Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg. Horst Lederer

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Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg - Horst Lederer gelbe Reihe bei Jürgen Ruszkowski

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Anna sowie Frau Scheil mit zwei Jungen im Vorschulalter (einer davon wurde „Hase Scheil“ genannt.)

      Als der Verwalter Boeck das Gutshaus in den letzten Junitagen 1945 zusammen mit einem Teil seiner Angestellten räumte, übernahm die Familie Otto Albrecht (Ehefrau, Sohn Hans-Ulrich *20.06.1933; †28.06.2008, Tochter Ilse Marie *19.03.1935 im Erdgeschoss umgehend die ehemaligen vier Privaträume der Verwalterfamilie.

      Im Nordwestflügel des Obergeschosses hatte Verwalter Boeck dem Tierarzt Dr. Preuß einige Zimmer überlassen.

      In zwei kleinen Räumen mit Gaubenfenstern war Frau Hildegard Dreyer mit ihren drei Töchtern Sieglinde (* 1939), Gabriele, „Gabi“ (*17.08.1940) und Sabine „Bienchen“ (*13.11.1943) untergekommen, im Zimmer daneben Familien Büch (Mutter Natalie, Sohn Albert *31.03.1918; †14.09.2003) und Sauter (Mutter Ida, Sohn Horst *1935, Tochter Elfriede „Friedel“ *17.11.1939).

      Im Südflügel des Obergeschosses hatte die Großfamilie Schmidt (Mutter Margarete, „Rittergutsbesitzerwitwe“, mit Töchtern Frieda, Margarete („Grete“), Elisabeth, Erna Wojahn, „Gitta“ Sager, Schwiegersohn Sager, Enkeln Peter Sager und Karl-Heinz Wojahn (*15.01.1943) sowie Gespannführer Erhard Pohl drei Zimmer bezogen.

      Familie Goerl / Pieper (Mutter Margarete, Tochter Ellen (*25.03.l936), Söhne Günter (*14.07.1937) und Hans-Jörg (*1940; †1956) nutzte als einzige neben dem Wohn-Schlaf-Zimmer eine funktionstüchtige Küche.

      Im Eckzimmer daneben über der Waschküche wohnte Familie Philipp Müller sen. (Ehefrau, Töchter Else und Hilde, Enkel Eberhard-Heinz Hellwig).

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      Das Gutshaus in Arpshagen – Rückseite

      Im Erdgeschoss wurden zunächst aus für mich völlig unverständlichen Gründen das Wohnzimmer und der Salon des ehemaligen Pächters sowie sein großes Speisezimmer für jeglichen Zuzug blockiert. Dagegen wurde Anna Kapanusch mit ihren drei Kindern Paul (*1937, †), Bernhard (*1939 †) und Hannelore „Hanni“ (*1943 +) zugemutet, in einem Kellerraum zu hausen. Das Gutsbüro blieb als solches erhalten. Im Zimmer gegenüber der Küche lebten Georg Manthey und zwei ehemalige Soldaten der Deutschen Wehrmacht.

      In dem Raum zwischen Büro und Mantheys Zimmer hatte sich Frau Pardun mit ihren Kindern Elsbeth (*07.10.1937), Rosemarie (*1939), Hans-Jürgen (*04.02.1941; †), Karl-Heinz und Burkhard sowie ihrer Schwester einquartiert.

      Zu diesem Zeitpunkt wohnten die Familien Klopp, Philipp Müller jun., Glass, Wohlfeil, Else Lederer und Irmgard Lederer noch nicht im Gutshaus.

      Bei den einheimischen Arpshagenern fanden Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten grundsätzlich nur dann Aufnahme, wenn es sich um Verwandte, Bekannte oder Freunde handelte. So erhielt die Familie Pescha aus Konstadt in Oberschlesien, Vater Wilhelm (*19.06.1897; †07.12.1959), Mutter Beate geb. Estermann (*26.02.1905; †13.04.l959), Töchtern Ruth und Inge (*10.06.1936) Unterkunft bei Robert Estermann, dem Bruder von Beate Pescha. Marian Michalowski nahm den Bruder seiner Haushälterin, Josef Raczinski, und dessen Kinder Heinz und Inge auf, Albert Pagel die Verlobte seines Stiefsohns Willi Burmeister und zeitweilig deren Bruder Heinz Kosbab, beide unbekannter Herkunft.

      Trotz dieser ungewöhnlich großen Zahl an Hausbewohnern, die hier auf engstem Raum zusammen wohnten, deren Herkunft, Temperament, Lebensgewohnheiten sehr unterschiedlich waren, eskalierten Konflikte zwischen den einzelnen Familien recht selten. Ich kann mich nur an einen Fall erinnern, als ein etwa siebenjähriges Mädchen in höchster Bedrängnis seine Notdurft in einem Sauerkrautfass verrichtete, das seine Besitzer auf dem Kellergang abgestellt hatten. Das sorgte einige Tage lang für Aufsehen.

      Grundsätzlich war das ganze Gutshaus tagsüber von unbeschreiblichem Lärm erfüllt, von Kindergeschrei, von lautem Gebrüll, von den Auseinandersetzungen zwischen Familienmitgliedern, die mitunter zornig und schrill geführt wurden. Sie waren durch die dünnen Wände ebenso vernehmbar wie das heftige Schluchzen, das verhaltene Weinen und das leise Wimmern. Aber niemand behelligte die Nachbarn mit seinen Sorgen und Schwierigkeiten.

      Von dem Wenigen, was diese Flüchtlinge besaßen, wurde nichts gestohlen oder absichtlich beschädigt. Im Gegenteil, man half einander, soweit das möglich war, nahm Rücksicht aufeinander, insbesondere bei der Nutzung der Waschküche für die große Wäsche oder das Kochen von Rübensirup. Niemand beneidete den anderen wegen eines unbedeutenden Vorteils.

      So gab Georg Manthey, der nicht imstande war, seine Kuh zu melken, meiner Mutter täglich die Milchmenge für uns Kinder ab, die über sein Ablieferungssoll hinaus übrig blieb, dafür dass sie ihm das Melken abnahm, während unsere Kuh trockenstand.

      Am 22. Dezember 1945 trafen meine Tante Liesbeth Rettig, die jüngste Schwester meiner Mutter und ihre Tochter Rosemarie, aus Godow bzw. Waren/Müritz kommend, im Gutshaus ein und begehrten hier Aufenthalt. Das bedeutete, dass wir in unserem Zimmer weiter zusammenrücken mussten. Von nun an teilte sich meine Mutter das eine Holzbett mit unserem Bruder Klaus, und das andere Tante Liesbeth mit Rosemarie. Später äußerte „Tante Lieschen“, diese Anrede mochte sie nicht gern, sie sei „nach Arpshagen gekommen, um die Siedlungen ihrer Schwestern auf Vordermann zu bringen“. Ob sie diesem hochgesteckten Anspruch gerecht geworden ist, kann ich nicht bestätigen. Nach meiner Erinnerung hielt sich Tante Liesbeth bei Feld- und Stallarbeiten weitestgehend zurück. Die blieben weiterhin das Betätigungsfeld der Lederer-Schwestern. Tante Lieschen hielt sich meistens im Hause auf, kochte und buk, wusch, kaufte in Klütz ein, säuberte die Zimmer gewissenhaft und strickte viel. Die Wolle dafür lieferte ihr unsere Großmutter, die sich in den Kochpausen häufig am Spinnrad betätigte.

      Anschluss an die Kirchgemeinde Klütz

      Als am 1. Oktober 1945 der Unterricht an der Klützer Volksschule wieder begann und die Eröffnungsfeier mit etwa 900 Kindern in der Klützer St.-Marien-Kirche u. a. mit einer Ansprache des Pastors Wömpner stattfand, wähnten unsere Familienangehörigen, darin einen Ausdruck der Religiosität dieser neuen Zeit zu erkennen. Dieser Eindruck wurde dadurch noch bestärkt, dass einmal wöchentlich nach der letzten Unterrichtstunde in den Räumen der Schule Christenlehre erteilt wurde, und zwar von der Nichtpädagogin Frau Pasemann. Uns Schülern wurden Hausaufgaben erteilt, die wir nur mit Hilfe von Bibel und Gesangbuch lösen konnten, z. B. biblische Geschichten nachzuerzählen oder etliche Liedstrophen auswendig zu lernen. Eine Bibel hatten wir auf unserem Fluchtwagen mitgebracht, aber ein Gesangbuch fehlte uns. Ich lieh es mir anfangs bei der alten Frau Müller aus, die mich aber immer harsch und unfreundlich empfing, mich bei jeder Begegnung bissig anblaffte, sodass ich Tante Liesbeth um Hilfe bat. Sie konnte die meisten Lieder auswendig, schrieb mir die Texte der einzelnen Strophen auf, korrigierte auch meinen fehlerhaften Gesang. Aber jetzt war ich nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen.

      An einem Sonntagmorgen im Winter 1946 holte mich meine Mutter aus dem Bett und erklärte mir Folgendes: „In unserer Familie war es immer ein ungeschriebenes Gesetz, dass an jedem Sonntag eine Person zum Gottesdienst in die Kirche ging. Wegen der landwirtschaftlichen Arbeiten und der Versorgung der Tiere konnten wir das nicht alle. Aber meine Mutter bestimmte jeweils eine von uns, die für die ganze Familie am Gottesdienst teilnahm. Du musst verstehen, dass ich melken, den Stall ausmisten, füttern, mich um die Ablieferung der Milch kümmern und anschließend Klaus versorgen muss. Solange Vati noch nicht zu Hause ist, habe ich für den Kirchgang keine Zeit. Da habe ich gedacht, das müsstest du übernehmen, weil du ja der Älteste bist. Mach dich fertig, damit wir beide noch gemeinsam frühstücken können!“ Von da an hatte ich jeden Sonntag jeweils um dieselbe Zeit meine ganz konkrete Aufgabe für die Familie zu erfüllen.

      In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Klützer

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