Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
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»Aber selbstverständlich«, sagte Tommy, »du hättest ihm ja beinahe den Kopf abgeschlagen. Ich hab's ganz deutlich gesehen, als der Tanz anfing. Schlaf jetzt, alter Bursche.«
Der Nachmittag brachte zwei Schwadronen Beshaklis zur Stelle und eine Gesellschaft befreundeter Offiziere, die Tommy Dodd vor ein Kriegsgericht gestellt zu sehen wünschten, da er ihnen, unkameradschaftlicherweise, das »Picknick« verdorben habe; sodann gab's einen gemeinschaftlichen Galopp über Land zum Kanalwerk, wo Ferris, Curbar und Hugonin den schreckensbleichen Kulis zuredeten, doch nicht eine so gute Arbeit und hohen Lohn im Stiche zu lassen, bloß weil die Khusru Kheyl einem halben Dutzend von ihnen die Hälse durchgeschnitten hatten. Der Anblick einer Truppe Beshaklis stellte das erschütterte Vertrauen bald wieder her, und die von Polizisten verfolgten Räuber hatten das zweifelhafte Vergnügen, zusahen zu müssen, wie das fleißige Summen der Arbeit am Kanalufer von neuem begann, wobei diejenigen, die in den Wasserläufen ihre Zuflucht gesucht, von den Truppen aufgestöbert wurden. Bei Sonnenuntergang trat dann seitens der Polizeipatrouille eine erbarmungslose Streife ein, die ganze Grenze entlang - ähnlich einem rastlosen Kuhhirtenritt um eine unruhige Viehherde.
»Da seht ihr's«, sagte Khoda Dad Khan zu seinen Leuten und deutete von den flackernden Lagerfeuern hinab ins Tal, »wie wenig sich gegen früher die Zustände geändert haben! Nach ihrer Reiterei werden die kleinen Teufelskanonen kommen, die sie bis herauf auf unsere Gipfel schleppen können, und die bis in die Wolken die Kugeln tragen, wie ich weiß. Wenn der Stammesrat es für gut befindet, so will ich zu Tallantire Sahib gehen - er liebt mich - und versuchen, ob ich nicht wenigstens die Blockade verhüten kann. Soll ich im Namen des Stammes reden?«
»Ay, sprich für den Stamm in Gottes Namen. Wie die verdammten Feuer blinken! Schicken die Engländer ihre Truppen mit dem Telegraphendraht, oder ist es ein Werk dieses Bengali?«
Als Khoda Dad Khan eben im Begriffe war, den Berg hinabzusteigen, begegnete er einem Stammesgenossen, und ein kurzes Gespräch bewog ihn, rasch wieder umzukehren und etwas zu holen, was er anscheinend vergessen hatte. Sodann ließ er sich von den zwei Soldaten, die hinter seinem Freunde hergewesen waren, zu Tallantire Sahib eskortieren, der sich angeblich mit Bullows in Jumala befand. An der Grenze war alles ruhig, und die Zeit des brieflichen Meinungsaustausches hatte begonnen.
»Gott sei Dank«, sagte Bullows, »daß es zu einem Aufstand gekommen ist! Wir können natürlich nicht das Thema auf werfen: hie Farbig, hie Weiß, aber ganz Indien wird verstehen, was wir sagen wollen. Besser ein scharfer, kurzer Wutausbruch im Distrikt, als fünf Jahre einer impotenten Regierung innerhalb des Grenzgebietes. Es kostet weniger. Grish Chunder Dé hat sich krank gemeldet; man hat ihn ohne Vorwurf in seine eigene Provinz zurückberufen. Er hat sich ausdrücklich darauf ausgeredet, daß er sein Amt hier noch nicht offiziell angetreten habe.«
»Natürlich«, sagte Tallantire bitter. »Gut, und welche Schuld wird man mir zuschieben?«
»Oh, man wird sagen, Sie hätten ihre Befugnisse überschritten und außerdem versäumt, rechtzeitig zu warnen und einen Einfall der Khusru Kheyl drei Wochen früher vorherzusagen. Aber ich denke, die Autoritäten werden nicht wagen, viel Aufhebens davon zu machen; sie haben eine Lektion gekriegt. Haben Sie übrigens Curbars Notizen über den Vorfall gelesen? Einen ordnungsmäßigen Bericht kann er nicht schreiben, wohl aber einen wahrheitsgetreuen.«
»Was nützt die Wahrheit? Am besten, er zerrisse seinen Bericht. Ich bin krank an Leib und Seele. Es war alles so gänzlich unnötig - höchstens, daß wir den Babu los sind.«
In diesem Augenblick trat Khoda Dad Khan ein, in der Hand einen auffallend straff gefüllten Furagebeutel, und hinter ihm die zwei Soldaten.
»Möget ihr niemals ermüden!« sagte er fröhlich. »Eine schöne Schlacht war's, Sahibs! Und dir, Tallantire Sahib, ist Naim Schahs Mutter zu besonderer Anerkennung verpflichtet. Ein glatter Hieb, so höre ich, vom Hals bis tief hinunter zum Brustbein, durch den gefütterten Mantel hindurch! Brav gemacht! Aber ich spreche jetzt für den Stamm. Es war ein Fehler - ein großer Fehler. Du weißt, Tallantire Sahib, daß ich und die meinen den Eid gehalten haben, den wir Orde Sahib schwuren am Ufer des Indus.«
»Ja. So einschneidig wie ein afghanisches Messer: stumpf auf der einen und scharf auf der andern Seite!« sagte Tallantire.
»Ebendarum ist es so wirksam beim Hieb! Aber, ich spreche die Wahrheit, bei Gott! Nur der blinde Mullah hat die jungen Leute hineingehetzt mit der Spitze seiner Zunge; er hat gesagt, es gäbe kein Grenzgesetz mehr, seit der Bengali hergeschickt wurde, und man brauche die Engländer nicht mehr zu fürchten. Da sind sie hinuntergestiegen, um Rache für die Beleidigung zu nehmen und Beute zu machen. Damit ihr uns Glauben schenket, haben wir dem blinden Mullah, dessen üble Ratschläge den Stamm zur Unbesonnenheit verleitet haben, den Kopf abgeschnitten. Zum Beweis hab ich ihn mitgebracht«, - er warf den Kopf auf den Boden - »er wird keinen Aufstand mehr machen, denn jetzt bin ich der Führer und habe die oberste Stimme. Aber hier ist noch ein Seitenstück zu dem Kopf. Es hat noch ein zweiter Fehler stattgefunden. Einer unserer Leute hat das schwarze Bengali-Vieh erwischt, das schuld war, daß der Aufstand losbrach. Alla Dad Khan hat es gesehen, wie es weinend zu Pferd herumstreunte, und da er daran dachte, daß es die Schuld an so vielem vergossenen Blut trägt, hat er ihm den Kopf abgesäbelt; ich bringe ihn mit, auf daß ihr eure Schmach mit ihm begraben könnt. Wenn ihr es wünscht, lasse ich Alla Dad Khan morgen erschießen. Seht her: nicht einmal die Brille haben sie ihm genommen, trotzdem sie aus Gold ist!«
Langsam rollte zu Tallantires Füßen hin der kurzgeschorene Schädel eines bebrillten, bengalischen Gentlemans, die Augen aufgerissen, den Mund weit offen: der Kopf des Schreckens selber in leibhaftiger Gestalt! Bullows bückte sich herab: »Wieder ein Blutgeld, und ein sehr schweres, Khoda Dad Khan, denn dies ist der Kopf Debendra Naths, des Bruders! Der Babu selbst hat sich längst in Sicherheit gebracht. Alle wissen es, nur die Narren von Khusru Kheyl wissen es nicht.«
»Meinetwegen. Ich kümmere mich nicht um Aas. Fleisch ist Fleisch. Das Vieh hat unten am Bergesrand nach der Straße nach Jumala gefragt, und da hat ihm Alla Dad Khan halt den Weg in die Hölle gezeigt, eben, weil er ein Narr ist, wie du sagst. Bleibt nur noch zu erörtern, was die Regierung in unserm Fall zu tun gedenkt. Also: zur Blockade -«
»Wer bist du denn, du Verkäufer von Hundefleisch«, donnerte Tallantire los, »daß du es wagst, von Verträgen und Verhandlungen zu reden? Pack dich in deine Berge - geh! Und warte dort und hungere, bis die Regierung geruht, dein Volk zur Strafe zu rufen; Kinder und Narren, die ihr seid! Zählt eure Toten und schweigt. Haltet Ruhe, bis euch die Regierung einen - Mann schickt.«
»Das wird gut sein«, erwiderte Khoda Dad Khan, »sind doch auch wir Männer.«
Dann blickte er lang und fest Tallantire zwischen die Augen und fügte hinzu: »Bei Gott, Sahib, mögest du dieser Mann sein!«
Serang Pambés Harren und Hoffen
Faßt man alle Einzelheiten des Falles ins Auge, so drängt sich einem die Überzeugung auf: Pambé, der Serang, konnte nur so und nicht anders handeln. Freilich: er wurde dafür so lange am Halse aufgehängt, bis er starb; aber Nurkeed ist tot!
Vor drei Jahren, als der Elsaß-Lothringer Dampfer »Saarbrücken« bei geradezu fürchterlich heißem Wetter Kohlen in Aden einnahm, erbat sich Nurkeed, der große, dicke Sansibar-Heizer, der den ungeheuren Kessel rechts unten, dreißig Fuß unter dem Deck, bediente, Urlaub, um ein wenig an Land zu gehen. Als nüchterner »Sidi-boy« - so heißen die Heizer - verließ er das Schiff, aber zurück kam er als Vollblut-Sultan von Sansibar - als Seine Hoheit Sayyid Burgash, mit einer Flasche in jeder Hand. Dann fläzte er sich auf das Lukengitter des Vorderdecks hin, fraß Salzfisch mit Zwiebel und sang die Lieder eines fernen Landes dazu. Eigentlich