Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling

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Rudyard Kipling - Gesammelte Werke - Rudyard Kipling

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hinaus und schrie aus voller Lunge: »Nurkeed! Nur-keed!« Ein erstaunlich dunkelhäutiger Mann in weißer, brettartig gestärkter Wäsche, funkelnagelneuen weiten Matrosenhosen und mit einer faustgroßen Busennadel geschmückt, drehte sich um. Nurkeed war's; oh, er hatte auf seinen vielen Reisen gelernt, wie man den richtigen Gebrauch macht von Geld, und hatte sich als Weltbürger ausstaffiert.

      »Hü Jawoll!« sagte er, als der freundliche Gentleman die Situation erklärt hatte. »War in meinige Dienst - schwarze Nigger das - auf der ›Saarbrücken‹ - Oh ja. Alde Pambé, gute alde Pambé. Verdammter Inder. Wo ist er sich, Herr?«. Und er folgte dem Gentleman in das Krankenzimmer. Ein schneller Blick zeigte ihm, daß der alte Herr die Wahrheit gesprochen hatte: Pambé war bettelarm. Nurkeed wühlte mit beiden Händen in den Taschen, näherte sich mit gefüllten Fäusten dem Kranken und schrie: »Heja, Pambé. Heja! Hi-ah! Hulla! Hih! Takilo! Takilo! Faß an! Hoch! Pambé! Weißt noch, Pambé? Du kennen mich. Dekho, jih! Da schau! Verdammter fetter fauler Matros, indisches!«

      Pambé winkte schwach mit der linken Hand; die rechte ruhte unter der Bettdecke. Nurkeed nahm seinen riesigen Hut ab und beugte sich über Pambé, um sein Geflüster besser verstehen zu können. - »Es ist wahrhaft erhebend«, sagte der freundliche Gentleman, »diese Orientalen lieben einander wie die Kinder!«

      »Los! Spuck aus: Was is?« fragte Nurkeed und lehnte sich noch weiter vor.

      »Da hast d' für den Fisch mit Zwiebel!« sagte Pambé und stieß ihm ein Messer von unten nach oben zwischen die Rippen.

      Ein ersticktes, trockenes Husten, dann fiel der Afrikaner langsam neben dem Bett zusammen. Seine Hände streckten sich und eine Menge Silbermünzen rollten durch die Stube.

      »Jetzt kann ich sterben!« sagte Pambé.

      Aber er starb nicht; man päppelte ihn mit größter Sorgfalt und mit Aufgebot der verfügbaren Geldmittel wieder auf, denn das Gesetz hielt das Auge auf ihn gerichtet. Als er dann soweit genesen war, hängte man ihn in aller Form, und wie es sich gehört, auf.

      Pambé machte sich nicht viel daraus. Aber für den freundlichen alten Herrn war es ein schwerer Schlag.

      Das Abendessen in Dhunni Bhagats Chubara war zu Ende, und die alten Priester rauchten oder beteten ihre Rosenkränze. Ein kleines Kind kam hereingetrappelt, den Mund weit offen, in der einen Hand einen Strauß Butterblumen und in der andern ein Päckchen Tabak. Es versuchte niederzuknien und vor Gobind eine tiefe Verbeugung zu machen, aber fett wie es war, fiel es hin auf seinen glattgeschorenen Kopf und purzelte auf die Seite, strampelnd und nach Atem schnappend, wobei die Butterblumen nach links und der Tabak nach rechts in weitem Bogen flogen. Gobind lachte, stellte es wieder auf die Füße und segnete die Butterblumen, während er den Tabak einsteckte.

      »Von Papa«, sagte das Kind. »Er hat das Fieber und kann nicht kommen. Wirst du für ihn beten, Vater?«

      »Freilich, Kleinchen; aber der Erdrauch ist aufgestiegen und Nachfrost liegt in der Luft. Es ist nicht gut, nackt im Herbst herumzulaufen!«

      »Ich hab keine Kleider«, sagte das Kind, »und den ganzen Tag hab ich Kuhfladen in den Bazar tragen müssen. Es ist so heiß gewesen, und ich bin schrecklich müd.« Es schauderte ein wenig, denn die Dämmerung war kühl.

      Gobind steckte den Arm unter seine weite, buntgefleckte Lumpendecke und machte neben sich ein kleines einladendes Nest daraus; das Kind kroch hinein, und Gobind füllte den frischen Tabak in seine messingbeschlagene Wasserpfeife: mit dem langen Lederschlauch. - Als ich in die Chubara trat, lugte der kleine geschorene Kopf mit der Haarquaste oben drauf und den schwarzen Kugelaugen aus seinem Nest heraus, wie ein Eichhörnchen, während Gobind daneben saß und lächelnd duldete, daß das Kind mit seinem Bart spielte.

      Ich wollte etwas Freundliches sagen, erinnerte mich aber noch rechtzeitig, daß, wenn das Kind vielleicht später zufällig stürbe, es heißen würde, ich hätte den bösen Blick, was ein furchtbarer Vorwurf ist.

      »Bleib nur ruhig sitzen, Däumlingchen«, sagte ich, als der Kleine Miene machte, aufzuspringen und fortzulaufen. »Wo hast du denn deine Schiefertafel? Und wie hat denn der Lehrer einem Bösewicht wie dir erlauben können, auf der Straße herumzulaufen, wo doch gar kein Polizeimann da ist, der auf uns schwache Brummer achtgibt? Und in welchem Stadtviertel gedenkst du dir den Hals zu brechen beim Drachensteigenlassen auf dem Dach?«

      »Nein, Sahib, nein!« sagte das Kind, versteckte sein Gesicht im Barte Gobinds und flocht verlegen Strähne hinein. »Heut war doch schulfrei, und ich laß nie Drachen steigen. Ich spiel Ker-li-kit, wie die andern.«

      Kerlikit-Cricket ist das Nationalspiel der Schulbuben im Punjab, vom nackten ABC-Schützen angefangen, der zum Cricket-Ballbesteck sich eine alte Weißblechlampe auserkürt, bis hinauf zum Universitätshörer, der für die Meisterschaft trainiert.

      »So? Du spielst Kerlikit! Aber du bist doch selber erst halb so groß wie ein Cricketschläger!« sagte ich.

      Das Kind nickte stolz. »O ja! Ich kann gut spielen. Per-lay Ball: A-us! Lauf, lauf, lauf! Ich weiß das alles.«

      »Aber du darfst dabei niemals vergessen, zu den Göttern zu beten, wie es vorgeschrieben ist«, ermahnte Gobind, der auf Cricketspielen und andere westliche Neuerungen nicht das geringste Gewicht legte.

      »Ich vergeß es nie«, beteuerte das Kind verschüchtert.

      »Auch deinem Lehrer Verehrung entgegenzubringen, und –« - Gobinds Stimme wurde mild - »und heilige Männer nicht am Bart zu zupfen, du kleiner Missetäter. Eh, eh, eh? Was ist denn das?«

      Das Kind hatte sofort sein Gesicht in dem großen weißen Bart begraben und begann zu wimmern, bis Gobind es beschwichtigte, wie man alle Kinder in der Welt beschwichtigt: mit dem Versprechen, ihm eine Geschichte zu erzählen.

      »Ich hab dich doch nicht erschrecken wollen, Dummerle! Schau doch her! Mach ich ein böses Gesicht? Also! Aré, aré, aré. Soll ich vielleicht mitweinen? Und aus unsern Tränen einen Teich machen, in dem wir dann beide ertrinken? Und wenn dann dein Vater nicht mehr gesund wird, wer wird ihn denn dann am Bart zupfen? Still, still, ich werde dir etwas von den Göttern erzählen. Hast du schon viele Geschichten gehört?«

      »Oh, viele, viele, Vater.«

      »Aber ich weiß eine neue, die du sicher noch nicht gehört hast. Also: lang lang früher in alter Zeit, als die Götter noch mit den Menschen herumgingen - sie tun's auch heute noch, aber wir haben zu wenig Glauben und darum sehen wir sie nicht -, da ist Schiwa, der oberste aller Götter, mit Parbati, seiner Frau, eines Tages im Garten eines Tempels spazierengegangen.«

      »In welchem Tempel?« fragte das Kind schnell. - »Im Nandgaon-Viertel?«

      »Ach was! Viel viel weiter. Vielleicht in Trimbak, oder in Hurdwar, wohin du einmal pilgern mußt, bis du groß bist. Nun, und da saß gerade im Garten unter den Jujube-Bäumen ein Bettelmönch, der hatte Schiwa verehrt durch vierzig Jahre und lebte von den Gaben der Frommen. Tag und Nacht war er versenkt in heiligen Betrachtungen.«

      »Oh, Vater, das warst du!« rief das Kind und blickte mit weit offenen Augen Gobind an.

      »Aber nein! Ich hab dir doch gesagt, es war viel früher. Und dann war der Bettelmönch verheiratet.«

      »Haben sie ihn bei der Hochzeit auf ein Pferd gesetzt und ihm Blumen auf den Kopf gelegt und ihm verboten, in der Nacht zu schlafen? So haben sie es mit mir gemacht, als sie mich

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