Orangen und Datteln. Karl May
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Ein stolzer Blick seines dunklen Auges blitzte mir entgegen.
»Die Kubabisch sind die berühmtesten Kinder des großen Abu Zett, Sihdi; ihr Stamm umfaßt mehr als zwanzig Ferkah, und der tapferste derselben ist En Nurab, zu dem ich gehöre.«
»En Nurab? Ich kenne ihn; sein Scheikh ist der weise Fadharalla-Uëlad-Salem, neben dessen Stute ich geritten bin.«
»Bismillah, das ist gut, Sihdi, denn nun darf ich deine Stimme hören, obgleich du ein Ungläubiger bist aus dem armen Lande Frankhistan!«
»Wie ist dein Name?«
»Mein Name ist schwer für die Zunge eines Inglese. Er lautet Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli.«
Ich mußte lächeln. Hier stand einer jener Araber vor mir, welche ihrem einfachen Namen den ganzen Stammbaum beifügen, teils um ihre Ahnen zu ehren, meist aber um auf den Hörer einen Eindruck zu machen. Ich entgegnete daher:
»Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli. Die Zunge eines Inglese vermag einen Namen auszusprechen, der, wenn er niedergeschrieben wird, von Bengasi bis nach Kaschenah reicht; dennoch aber werde ich dich nur Hassan nennen, weil Mohammed sagt: ›Sprich nicht zehn Worte, wo ein einziges genügt!‹«
»Mein Ohr wird verschlossen sein, wenn du mich Hassan rufst, Sihdi. Die mich kennen, nennen mich Hassan el Kebihr, Hassan den Großen; denn du mußt wissen, daß ich Djezzar-Bei, der Menschenwürger, bin!«
»Allah akbar, Gott ist groß; ihn kennt jede Kreatur, aber von Djezzar-Bei, dem Menschenwürger, habe ich noch nie ein Wort vernommen! Wer hat dich so genannt?«
»Ein jeder, der mich kennt, Sihdi!«
»Und wie viel Menschen hast du bereits erwürgt?«
Er schlug verlegen die Augen zu Boden.
»Die Steppe bebt und die Sahel erzittert, wenn Djezzar-Bei erscheint, Sihdi; aber sein Herz ist voll Gnade, Langmut und Barmherzigkeit, denn ›deine Hand sei stark wie die Tatze des Panthers, doch lind wie der Halm des Grases auf dem Felde‹, lehrt der fromme Abu Hanifa, dem jeder Gläubige gehorcht.«
»So ist dein Name makasch, und ich werde ihn erst dann gebrauchen, wenn ich überzeugt bin, daß du ihn verdienst!«
Ich begann zu ahnen, daß der gute Hassan el Kebihr trotz seiner riesigen Gestalt und des Waffenarsenals, welches er um sich hängen hatte, ein höchst unschädliches Menschenkind sei. Die Wüste hat ihre Renommisten ebenso wie die Bierbank oder der Salon.
»Ich habe ihn verdient, sonst hätte ich ihn nicht, Sihdi,« antwortete er stolz. »Sieh diese Flinte, diese Pistolen, diese Muzra, dieses Kussa und dieses Abu-Thum,vor dem selbst der kühne Uëlad Sliman flieht! Und du willst mir meinen Namen verweigern? Selbst Sihdi Emir hat ihn mir gegeben!«
Sihdi Emir? Verwandelte er vielleicht das englische Emery in das morgenländische Emir?
»Wer ist Sihdi Emir?« fragte ich ihn.
»Rabbena chaliëk, Gott erhalte dich, Sihdi, und deinen Verstand! Kennst du nicht den Namen dessen, der mich zu dir sendet?«
Wahrhaftig, er hatte aus unserm Emery einen Emir gemacht! Der liebenswürdige Wunsch, mit welchem er seine Verwunderung aussprach, mußte mich belustigen, doch nahm ich einen ernsteren Ton an, um ihn in die gebotenen Schranken zurückzuweisen.
»Erzähle mir von Sihdi Emery!«
»Ich war in Bilma, von wo aus ich eine Kaffila nach Zinder geleitete. Du mußt nämlich wissen, Sihdi, daß Hassan el Kebihr, Hassan der Große, ein berühmter Khabir ist, der alle Wege der Sahara kennt und ein Auge besitzt, dem nicht die geringsten Darub und Ethar(Spuren und Fährten"> entgehen!«
War dies wirklich so, dann mußte mir seine Begleitung allerdings von großem Vorteile sein. Ich beschloß, ihn sofort auf die Probe zu stellen, um zu sehen, was ich von ihm zu halten hatte.
»Sagst du die Wahrheit, Hassan?«
Er nahm die stolzeste Haltung und Miene an, die ihm möglich war.
»Weißt du, was ein Hafizh ist, Sihdi?«
»Einer, der den Koran auswendig kennt.«
»Du bist klug, obgleich du aus dem Lande Frankhistan stammst. Nun wohlan, Sihdi! Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli ist ein Hafizh, der dir alle hundertvierzehn Suras und alle sechstausendsechshundertsechsundsechzig Ayats des Kuran hersagen kann; du aber bist ein Giaur. Willst du an dem Worte eines echten Moslem zweifeln?«
»Hüte deine Zunge, Hassan, denn ich bin nicht gewohnt, mich von jemand beschimpfen zu lassen, und wenn er zehnmal ein Hafizh und hundertmal ein Moslem ist! Strenge dein Gedächtnis an, so wirst du dich entsinnen, daß die Christen nicht ungläubig sind, weil sie ebenso wie ihr ein ›heiliges Buch‹ empfangen haben; so sagen alle weisen Lehrer von dem ersten Emir el Mumiain an bis herab zu deinem frommen Abu Hanifa, dem jeder Gläubige gehorcht, wie du vorhin sagtest. Du hast den Koran gelernt; aber kennst du auch den Ilm tefsir el Kuran? Dort heißt es, daß nur ein Parsi und ein Götzendiener ein Giaur ist!«
»Du bist weise wie ein Softha, Sihdi; noch weiser aber wärst du, wenn du glaubtest, was ich dir sage!«
»Ich will es glauben, wenn du mir sagst, welche Oasen den Schlüssel zum Rif (Küste von Tripolis und Aegypten) bilden!«
»Ain es Salah, Ghadames, Ghat, Murzuk, Audschelah und Siut.«
»Und zum Sudan?«
»Aghades und Ahir, Bilma, Dongola, Khartum und Berber.«
»Wie reist man von Kordofan nach Kairo?«
»Von Lobeidh nach Khartum über Kurssi, Sanzür, Koamat und Tor el Khada. Die Reise dauert zehn Tage. Oder von Lobeidh nach Debbeh über Barah, Kaymar, Dschebel, Haraza, Way und Ombelillah. Dieser Weg ist um acht Tage länger, aber besser als der vorige.«
»Wie lange braucht man, um von Soaken nach Berber zu kommen?«
»Der Weg geht über den berühmten Brunnen von Ruay und durch das Gebiet der Amaver, Hadendoa und Omram, die sämtlich nubische Hirten sind. Du kannst ihn in zwölf Tagen zurücklegen, Sihdi.«
Er gab seine Antworten schnell, korrekt und mit einer Miene, in welcher sich eine sichtbare Genugthuung über die glanzvolle Art und Weise aussprach, mit der er das kurze Examen bestand.
»Ich glaube dir, Hassan,« entschied ich jetzt einfach. »Jetzt erzähle weiter! Also du geleitetest eine Kaffila nach Zinder!«
»Von Bilma nach Zinder. Dort traf ich den Sihdi Emir. Er gab mir alles, was ich brauchte, und sandte mich hierher, wo ich einen tapfern Sihdi aus Germanistan finden würde, den ich zu ihm bringen soll.«
»Wo soll ich ihn treffen?«
»Beim Bab-el-Ghud (Dünenthor), wo man aus den wandernden Sandhaufen in die Felsen des Serir (Steinwüste) gelangt. Hast du gehört von den bösen Djinns (Geistern) der Wüste, Sihdi?«