Faro. Ole R. Börgdahl
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»Sag mal, du weist wohl gut Bescheid. So was wird doch nicht im Heeresbericht erwähnt, oder.«
Rudolf sah kurz zur Schuppentür, trat dann einen Schritt näher an Michael heran. »Der Heeresbericht ist doch was für’n Kindergarten. Ich war die letzten Wochen oft in Dresden, hab da einen Kumpel. Was mit meinem linken Arm ist, hat er mit dem rechten Bein.« Rudolf zupfte sich am Ärmel seines Hemdes. »Er nennt es Kötzschenbroda, weißt du, was ich meine?«
Michael sah Rudolf an. »Kötzschenbroda?«, wiederholte er.
Rudolf trat noch ein Stück näher. »Mein Kumpel hat ein uraltes Radio, wohl aus den Zwanzigern oder so. Er hat immer einen Hammer zur Hand, wenn er Radio hört. Weißt du jetzt, was ich mit Kötzschenbroda meine?«
»Ne, wirklich nich’.« Michael schüttelte den Kopf. »Was soll das mit dem Hammer und diesem Kötzschenbroda?«
»Ja, wie soll ich es sagen.« Rudolf zögerte. »Also, mit dem Hammer würde er das Radio kaputt hauen. Dann kann niemand behaupten, dass das Ding noch funktioniert hat.«
Michael hatte endlich begriffen. »Du meinst, dein Kumpel hört ausländische Sender?«
»Ich würd’s noch lauter brüllen.« Rudolf sah wieder zur Schuppentür. »Also, dieses Kötzschenbroda ist schon sehr spannend. Ich habe ja auch erst gedacht, die Engländer bescheißen, aber wenn man die Nachrichten häufiger hört und auch sieht, was hier so vor sich geht. Du verstehst schon, was ich meine.«
»Ich weiß nicht, was soll das, warum machst du das? Und du bist jetzt überzeugt, dass der Feind die Wahrheit sagt. Warum sollten die Engländer das machen?«
Rudolf zuckte mit den Achseln. »Weil es für die Engländer besser steht, seitdem der Ami mitmischt. Mein Kumpel sagt das auch. Als die Amis 1917 in den Krieg eingetreten sind, da begann für den Kaiser die Kacke anzudampfen. So wird’s jetzt auch wieder sein.«
»Man, halt doch die Schnauze. Erst hörst du Feindsender und dann schwingst du auch noch solche Reden.«
»Halt du die Schnauze. Hab’ nichts von Feindsender gesagt.«
»Kötzschenbroda!«, sagte Michael kopfschüttelnd. »Ja, ja, ich weiß.«
*
Die Mutter klopfte, wartete eine Sekunde und trat dann ins Zimmer. Michael lag auf dem Bett. Er hatte das Buch gerade zur Seite gelegt, streckte sich gähnend.
»Du sollst doch die Tagesdecke abnehmen, wenn du dich aufs Bett legst.«
Michael blickte auf. »Ich weiß, Mama, aber ich wollte nicht, dass die Bettwäsche schmutzig wird.«
»Dann musst du sie eben auch herunternehmen und dich nur auf die Matratze legen.« Die Mutter zögerte. »Aber ist schon gut, Junge, ich beziehe das Bett ohnehin morgen neu, wenn du wieder fort bist.«
Die letzten Worte sprach sie ganz leise. Michael erhob sich, nahm ihr den Wäschekorb ab, stellte ihn auf den Boden und umarmte seine Mutter. Sie blieben einige Sekunden so stehen. Die Mutter streichelte Michael über die Schulter, sie lösten sich wieder voneinander.
»Ich habe dir deine Sachen gewaschen. Willst du sie gleich einpacken, damit du nichts vergisst?«
Michael nickte. Er holte seinen Seesack aus der Ecke neben dem Kleiderschrank und stellte ihn auf den Schreibtisch. Die Mutter bückte sich und griff ein paar Wäschestücke aus dem Korb, legte Unterwäsche, Taschentücher, Socken und zwei Halstücher auf den Schreibtisch. Michael hatte bereits seine Halbschuhe und die blaue Ausgehuniform ganz nach unten im Seesack verstaut. Die Mutter holte noch zwei Pullover, zwei Hemden und die Strickjacke aus dem Wäschekorb. Michael nahm ihr die Sachen ab, legte sie in den Seesack. Dann stopfte er den Kleinkram dazwischen, Kleiderbürste, Essbesteck, Wasch- und Rasierzeug, Schuhputzzeug, Lederfett, Nähzeug.
»Die Handtücher sind in deinem Schrank.«
Die Mutter hatte den Schrank schon geöffnet, die Handtücher herausgenommen und reichte sie Michael.
»Zwei sind genug, ich bekomme ja gar nicht alles mit.«
»Könnt ihr an Bord denn auch waschen?«
»Ja, Mama, mach dir darüber bitte keine Gedanken. Zwei Handtücher reichen.«
Der Verschluss der Feldflasche klapperte, als Michael sie zusammen mit den Handschuhen als Letztes einpackte und den Seesack anschließend verschnürte.
»Was trägst du auf der Fahrt?«
Michael nahm den Drillichanzug vom Schrank. Er hatte die Uniformbluse und die Rundbundhose gestern selbst noch gebügelt. Die Mutter sah sich das blaue Schiffchen an, das obenauf lag.
»Was ist das für ein weißer Stab auf dem Kreuz?«
»Das ist kein Stab, das ist ein Torpedo«, erklärte Michael, »unser Bootswappen, weißer Torpedo im Balkenkreuz. Das Balkenkreuz ist das Wehrmachtsemblem.«
Die Mutter nickte. Sie legte das Schiffchen wieder auf den Bordanzug und befühlte den Stoff der Uniformbluse.
»Warum trägst du auf der Fahrt nicht deine blaue Uniform? Darin siehst du doch viel besser aus, als in diesem groben Stoff.«
»Nachts brauche ich nicht gut auszusehen und außerdem, wenn ich am Morgen in Lorient ankomme, gehe ich gleich aufs Boot. Ich will mich dann nicht auch noch umziehen müssen.«
»Wie du meinst. Hast du jetzt alles? Heute Abend bekommst du noch ordentlich Brote mit und ich pack dir auch noch etwas vom Braten ein.«
*
Der sechstägige Urlaub war vorüber. Michael klopfte sich die Krümel von der Uniformjacke. Er hatte gestern Abend auf dem Bahnhof in Dortmund noch eine Bockwurst im Brötchen gekauft. Er hatte sie gegessen und musste dann eingenickt sein. Er hatte durchgeschlafen. Es war jetzt drei Uhr in der Früh. Sie waren längst in Frankreich. Der Zug ratterte gleichmäßig dahin. Michael sah zum Fenster, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Er machte es sich wieder bequem. Er hörte noch ein Husten vorne im Wagon und war bereits wieder eingeschlafen.
Zwei Stunden später fuhr der Zug in den Bahnhof von Lorient ein. Es gab einen Bahnsteig nur für Wehrmachtsangehörige. Wachmannschaften mit Hunden patrouillierten vor einem Stacheldrahtzaun. Am Gatter wurden die Papiere kontrolliert. Michael zeigte seinen Urlaubsschein und durfte passieren. Auf dem Platz vor dem Bahnhof standen Lastwagen. Michael reichte einem Kameraden seinen Seesack herauf, kletterte dann selbst auf die Pritsche und suchte sich einen Platz auf den Holzbänken. Die Männer waren noch müde und sehnten sich nach einem Frühstück und nach heißem Kaffee. Die Pritschenklappe wurde heftig zugeschlagen, der Lastwagen setzte sich mit dröhnendem Motor in Bewegung. Es ging durch die Altstadt. Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten. Der Geschmack salziger Luft drang durch die offene Plane. Der Lastwagen fuhr langsamer, ratterte über Schienen und unebene Betonplatten. Sie fuhren an einem großen Schuttberg vorbei, aus dem rußgeschwärzte Metallstangen hervorstachen. An einer Stelle