Propellerheim. Thomas Noll

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Propellerheim - Thomas Noll

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bei mir festgestellt! Am Freitag! Ein Gegentest, der dies bestätigt oder nicht liegt nun seit gestern in meiner Akte! Ich könnte in naher Zukunft Füße oder Augen verlieren, verstehen Sie, dass mich das ein klein bisschen anspannt??? Also, noch in dieser Stunde [hielt ihr die Uhr unter die Nase] erfahre ich den zweiten Blutwert, egal, wer ihn mir gibt, egal, wer ihn mir vorliest!“

      Das zeigte Wirkung! „Ma muss nur schwetze mit de Leit!“, sagt man bei uns im Saarland [saarl.: Man muss nur mit den Leuten reden, um ans Ziel zu kommen!]. Sie stotterte etwas und bat mich dann, ihr zu folgen in die Ärztestation. Dort machte nichts den Eindruck, als störe mein Anliegen besonders… eine fremde Ärztin las mir mit vollen Backen kauend den zweiten Blutwert vor. Er sei bedenklich, ließe aber nicht den Schluss zu, dass ich die Zuckerkrankheit hätte. Es wurde noch mehr getestet und gedruckst, um mich möglichst lange im Unklaren zu lassen. Dank email wusste ich inzwischen aber von meinem Hausarzt, dass die Werte für mich in Ordnung seien. Diese Werte gelangten zuhause wieder in den Standard-Bereich, als um 10:00 Uhr Blut abgezapft wurde, nach 6 Stunden Schlaf und 8 Stunden Nüchternheit.

      Genauso normal wie damals bei den letzten beiden Rehas meine Leber- und Gichtwerte zuhause wieder in Ordnung waren… Zwischen hohen Gichtwerten in einer Klinik könnte man einen Zusammenhang mit dem dortigen Essen wähnen… es gibt zum Frühstück Wurst und Käse, mittags Fleisch, abends Fleischsalat und kalter Braten… dass man dort eventuell der Gesundheit wegen dreimal die Woche Fleisch durch Tofu oder Seitan ersetzt, ist nicht möglich.

      Genauso wenig wie späteres Blutabnehmen als Nachts um 07:00 Uhr… Übrigens stand in dieser Station auch die einzige Waage der Klinik. Daneben hing ein Schild: „Wiegen Mo, Mi, Fr um 07:00 Uhr.“ Meine Frage, ob man mal dazwischen schnell auf die Waage springen könnte, ohne Krankenakten-Vermerk, nur für sich selbst zur Kontrolle, die Station sei ja immer besetzt; wurde natürlich auch verneint, das sei nicht möglich!

      „Aha!“, dachte ich, „draußen nur Kännchen! Und das alles zum Wohle des Patienten!“

      Also, seid bereit: niemand verlässt die Eingangsuntersuchung ohne Tiefschlag!

      Warum Kliniken das machen, erfuhr ich von kliniknahen Quellen etwas später: a) geht es darum, den Patienten gefügig zu machen, damit er alles Angeordnete sofort umsetzt, da er ja schwer krank ist. Und b) sichern sich Kliniken gerne ab, falls Patienten während des Aufenthaltes etwas passiert… da werden dann auch nur leicht abweichende Daten vom Idealwert „literarisch übertrieben“, so möchte ich es mal ausdrücken…

      Da das Thema Essen kurz angeschnitten wurde: Es wird jedem klar sein, dass es das Billigste gibt, was möglich ist, die meisten Kliniken sind Wirtschaftsunternehmen und deshalb gewinnorientiert. Es liegt am Koch, ob er daraus etwas Angenehmes zaubert oder resigniert nur etwas heiß macht… ich habe beides erlebt. Extrem fleischlastig sind aber alle, da ja Fleisch leider eines der billigsten Lebensmittel ist. Der fernöstliche Ansatz, dass Essen als Medizin angesehen wird, findet hier keine Beachtung.

      Etwas Bemerkenswertes zu diesem Thema ist mir noch in Erinnerung: meine 2. Klinik bezeichnete sich als Spezialisten für Ess-Störungen. Das wird ja auch dann im Hochglanzprospekt werbetechnisch hochwertig dargestellt. An meinem ersten Tag gab es abends am offenen Buffet Pfälzer Schlachtplatte, das heißt Blut- und Leberwurst satt, Saumagen und saure Gurken. Die Anorexistinnen waren schon beim Anblick grün im Gesicht, und die Adiposisten hauten rein, dass sich die Balken bogen. Ich vermag da wenig Klinik-Spezialisierung zu sehen.

      Das Thema „Essen“ sähe also in einer ayurvedischen Klinik deutlich anders aus als in unseren Reha-Kliniken!

      Am Anfang war das Wort

      Mein Tipp an dieser Stelle für direkt Betroffene: beantwortet die Fragen „Warum sind Sie hier, was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“ gewissenhaft, recherchiert und rekonstruiert Daten; druckt sie aus, speichert sie als pdf im PC, Laptop, tablet-PC, USB-Stick und im Handy – ihr werdet sie durchgehend brauchen!!!

      „Am Anfang war das Wort“, heißt es schon in der Bibel. So ist es auch in einer Reha. Nicht, dass man, bis man in der Reha ankommt, seine Lebens- und Leidensgeschichte bereits gefühlte 33 mal angegeben hätte. Beim Hausarzt, beim Psychologen, beim Neurologen, beim Reha-Antrag, nach der obligatorischen Ablehnung (angeblich macht dies der Azubi im ersten Lehrjahr ohne Durchsicht des Antrags), beim Einspruch gegen die Ablehnung.

      Nach der Genehmigung durch die Krankenkasse, meist aber durch die Rentenversicherung kommen dann Unterlagen von der Klinik, die auszufüllen sind. „Warum möchten Sie in die Reha, was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“ Erst-Rehaianer und Rehaianerinnen wundern sich schon hier, wieso die Informationen nicht von der Rentenversicherung an die Klinik weitergegeben wurden, schließlich beauftragt ja die Rentenversicherung die Klinik mit meiner Gesundung, sucht die Klinik nach Behandlungsschwerpunkten und freien Plätzen aus… Nein, die Klinik weiß nichts über meine Krankheit, hat keine Informationen! Gut, ich fülle alles aus und schicke es der Klinik zu.

      Was liegt in meinem Zimmer, als ich dort ankomme? Genau: ein zentimeterdicker Fragebogen zum Ausfüllen: „Warum möchten Sie in die Reha, was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“ Als Sahnehäubchen noch die Frage „Warum jetzt eine Reha?“, welche man nur als bitteren Sarkasmus auffassen kann, da praktisch alle Patienten einen monatelangen Leidensweg durch die ablehnenden deutschen Institutionen hinter sich haben und den Zeitpunkt ihres Aufenthaltes gewiss nicht selbst bestimmen können. Man hat den tiefen Eindruck, man ist nicht da um zu Gesunden, sondern um Aktenschränke zu füllen. Wohlgemerkt mit datenverarbeitungstechnisch schwer zu verarbeitendem Papier handschriftlich ausgefüllt. Aus Bosheit und zum Test gebe ich das Anfangs ausgefüllte Formular nicht wie befohlen am nächsten Tag ab, sondern warte, wie lange es dauert, bis es vermisst wird, wie lange sie mich behandeln, ohne das gelesen zu haben, was mich krank macht. – Kurz vor der Entlassung wird es bemerkt, man brauche das für den Abschlussbericht! Ob ich das aus Versehen nicht abgegeben habe. „Ach!“ sage ich unschuldig, „ich schaue mal im Zimmer nach, ob ich das vergessen habe!“ Und siehe da, da lag´s! Der zum x-ten Mal ausgefüllte Papier-Wust.

      Das erklärt auch ein bisschen, wieso niemand der Klinikangestellten meine Vorgeschichte kennt. Wenn die Akten im Schrank vor sich hin schimmeln.

      Erster echter Termin ist der Arzt, Dr. med., und dessen Begrüßungsfrage ist: „Was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“

      Der erste Therapeuten-Termin ist erst am nächsten Tag. Er hat ein leeres Krankenblatt in der Hand und fragt mich: „Warum möchten Sie in die Reha, was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“ Besonderer Wert wird hier auf die Vergangenheit gelegt. „Wann war die erste Panikattacke? Im Juni oder August 1991?“

      Ich bin extrem genervt. Kleine Männchen in meinem Kopf hauen mit der Spitzhacke auf meine offenen Nervenenden ein.

      Diese Fragen habe ich wirklich exakt am Computer rekonstruiert und detailliert in das Formular geschrieben, dass ich vor der Reha an die Klinik geschickt habe! Pdf-weise habe ich meine Infos, Empfindungen und Vorgeschichten geschickt – wo sind die jetzt??? Der Therapeut zuckt mit den Schultern. Tja, aus dem Kopf weiß ich nicht mehr, was 1991 war!!!

      Dass nicht mit dem PC gearbeitet wird, sondern grundsätzlich mit Papierchen zieht sich über den gesamten

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