Propellerheim. Thomas Noll
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Während meiner Zeit war mein Therapeut einmal krank. Es übernahm eine Vertretung, was mich aufgrund der Gesamt-Situation in Panik versetzte. Über diese Gegebenheit wird noch ausführlich berichtet… „Eine Vertretung seie kein Problem!“ wurde mir gesagt.
Ich trat ein, sie hatte eine leere Krankenakte in der Hand und fragte mich: „Warum sind Sie hier, was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“
Doch zurück zur Anfangszeit. Nachdem ich jedem berichtet hatte, wieso ich denn ´hier sei´ wurde die Nachricht kund, der Supervisor wolle mich sehen. Ausgerechnet mich? Nein, das sei obligatorisch, er wolle jeden seiner Patienten kennenlernen und nach dem Stand der Dinge fragen. Das kam mir gerade recht! Das ist ein Teamleiter der Klinik! Dem werde ich als ehemaliger Beauftragter für Prozesse und Qualität ein paar Vorschläge machen, wie zum Beispiel diesen revolutionär neuen Computer zu benutzen, damit jeder Klinikangestellte gleich über jeden Patienten im Bilde ist – innerhalb der datenschutzrechtlichen Bestimmungen natürlich -, und dass sich Patienten nicht ernst genommen fühlen, wenn sie 35mal dasselbe erzählen müssen, und das ja gerade oft das Kernproblem für psychische Störungen ist… in einem chirurgischen Krankenhaus weiß ja schließlich auch jeder nach kurzer Akteneinsicht, dass der Patient mit dem Magendurchschuss keinen scharfen Ingwer-Tee bekommt!
Ich bereitete mich gut vor, ich hatte nur 15 Minuten Sprechzeit. Ich trat ein, er ließ mich setzen, und ich begann: „Sie wissen ja, warum ich hier bin! Also, ich möchte etwas loswerden…“ „Moment!“ unterbrach er mich, „ich habe nur Ihren Namen! Bungert, nicht?“ „Nein, Noll ist mein Name…“ „Ah! Dann haben die das doch geändert!“ meinte er, und tauschte zwei leere Krankenakten in seinen Händen aus. „Dann erzählen Sie mal Herr Noll, warum sind Sie hier, was sind Ihre aktuellen Beschwerden, wann traten diese auf, welche Maßnahmen haben Sie selbst schon ergriffen, was erwarten Sie von der Reha?“ Ich sacke leicht vornüber. Erzähle meine Geschichte zum 36. Mal. Während er nickt, sehe ich hinter seinem Kopf an der Wand das Motto „Ihre Gesundheit ist unser Anspruch“ und kann dabei ein Lachen kaum unterdrücken. Meine Lippen zucken, ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Der Supervisor denkt aber, dass ich weine und wird immer tröstender in seinem Kopfnicken, was den Spruch aber ständig wieder aufleuchten lässt. Ich könnte trampeln vor Lachen und er hält´s für einen Heulkrampf. Ich will nur noch raus hier. Das ist auch schnell geschehen, denn durch Verspätung sind aus den 15 Minuten nur 8 geworden, und mein Vorhaben war eh bereits beerdigt.
Bleiben wir an dieser Stelle bei der Vergangenheitsbezogenheit der Schul-Psychologen: Die Kindheit ist die Lieblingszeit der Psychologen! Sie wird im Detail ausgerollt wie ein Nudelteig und wehe dem, der - wie ich – keine Besonderheiten in dieser Lebensphase hatte. Das Gesicht wird immer länger, wenn noch nicht mal die Eltern geschieden sind, keine Wohnung in sozial problematischen Großstadtbezirken; große Enttäuschung, wenn man mit seinen Freunden im Wald Baumhäuschen bauen war… wo kommen dann nur die Störungen her??? „Ist wirklich nichts in diesem Wald vorgefallen?“ „Nein!“ „Gab´s da keine Männer?“ „Äh, wie, Männer? Ja, klar, waren da auch Männer… Hunde ausführen und so… und einer hat immer mit uns geschimpft, wenn wir am Weiher spielten… Ochs hieß der…!“
„Aha!!!“ Die Psychologen-Augen beginnen zu leuchten! „Erzählen Sie von dem Ochs! Was hat der Euch angetan? Hattet Ihr Angst vor dem? Hatten Sie Träume von dem?“ „Nein, das war ein alter Mann, wir Kinder waren dem körperlich haushoch überlegen, wir hauten ab und kamen später wieder…“ „Soso…“ [kritzel, kritzel auf dem Block.]
Und dann ist man als Patient irgendwann gespannt. Dass der Psychologe aus diesem Wust an Informationen etwas herausarbeitet. Und der große Termin irgendwann kommt, an dem er sich hinsetzt und sich festlegt, wie im US-TV-Krimi, wenn der Gerichtspsychologe einen minutenlangen Vortrag hält: „Also, nach der Sachlage stellt es sich so dar: Sie haben sich am 25.6.1985 etwas eingefangen, das dann gewachsen ist, 1999 kam noch was hinzu und 2007 vermischte sich beides, und 2010 kam es zum Höhepunkt. Wir behandeln nun mit Dekomprimin, Schwitzbädern und Hypnose, dazu Massage und zwei Stromstöße jagen wir ihnen durch den rechten Frontallappen, dann sind sie wieder fit, Herr Noll!“
Jedoch: Wartet nicht auf irgendein Ergebnis aus Euren gemachten Angaben!!! Es wird nie zu diesem entscheidenden Termin kommen!
In einem unbedachten Moment entlockte ich einem Psychologen, sie benötigten diese Angaben, um den Abschlussbericht lückenlos schreiben zu können!
Was mir in diesem Zusammenhang noch auffällt ist, dass niemals Fragen gestellt werden, mit welchen wir „Zivilisten“ Menschen einschätzen oder einordnen, welche wir neu kennenlernen: „Welche Filme magst Du? Welche Bücher liest Du? Welche Musik hörst Du?“ Sicher mag das auch mal irreführend sein… ich mag Mantras genauso wie Rammstein. Aber nach der Beantwortung aller drei Fragen könnte ich mein Gegenüber sicher besser einschätzen als nach Fragen nach seiner über 40jährigen Vergangenheit…
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