Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
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Hätte der junge Hund nicht eine eiserne Konstitution gehabt, so wäre er bald an Überfütterung und allzu rauher Behandlung eingegangen. Kotuko machte ihm ein kleines Geschirr mit einer Leine daran und trieb und hetzte ihn durch den Hausgang mit den Rufen: »aua! ja aua!« (Gehe rechts!) »Choi-achoi! Ja choi-achoi!« (Gehe links!) »Ohaha!« (Halt!) Der junge Rüde schätzte das sehr wenig, doch war das alles nur Kinderspiel gegen das erste Einspannen vor den richtigen Schlitten. Nichts Böses ahnend, setzte er sich in den Schnee und spielte mit der Trosse aus Seehundshaut, die sein Geschirr mit dem Pitu, dem schweren Leitseil am vorderen Ende des Schlittens, verband. Die Meute zog an, und der schwere, zehn Fuß lange Schlitten ging über ihn hinweg und zerrte ihn hinter sich her, wobei Kotuko lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen. Dann kam Tag für Tag die grausame Peitsche an die Reihe, die zischt und pfeift wie der Nordwind über dem Eis, die anderen Schlittenhunde bissen und schnappten nach ihm, weil er sich auf die Arbeit noch nicht verstand, das harte Geschirr scheuerte ihn wund, auch durfte er nicht mehr mit Kotuko schlafen und mußte sich mit dem kältesten Platz im Hausgang begnügen – wahrlich eine harte Lehrzeit für den jungen Hund.
Der Knabe lernte ebenso schnell wie der Rüde, obwohl es herzbrechend schwer ist, einen Hundeschlitten zu lenken. Jedes Tier, das schwächste dem Lenker zunächst, wird angeschirrt mit einer besonderen Leine, die unter dem linken Vorderlauf durchführend nach der Hauptleine läuft, an der sie mit einer Art Knopf oder Schlinge befestigt ist. Von da kann sie mit einer Drehung des Handgelenks losgestreift werden, wenn der einzelne Hund frei gemacht werden soll. Das ist oft notwendig, weil dem jungen Hunde leicht die Halteleine zwischen die Hinterläufe gerät und dann bis auf den Knochen einschneidet. Alle aber, wie sie da sind, wollen durchaus beim Laufen ihren näheren Freunden einen Besuch abstatten und springen dabei ein und aus zwischen den Leinen. Dann geht ein Gebalge los, und das Ergebnis ist ein Verheddern, schlimmer als nasse Fischleinen am Morgen nach dem Fang. Viel Unheil wird vermieden durch weisen Gebrauch der langen Peitsche, und es ist der Stolz jedes Innuitjungen, Meister in deren Handhabung zu sein. Leicht ist es wohl, ein festes Ziel am Boden zu treffen, aber äußerst schwer ist es, bei voller Fahrt des Schlittens einem der Hunde, der seinen Platz verlassen will, genau zwischen den Schultern eins zu versetzen. Straft man einen Hund wegen Ungehorsams und trifft aus Versehen mit der Peitsche einen anderen, dann fallen die beiden sofort übereinander her, und alle anderen müssen halten. Fährt man zum Beispiel allein und singt sich eins zum Zeitvertreib oder hat einen Freund neben sich und unterhält sich mit ihm, so halten die Hunde plötzlich, drehen sich um und setzen sich, um zu hören, was da gesprochen wird. Mehrmals waren Kotuko die Hunde davongegangen, weil er vergessen hatte, beim Halten den Schlitten anzublocken; manche Peitsche zerbrach er, zerriß eine Anzahl Riemen, bevor man ihm ein volles Gespann von acht Hunden mit dem leichten Schlitten anvertrauen konnte. Dann aber fühlte er sich als ein Mann von Bedeutung. Mit kühlem Herzen und ruhiger Hand glitt er über die dunklen Eisflächen dahin, schnell wie eine Meute in vollem Geläut. Zehn Meilen weit stürmte er dahin bis zu den Seehundslöchern; auf dem Jagdgrund angelangt, warf er die Leine des großen schwarzen Leithundes, des klügsten im Gespann, von dem Pitu los. Sobald der Hund ein Atemloch im Eis witterte, stürzte Kotuko den Schlitten um und trieb ein gekapptes Geweih in den Schnee, um daran das Gespann zu verankern. Dann kroch er Zoll um Zoll an das Luftloch heran und lauerte, bis der Seehund zum Atemholen aufstieg; rasch stieß er den Speer mit der Laufleine daran in die Tiefe und zog wenig später den Seehund zur Eiskante hinauf; dort stand der Leithund bereit und half, den toten Körper über das Eis nach dem Schlitten zu schleppen. Die angeschirrten Hunde begannen nun vor Aufregung zu heulen und zu schäumen; aber Kotuko brachte sie mit einem rotheißen Peitschenhieb quer über die Schnauzen zur Ruhe und wartete, bis der tote Körper des Seehunds steif gefroren war. Schwere Arbeit war die Heimfahrt. Der beladene Schlitten mußte mühsam über das holprige Eis bugsiert werden, die Hunde aber, anstatt zu ziehen, setzten sich alle Augenblicke nieder und blickten hungrig nach dem Seehund hin. Endlich aber kamen sie auf den ausgefahrenen Schlittenpfad, der nach dem Dorfe führte, und zockelten, die Köpfe gesenkt, die Ruten hochgerichtet, über das klingende Eis dahin; Kotuko aber stimmte glücklich das Lied des heimkehrenden Jägers an: »Anguti–vaun tai–na tau–na–ne taina« – und von Haus zu Haus grüßten ihn Stimmen, als er dahinfuhr unter dem dunklen, mit fahlen Sternen besäten Himmel der Arktis.
Als Kotuko, der Hund, seine volle Größe erreichte, packte ihn der Ehrgeiz. Stetig kämpfte er seinen Weg im Gespann aufwärts, focht Kampf um Kampf aus, bis er eines schönen Abends beim Futtern über den großen schwarzen Leithund herfiel und ihn, wie man das nennt, zum zweiten Hund degradierte. So wurde Kotuko, der Hund, zum langen Riemen des Leithundes befördert und lief fünf Fuß vor allen anderen im Gespann; seine Pflicht war von jetzt ab, allen Streit zu schlichten, in wie außer dem Geschirr, und stolz trug er nun das schwere dicke Halsband aus Kupferdraht. Bei besonderen Gelegenheiten bekam er drinnen im Hause gekochtes Futter und durfte zuweilen neben Kotuko auf der Bank schlafen. Er wurde ein guter Robbenjagdhund und stellte den Moschusochsen, indem er ihn umkreiste und ihm nach den Läufen schnappte. Er nahm es selbst – und das ist für einen Schlittenhund der größte Beweis von Tapferkeit – mit dem hageren Polarwolf auf, den die Hunde im Norden in der Regel mehr fürchten als alles, was sonst über den Schnee läuft. Er und sein Herr – die übrigen Hunde des Gespanns sahen sie nicht als ebenbürtige Gesellschaft an – jagten zusammen Tag um Tag, Nacht um Nacht: der in Pelze gehüllte Knabe und das wilde, langhaarige, schmaläugige, weißzahnige, gelbe Tier.
Der Innuit hat Nahrung und Felle für sich und seine Familie zu schaffen, das ist seine Hauptarbeit. Die Frauen nähen aus den Fellen die Kleidung und helfen gelegentlich, kleines Wild in Fallen zu fangen. Aber die Masse der Nahrung – und die Innuits verzehren außerordentlich viel – müssen die Männer beschaffen. Gehen ihnen die Vorräte aus, so haben sie dort oben keinen, bei dem sie kaufen, borgen oder betteln können, dann müssen sie sterben.
Aber daran denkt der Innuit nicht, bis ihn die Gefahr dazu zwingt. Glücklich und sorglos lebten Kadlu, Kotuko, Amoraq und das Knäblein, das in Mutters warmem Pelzrock strampelte und den ganzen Tag an einem Stückchen Fischlunge lutschte. Sie stammten von einem sanftmütigen Geschlecht – selten verliert der Innuit die Geduld und schlägt fast nie ein Kind –, wußten kaum, was lügen hieß, und stehlen war ihnen fremd. Sie waren es zufrieden, ihr tägliches Brot der bitteren, hoffnungslosen Kälte abzuringen; sie lächelten ölig, erzählten sich an den Abenden seltsame Märchen und Geistergeschichten, aßen, bis sie nicht mehr konnten, und sangen den endlosen Frauengesang: »Amna aya, aya amna, ah! ah!« den ganzen lampenerhellten Tag durch beim Flicken ihrer Kleider und Jagdgeräte.
Aber dann kam ein besonders schrecklicher Winter, und alles ließ sie im Stich. Die Tununirmiuten kehrten von dem jährlichen Lachsfang heim und bauten ihre Häuser auf dem frühen Eis nördlich der Insel Beylot, um den Seehunden nachzustellen, sobald das Meer zugefroren war. Doch ein früher und wilder Herbst brach herein. Den ganzen September hindurch heulten ununterbrochen heftige Stürme, rissen das glatte Robbeneis auf, als es erst vier oder fünf Fuß stark war, schoben die treibenden Massen auf das Festland und türmten einen mächtigen Wall auf von klumpigem, zerrissenem und nadelspitzem Eis, über den kein Hundeschlitten hinweg konnte. Die Eiskante, an der im Winter die Seehunde die Fische jagten, lag vielleicht zwanzig Meilen jenseits dieser Eisbarriere – unerreichbar für die Tununirmiuten.
Dennoch wären sie wohl über den Winter hinweggekommen mit dem Vorrat an gefrorenem Lachs, angesammeltem Tran und dem, was die Fallen hergaben. Aber im Dezember stieß einer ihrer Jäger auf ein Tupik (Felljurte), in dem Sterbende lagen – drei Frauen und ein Mädchen. Ihre Männer waren in den Fellbooten durch die auflaufenden Massen des Packeises zermalmt worden, als sie vom hohen Norden herabgekommen waren, um den langgehörnten Narwal zu jagen. Kadlu mußte wohl oder übel die Frauen in die Hütten des Winterdorfes verteilen, denn kein Innuit wagt, einem Fremdling den Herd zu versagen, weiß er doch niemals, wie bald an ihn selbst die Reihe, Hilfe zu erbitten, kommen mag. Amoraq nahm das etwa vierzehnjährige Mädchen in ihrem