Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Fort war sie.
»Wir wollen uns schlafen legen, wo wir hinkommen,« – sagten die zwei nächsten, »aber wir werden schon vorwärts rollen!« – Sie rollten allerdings und fielen zu Boden, bevor sie in die Knallbüchse kamen, aber hinein kamen sie doch. »Wir werden es am weitesten bringen!«
»Es geschehe, was geschehen muß!« – sagte die letzte, indem sie aus der Büchse geschossen wurde; sie flog gegen das alte Brett unter dem Fenster der Dachkammer in eine Ritze, die mit Moos und weicher Erde ausgefüllt war; das Moos schloß sich um sie zusammen, – da lag sie, zwar gefangen, aber nicht übergangen vom lieben Herrgott.
»Es geschehe, was geschehen muß!« – sagte sie.
Drinnen in der kleinen Dachkammer wohnte eine arme Frau, die am Tage ausging, um Oefen auszuputzen, Holz klein zu machen und dergleichen Arbeit zu verrichten, denn sie war stark und auch fleißig; aber sie blieb doch immer arm. Zu Hause in der Kammer lag ihre halberwachsene, einzige Tochter, die sehr fein und zart war; seit einem Jahre war sie bettlägerig und es schien, als könne sie weder leben noch sterben.
»Sie geht zu ihrer kleinen Schwester!« – sagte die Frau. »Ich hatte nur die zwei Kinder und es war kein Leichtes, für Beide zu sorgen; aber der liebe Gott theilte mit mir und nahm das eine zu sich; jetzt möchte ich doch gar gern das andere behalten, das mir noch blieb; aber er will sie wahrscheinlich nicht getrennt wissen, und mein krankes Mädchen wird zu der Schwester dort oben gehen!«
Allein das kranke Mädchen blieb wo es war; es lag geduldig und still den langen Tag über, während die Mutter außer dem Hause dem Verdienste nachging.
Es war Frühling, und in einer frühen Morgenstunde, eben als die Mutter auf Arbeit gehen wollte, schien die Sonne recht mild und freundlich durch das kleine Fenster und warf ihre Strahlen über den Fußboden hin, und das kranke Mädchen richtete den Blick auf die unterste Glasscheibe.
»Was mag doch das Grün sein, das dort an der Scheibe guckt? – Es bewegt sich im Winde!«
Die Mutter trat an's Fenster und öffnete es halb. »Ach!« – sagte sie – »das ist wahrlich eine kleine Erbse, die hier gekeimt hat und ihre grünen Blätter treibt. Wie mag doch die hier in die Ritze gekommen sein? Das ist ein kleiner Garten, an dem Du Dich ergötzen kannst!«
Das Bett der Kranken wurde näher an's Fenster gerückt, damit sie die keimende Erbse sehen könne; die Mutter aber ging auf Arbeit.
»Mutter, ich glaube, ich werde wieder gesund!« sagte am Abend das kranke Mädchen. »Die Sonne hat heute hier gar lieblich warm zu mir herein geschienen. Die kleine Erbse gedeiht vortrefflich, und auch ich werde gewiß gedeihen und aufstehen und in den Sonnenschein hinaus kommen!«
»Wollte Gott!« sagte die Mutter; aber sie glaubte nicht, daß es geschehen würde; doch, das keimende Grün, das dem Kinde die frohen Lebensgedanken eingegeben hatte, stützte sie mit einem Stäbchen, damit es nicht vom Winde geknickt werde; sie band ein Endchen Bindfaden an das Fensterbrett, und an den obern Theil des Rahmens, damit die Erbsenranke Etwas habe, um das sie sich schlingen könne, wenn sie emporschieße; das that sie, man konnte sehen, wie sie mit jedem Tage zunahm.
»Wahrhaftig, die setzt ja eine Blume an!« – sagte die Frau eines Morgens, und nun machte auch die Hoffnung und der Glaube sich bei ihr geltend, daß ihre kranke Tochter genesen werde; sie entsann sich, daß das Kind während der letztverstrichenen Zeit viel lebhafter gesprochen, daß es seit mehreren Tagen sich selbst des Morgens im Bette aufgerichtet und dort gesessen, und strahlenden Auges den kleinen Erbsengarten, aus einer einzigen Erbse hervorgegangen, betrachtet habe. Eine Woche später blieb die Kranke zum ersten Male eine volle Stunde auf. Glücklich saß sie im warmen Sonnenscheine; das Fenster war geöffnet und vor demselben, draußen, stand in voller Blüthe eine weißrothe Erbsenblume. Das kranke Mädchen beugte sich herab und küßte leise die zarten Blätter. Es war dieser Tag gleichsam ein Festtag.
»Der liebe Gott selbst hat sie gepflanzt und gedeihen lassen, Dir, mein gesegnetes Kind und auch mir zur Hoffnung und Freude!« sagte die frohe Mutter, und lächelte die Blume an, als sei sie ein guter Engel Gottes.
Aber nun die anderen Erbsen! – Ja, die, welche hinaus in die weite Welt flog und: »hasche mich, wenn Du es kannst!« gesagt hatte, fiel in die Dachrinne und gerieth in einen Taubenmagen, und dort lag sie wie Jonas im Wallfischbauche. Die zwei Faulen brachten es eben so weit, auch sie wurden von Tauben verschluckt, und das heißt wenigstens auf solide Weise nützen; allein die vierte, die hinauf in die Sonne wollte, – die fiel in den Rinnstein, und blieb dort in dem unreinen Wasser Tage und Wochen lang liegen, und schwoll recht auf.
»Ich werde so schön dick!« sagte die Erbse. »Ich zerplatze dabei und weiter, glaube ich, hat es keine Erbse gebracht oder wird es je bringen. Ich bin die merkwürdigste von den Fünfen aus der Hülse!«
Und der Rinnstein stimmte ihr bei.
Aber das junge Mädchen am Dachfenster stand dort mit strahlenden Augen, den rosigen Schimmer der Gesundheit auf den Wangen, und faltete seine zarten Hände über der Erbsenblume und dankte Gott für sie.
»Ich,« sagte aber der Rinnstein, »halte auf meine Erbse!«
Ole Luk-Oie.
Es giebt Niemanden in der Welt, der so viele Geschichten weiß, als Ole Luk-Oie. – Der kann gehörig erzählen!
So gegen Abend hin, wenn die Kinder noch nett am Tische oder auf ihrem Schemel sitzen, kommt Ole Luk-Oie. Er kommt leise die Treppe herauf, denn er geht auf Socken; er macht leise die Thüren auf und husch! da spritzt er den Kindern süße Milch in die Augen hinein, und das so sein, so sein, aber doch immer genug, daß sie die Augen nicht aufhalten und ihn deshalb auch nicht sehen können. Er schleicht sich hinter sie, bläst ihnen sanft in den Nacken, und davon wird ihnen schwer in dem Kopfe. O ja! aber es thut nicht weh, denn Ole Luk-Oie meint es gut mit den Kindern; er will nur, daß sie ruhig sein sollen, und das sind sie am ersten, wenn man sie zu Bette gebracht hat; sie sollen still sein, damit er ihnen Geschichten erzählen kann. –
Wenn die Kinder dann schlafen, setzt sich Ole Luk-Oie auf ihr Bett. Er ist gut gekleidet; sein Rock ist von Seide, aber es ist unmöglich, zu sagen, von welcher Farbe, denn er glänzt grün, roth und blau, je nachdem er sich wendet. Unter jedem Arme hält er einen Regenschirm; den einen, mit Bildern darauf, spannt er über die guten Kinder aus, und dann träumen sie die ganze Nacht die herrlichsten Geschichten; aber den andern Schirm, auf welchem durchaus nichts ist, stellt er über die unartigen Kinder, dann schlafen sie wie dumm und haben am Morgen, wenn sie erwachen, nicht das Geringste geträumt.
Nun werden wir hören, wie Ole Luk-Oie an jedem Abende in einer Woche zu einem kleinen Knaben kam, welcher Hjalmar hieß, und was er ihm erzählte. Es sind sieben Geschichten; denn es sind sieben Tage in der Woche.
Montag.
»Höre mal!« sagte Ole Luk-Oie am Abend, als er Hjalmar zu Bette gebracht hatte; »nun werde ich aufputzen!« Und da wurden