Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg. Horst Lederer

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Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg - Horst Lederer gelbe Reihe bei Jürgen Ruszkowski

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der Bodenreform in Mecklenburg-Vorpommern konnte ich einen Passus finden, der die einheimischen Landarbeiter eines aufzusiedelnden Gutes gegenüber Flüchtlingen und Auswärtigen bei der Aufteilung der Flächen mit Sonderrechten ausstattete. Folglich ist die Art und Weise, in der die Verlosung der einzelnen Areale in Arpshagen erfolgte, zumindest unrechtmäßig, wenn nicht gar kriminell zu nennen. Sie war schlicht und ergreifend eine Farce.

      Auf illegale Weise muss einer der Arpshagener Landarbeiter, ich vermute Heinrich Frederich, in Besitz der Listen mit den Flächennummerierungen der Landvermesser gekommen sein und in Kenntnis dieser Übersicht für sich und die anderen einheimischen Siedlungswilligen Lose mit diesen Ziffern vor der offiziellen Verlosung gesichert haben.

      Etwa drei Jahre später gestand unser damaliger Stallnachbar, der ehemalige Gutsschäfer Albert Pagel, meinem Vater: „Als die Verlosung auf der Gutshausdiele stattfand, hatten wir alle (er meinte die Einheimischen) schon unser Los in der Faust und taten nur so, als würden wir eins ziehen, als wir die Hand in den großen Hut steckten.“ Das erfolgte in dieser Weise nicht nur bei der Verlosung der Ackerflächen, sondern wiederholte sich auch bei der Aufteilung der Waldstücke, der Bauplätze, der Wiesen und Weiden. So wurden alle Dazugekommenen von vornherein in betrügerischer Absicht ausgegrenzt und benachteiligt.

      Vier Hiesige waren aber nicht in den Besitz aller Lose gekommen, weil sie bei dem vereinbarten Geheimtreffen mit Heinrich Frederich nicht dabei waren, Anna Klopp, Heinrich Patynowski, Karl Staszinska, Robert Estermann. Nachbarin Anna Patynowski berichtete meiner Mutter: „Als die Felder verlost wurden, schickte mich mein Mann Heiner ins Gutshaus. Deshalb habe ich wie die Flüchtlinge ehrlich in den großen Schlapphut gegriffen.“ Da Klopps seinerzeit noch in Tarnewitz wohnten, delegierte Mutter Anna Klopp ihren Sohn Werner (*1935) zur Verlosung. So ist erklärlich, weshalb vier Einheimische ihre Äcker in unmittelbarer Nachbarschaft von Flüchtlingen erhielten. Sie hatten sich wie die Zugereisten mit „den Brosamen zu begnügen, die von der Herren Tische fielen“, d. h. sie konnten nur solche Flächen erwerben, die die Hiesigen schon als minderwertig aussortiert hatten, die entweder niedrige Bodenwertzahlen besaßen, weil sie auf der steinigen Endmoräne oder weit entfernt vom Ort Arpshagen lagen und an die Goldbecker und Klein Pravtshagener Gemarkungen grenzten. Auf diese Weise machte Werner Klopp sehr zum Unwillen und Ärger seines Großvaters Frederich auch seine Eltern nahe der Klein Pravtshagener Ackerflächen „zu steinreichen Bauern“.

      Die einheimischen Landarbeiter kannten wegen ihrer Jahrzehnte währenden Tätigkeit auf dem Gut Arpshagen alle Vorzüge der zur Verlosung gekommenen Grundflächen und nutzten ihre Kenntnisse schamlos aus. Die siedlungswilligen Flüchtlinge erfuhren erst einige Zeit nach der Aufteilung des Grund und Bodens, was sie da eigentlich erworben hatten. Die auf diese Weise ganz offensichtlich Benachteiligten konnten sich nicht einmal dagegen wehren oder Beschwerde führen. So waren die Startbedingungen für beide Gruppen der „Neubauern“ äußerst ungleich. Von einer Chancengleichheit konnte keine Rede sein.

      Ich bin auch davon überzeugt, dass sich die „Alt-Arpshagener“ durchaus dessen bewusst waren, dass ihr Vorgehen unrechtmäßig und unehrlich war und dass sie alle auch kein reines Gewissen hatten, denn offen thematisierten sie das Ausgrenzen und Benachteiligen der Flüchtlinge nicht. Aber sie sorgten mit ihrer Aktion für die Entwicklung von zwei Parallelgesellschaften in diesem kleinen Dorf, für eine Atmosphäre des latenten Misstrauens und des unterdrückten Grolls, wenngleich die Differenzen zwischen beiden Gruppen selten eskalierten.

      Zu fragen ist allerdings, ob den einheimischen Siedlern ihre unrechtmäßig erworbenen Vorteile auf Dauer von Nutzen waren. Bald zeigte sich, dass die meisten von ihnen die Art zu leben und zu arbeiten wie unter dem Gutsverwalter fortsetzten, dass lediglich die Männer die Feld- und Stallarbeiten verrichteten, die Frauen „waren“, wie Redersborg schreibt, „für die Erziehung der Kinder zuständig“, sie kauften ein, führten den Haushalt, pflegten den auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Garten, kümmerten sich um das Kleinvieh und molken bestenfalls die Kuh. Es zeigte sich, dass mit nur einer Arbeitskraft eine Siedlung dieser Art nur für kurze Zeit zu halten war. Hinzu kam, dass fast alle einheimischen Neubauern nicht gelernt hatten, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten, zu planen und die erwirtschafteten Einkünfte sinnvoll zu investieren. Auf Dauer gelohnt hat sich die unrechtmäßige Besitznahme nur ausgerechnet für die Familie Frederich, die ihre Bauplätze auf der Fläche des ehemaligen Kuhstalls für die Errichtung mehrerer Einfamilienhäuser für die Urenkelinnen des einstigen „Dorfpaschas“ genutzt und so innerhalb von Arpshagen ein kleines „Frederichshagen“ geschaffen hat, und das dank des Einigungsvertrages bei der Wiedervereinigung, in dem die Ergebnisse der Bodenreform Rechtsgültigkeit behielten.

      Und die beiden Siedlerinnen Lederer?

      Die Bäuerin Irmgard Lederer erhält das Grundstück schuldenfrei.

      Diese Urkunde berechtigt zur Eintragung des Grundstücks in das Grundbuch.

      Schwerin Kreis Schönberg

      (Siegel des Präsidenten des Landes

      Mecklenburg- Vorpommern)

      Der Präsident Der Landrat

      gez. Höcker gez. Krebs

      Die Urkunde von Else Lederer hatte einen fast identischen Wortlaut.

      Ankunft in Arpshagen

      Die beiden Frauen warteten in Oberklütz weiter auf die versprochene Benachrichtigung von Tierarzt Dr. Preuß für den Tag, an dem er seine Zimmer im Gutshaus Arpshagen räumen und den Familien Lederer den Einzug ermöglichen würde. Von Lotti Baumann erfuhren sie schließlich, dass es der 28. Oktober werden sollte.

      Von den beiden ehemaligen Fluchtwagen wurden die überdachenden Planen entfernt, sie wurden zu gewöhnlichen Kastenwagen umgestaltet, die geringe Habe wurde darauf Platz sparend verstaut. Onkel Erich Krause sägte das Doppelstockbett, das Irmgard sich von einem Klützer Tischler anfertigen lassen hatte, in zwei gleiche Teile, die gleichfalls aufgeladen wurden. Die Pferde wurden eingespannt.

      Wir sagten unseren Verwandten, Schümanns, Anna Wieschendorf und Lotti Baumann Lebewohl, warfen noch einen Blick zum Abschied auf das Oberklützer Unterdorf, und dann ergriffen Else und Irmgard Lederer die Zügel und kutschierten ihr Gefährt mit den Kindern und der Großmutter den Hohlweg hinunter, dann durch die Wismarsche Straße in Klütz, über den Markt, die von zahlreichen mit Regenwasser gefüllten Schlaglöcher der Breitscheidstraße entlang und erreichten kurze Zeit später das mir in diesem Teil bereits bekannte Gutsdorf Arpshagen mit den vier lang gestreckten Katen und den Stallungen.

      Der 28. Oktober 1945 war ein sonniger Herbsttag. An den Vortagen hatte es geregnet. Als wir unter den hohen Kastanienbäumen die Landstraße in Richtung Gutshof entlangfuhren, spritzte eine dünne Schlammschicht unter den Hufen der Pferde auf. Unseren beiden Fuhrwerken folgte eine Gruppe von Halbwüchsigen, die sich auf Plattdeutsch über uns Neuankömmlinge unterhielten. Später identifizierte ich sie als Bernhard Patynowski, Rolf Kaßner, Willi Russow, Heinz Kosbab, Otto („Pieper“) Wiebke und Erich Moll.

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      Dann tauchte rechts hinter den Kastanienbäumen das Gutshaus, ein in dieser Umgebung imposantes Gebäude, auf. Tante Else als Vorausfahrende bog um das Rasenrondell mit den sechs kugelförmig geschnittenen Rotdornzierbäumen herum, bis wir unmittelbar vor der Veranda hielten.

      Die drei Erwachsenen und ich waren gespannt, was für ein Abenteuer uns hier erwarten würde. Unsere beiden Mütter begaben sich in das Gebäude hinein, während meine Großmutter mit uns Kindern auf den zwei Wagen die Rückkehr der beiden Frauen erwartete. Das dauerte ungewöhnlich lange, und als die beiden mit unmutigen und enttäuschten Gesichtern wieder bei uns auftauchten,

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