Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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»Warum es Rosinen- und kein Quarkkuchen ist, wird Ihnen mein Reim sagen.«

       »Was dieser Franzl nur immer mit seinen Quarkkuchen hat!« sagte ich.

       »Ist auch mir ein Rätsel,« behauptete der Busenfreund in sehr gleichgültigem Tone, wobei

       aber eine holde Röte auf den Stellen erschien, wo die Schnurrbartspitzen später auf den

       Backenbart zu treffen hatten.

       »Gestern,« fuhr ich fort, »erwähnte er ihn mehrmals, und zwar, wie ich mich erinnere, mit

       ganz besonderer Betonung. Sollte vielleicht der Umstand damit zusammenhängen, daß

       gestern abend der Kuchenschragen verschwunden war?«

       »Ich bin ganz ohne alle Ahnung!«

       »Wirklich?«

       »Ja. Doch, um von etwas anderem zu reden, was sagst du zu dieser halben Magenwurst? Mir

       kommt sie außerordentlich bekannt vor.«

       »So? Ah – ja – es ist möglich, daß es die Hälfte von der ist, von welcher ich dir

       heruntergeholfen habe. Wahrhaftig, der vortreffliche Franzl hat unsertwegen seine schönste

       Wurst zerschnitten! Oh Carpio, oh Carpio, wie wären wir nun blamiert, wenn du deinen

       Vorsatz ausgeführt hättest!«

       »Welches Unglück!« stimmte er tief aufatmend bei. »Denke dir – – die Federn!«

       »Ja, die – – – Federn! Mensch, wir wären wahrscheinlich deinetwegen alle beide zur Thür

       hinausgeworfen worden! Solche Schande kann man erleben, wenn man einen Spitzbuben zum

       Busenfreund hat!«

       »Schweig! Es ist ja alles noch gut abgelaufen. Es war nur eine Absicht; die kann dem

       ehrlichsten Menschen kommen; aber zur wirklichen Ausführung würde so etwas bei mir

       niemals kommen!«

       »Na, na!«

       »Niemals!« beteuerte er. »Du wirst mir doch zutrauen, daß ich den Unterschied zwischen

       Mein und Dein zu respektieren weiß!«

       »Schon gut! Jetzt wissen wir, was das Paket enthalten hat; nun wollen wir den Reim lesen!«

       »Können wir nicht noch warten, lieber Sappho?«

       Dieses »lieber Sappho« klang diesmal so zuckersüß, daß es mir auffiel. Darum erkundigte ich

       mich:

       »Warum sollen wir noch warten? Hast du etwa einen besondern Grund?«

       »Einen besondern nicht, aber unsere Spannung würde größer.«

       »Ich bin kein Freund von übermäßiger Spannung. Sehen wir also nach!«

       Ich zog den Umschlag hervor und öffnete ihn. Da legte er seine Hand auf die meinige und

       fragte:

       »Sappho, du bist mein bester, mein allerbester Freund. Willst du mir einen großen, sehr

       großen Gefallen thun?«

       »Welchen?«

       »Lies den Reim heut nicht!«

       »Wann denn?«

       »Später, später, meinetwegen zu Ostern oder zu Pfingsten, nur nicht heut!«

       »Höre, Carpio, mit dir ist etwas nicht richtig; du hast kein reines Gewissen. Ich werde lesen.«

       »Da sage – ich dir – – die Freundschaft auf!«

       »Gut! Betrachten wir sie schon jetzt als vorüber, denn wenn du zu diesem verzweifelten

       Mittel greifst, muß ich erst recht wissen, was Franzl geschrieben hat.«

       Ich zog den Zettel hervor und las ihn. Oh, nun wurde mir freilich alles, alles klar. Armer

       Carpio! Ich hätte laut auflachen mögen, bezwang mich aber, zeigte meine ernsteste Miene,

       schob ihm den Reim hin und sagte:

       »Hier – – lies!«

       Er las und wurde leichenblaß dabei.

       »Das – das – – hätte er nicht – – nicht dichten sollen!« stammelte er.

       »Wer sagte denn soeben noch, daß so ein schlechter Gedanke bei ihm niemals zur Ausführung

       kommen könne? Wer behauptete, den Unterschied zwischen Mein und Dein stets zu

       respektieren? Wer hat sich verstellt, mich getäuscht, belogen und betrogen? Lies mir den

       Reim laut vor!«

       »Das – – das kann ich nicht!«

       »Lies! Zur Strafe! Dann verfahre ich vielleicht gelinder mit dir, du – – du – – du

       Quarkkuchendieb, du!«

       »Versprichst du mir wirklich, nachsichtig zu sein?« fragte er so kleinlaut wie noch nie.

       »Ja.«

       Da las er, und ich hörte ihn an, wie er sich zwingen mußte:

       »Hat Carpio mitten in der Nacht

       Einen Kuchen ganz zu Quark gemacht,

       So stöhnt er unter Angst und Bangen:

       ›Ich hab den Hunger übergangen!‹«

       »Du hast also, als ich schlief, einen ganzen Quarkkuchen aufgegessen?«

       »Ja,« gestand er mit einer wahren Armensündermiene. »Ich habe es dir doch vorhergesagt!«

       »Nein! Du hast nur gesagt, daß der Verlust schwerer zu entdecken sei, wenn man ihn ganz

       aufißt. Einen ganzen, ganzen Quarkkuchen von vier Vierteln und acht Achteln! Das bringt

       doch höchstens nur ein Elefant fertig! Wie ist es dir denn darauf geworden?«

       »Schauderhaft, sage ich dir, schauderhaft! Ich werde noch auf Jahre hinaus zittern, wenn ich

       das Wort Quark nur höre! Übriglassen durfte ich nichts, und als ich mit Ach und Weh fertig

       war, begann der hinterlistige Teig in mir aufzuquellen!«

       »Da dauerst nicht etwa du mich, sondern der edle Löwe, der elend hat ersticken müssen! Du

       konntest dir doch denken, daß die Wirtin ihre Kuchen gezählt hatte!«

      

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