Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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ungefähr einem Jahre auf und davon gemacht, wohin, das weiß ich nicht.«

       »Ist die Frau von hier weiter?«

       »Ja. Der Wirt wollte sie nicht umsonst behalten, und Geld hatte sie nicht; sie dachte,

       unterwegs eher und leichter gute, mitleidige Leute zu finden, und es ist auch wahr, daß

       einsam wohnende Menschen gastlicher sind als Bewohner von Orten, wo es Gasthäuser

       giebt.«

       »Da ihre Hoffnung auf den Verwandten nun zunichte ist, hat es eigentlich gar keinen Zweck

       mehr für sie, nach Graslitz zu gehen; sie ist aber wohl trotzdem hin?«

       »Ja.«

       »Auf dem gewöhnlichen Wege?«

       »Sie wollte sich immer an der Zwoda aufwärts halten; weiter weiß ich nichts. Es ist ein

       wahres Herzeleid, solche Leute zu sehen! Sie wollen sich nach Bremen durchbetteln; ob sie

       aber hinkommen, das weiß man nicht; der Alte auf keinen Fall; ich dachte jeden Augenblick,

       er werde mir im Schlitten sterben. Sie sprach davon, daß sie Schiffskarten hätte; aber wenn es

       so langsam weitergeht wie jetzt, werden die wohl abgelaufen sein, ehe sie benützt werden

       können.«

       Diese Bemerkung machte mich noch besorgter um die Frau, als ich bis jetzt gewesen war. Ich

       nahm, ohne dem Händler zu sagen, was es war, das Couvert aus der Tasche und öffnete es;

       ich glaubte nicht, ein Unrecht damit zu begehen. Richtig! Die bezahlten Schiffslegitimationen

       waren von einem New-Yorker Agenten des damals erst ein Jahr bestehenden Bremer Lloyd

       ausgestellt und die Fahrt war für die ersten Tage des Februar festgesetzt. Die Frau hatte das

       nicht lesen können, weil der Text englisch war.

       Wir machten uns wieder auf den Weg, welcher immer am Flüßchen aufwärts führte und

       ziemlich beschwerlich war, weil der Schnee stellenweise knietief lag. Überall wo es

       menschliche Wohnungen gab oder wenn uns jemand begegnete, fragten wir und erfuhren so,

       daß die armen Leute mehreremal um Nachtlager gebeten hatten, aber immer abgewiesen

       worden waren. Die Bewohner dieser Gegend sind oder waren besonders damals selbst so arm,

       daß sie, zumal im Winter, kaum genug trockenes Brot für sich selber hatten.

       Gegen Abend sahen wir eine kleine, ärmliche, halb verfallene Schneidemühle vor uns liegen,

       deren ziemlich defektes Räderwerk eingefroren war. Das sah schon von außen ganz wie

       Hunger aus. Die kaum noch in den Rahmen hängenden Fenster hatten Risse und Löcher,

       welche mit Papier zugeklebt waren. Ein alter, abgemagerter Hund fuhr, als wir uns näherten,

       unter einer tiefen Schneewehe, wo er sein Lager hatte, hervor und vollführte mit seiner

       heiseren Stimme einen Lärm, auf welchen die obere Hälfte der querteiligen Thür geöffnet

       wurde. Das Gesicht einer alten, wie es schien, abgehärmten Frau war zu sehen.

       »Gott zum Gruß, Mütterchen!« sagte ich.

       »Grüß Gott,« antwortete sie. »Was wollen Sie?«

       »Sind Sie die Müllerin?«

       »Nein; die Mühle geht schon längst nicht mehr, denn ihr ist zwar nicht das Wasser aber das

       Geld ausgegangen. Ich bin nachher eingezogen, weil das Logis nichts kostet. Ich bin nämlich

       die Botenfrau zwischen Bleistadt und Graslitz.«

       »Wir suchen einen alten Mann, eine Frau und einen Knaben, welche gestern in Bleistadt

       waren und nach Graslitz wollten.«

       »Du lieber Gott, die, die suchen Sie? Da kommen Sie zu einer schlimmen Zeit! Mit dem

       Alten können Sie nicht reden, denn er liegt im Sterben. Was wollen Sie denn von der Frau?«

       »Wir bringen ihr etwas, was sie verloren hat.«

       »Da kommen Sie herein! Schön werden Sie es nicht bei mir finden, sondern traurig, sehr

       traurig.«

       Sie öffnete nun auch die untere Hälfte der Thür, und wir traten in einen engen, vollständig

       leeren Flur, dessen Wände im Zerbröckeln waren. Durch eine höchst mangelhaft schließende

       Thür kamen wir in die Stube, für welche aber der Ausdruck Stall in ihrem jetzigen Zustande

       eine unverdiente Ehrung gewesen wäre; ich wenigstens hätte weder Pferd noch Kuh hier

       unterbringen mögen!

       Es gab keinen Ofen, sondern einen aus Feldsteinen lose zusammengesetzten Herd, auf

       welchem ein Holzfeuer brannte, dessen flackernder Schein den sonst, obgleich es draußen

       noch ziemlich hell war, ganz dunkeln Raum zur Not erleuchtete. Von Wärme war nur wenig

       zu bemerken. Neben dem Herde ein paar Töpfe und Teller an der bloßen Erde, denn eine

       Diele gab es nicht. Am Fenster stand ein alter Tisch mit zwei schemelartigen Stühlen, und der

       Thür gegenüber gab es eine Lagerstätte, welche unsere Augen sofort auf sich zog. Sie bestand

       aus einem trockenen Laubhaufen, über den ein gewiß schon jahrelang nicht mehr weißes

       Betttuch gebreitet war. Einige zusammengerollte Fetzen bildeten das Kopfkissen, und die

       Zudecke präsentierte sich uns als die Reste eines haarlosen Männerpelzes. Auf diesem Bette

       lag der Greis, zu dessen Füßen der Knabe hockte, während die Frau am oberen Ende auf der

       Erde kniete und den Kopf ihres Vaters durch ihren untergeschobenen Arm stützte. Sie war so

       in ihren Schmerz versunken, daß sie sich gar nicht nach uns umblickte. Der Knabe erkannte

       uns und nickte uns traurig zu. Der Greis lag bewegungslos lang ausgestreckt; ob er die Augen

       offen hatte, konnten wir bei dem ungewissen Scheine des Feuers nicht erkennen; er sah so

       aus, als ob er schon tot sei.

       Der Ort, wo ein Mensch im Verscheiden liegt, ist eine heilige Stätte, und wenn er auch der

      

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