. Kädings schätzten insbesondere den unentgeltlichen