Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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»Ich will in den Krieg! Ich will in den Krieg!« rief der Zinnsoldat so laut, wie er nur konnte, und stürzte sich auf den Fußboden hinab.
Ja, aber wo blieb er? Der alte Mann suchte, der kleine Knabe suchte: fort war er und fort blieb er. »Ich werde ihn schon finden,« sagte der alte Mann; aber er fand ihn nie; der Fußboden war zu offen und durchlöchert. Der Zinnsoldat war durch eine Spalte gefallen, da lag er nun, wie in einem offenen Grabe.
Der Tag verging, und der kleine Knabe kam nach Hause; und es vergingen mehrere Wochen. Die Fenster waren ganz zugefroren, und der kleine Knabe mußte auf die Scheiben hauchen, um ein Guckloch nach dem alten Hause zu machen, da war Schnee in alle Schnörkel und Inschriften geweht und bedeckte die ganze Treppe, als wenn Niemand im Hause sei. Und es war auch Niemand im Hause; der alte Mann war gestorben!
Am Abend hielt ein Wagen vor der Thüre und auf denselben setzte man ihn in seinem Sarge: er sollte draußen auf dem Lande in seiner Familiengruft ruhen. Da wurde er nun hingefahren; aber Niemand gab ihm das Geleit; alle seine Freunde waren todt. Der kleine Knabe warf dem Sarge, als dieser vorübergefahren wurde, Kußhändchen nach.
Einige Tage nachher wurde Auction in dem alten Hause gehalten, und der kleine Knabe sah aus seinem Fenster, wie man die alten Ritter und die alten Damen, die Blumentöpfe mit den langen Ohren, die Stühle und die alten Schränke wegtrug. Eins kam hier hin, ein Anderes dorthin; ihr Portrait, das vom Trödler gekauft war, kam wieder zum Trödler, und da blieb es hängen; denn Niemand bekümmerte sich um das alte Bild.
Im Frühjahre riß man das Haus selbst ein, es sei ein Gerumpel, sagten die Leute. Man konnte von der Straße gerade in die Stube zu dem schweinsledernen Ueberzuge sehen, der zerfetzt und abgerissen wurde, und das Grün des Altans hing verwildert um die Einsturz drohenden Balken herum, – Und nun wurde hier aufgeräumt.
»Das half!« sagten die Nachbarhäuser.
Es wurde ein herrliches Haus aufgebaut mit großen Fenstern und weißen, glatten Mauern; aber vor dem Platze, wo das alte Haus gestanden hatte, wurde ein kleiner Garten angelegt, und an der Mauer des Nachbars wuchsen wilde Weinranken empor; vor den Garten kam ein großes eisernes Gitter mit eiserner Thüre; das sah stattlich aus. Die Leute blieben davor stehen und guckten hindurch. Und die Sperlinge setzten sich zu Dutzenden auf die Weinranken und schwatzten durcheinander, so laut sie konnten; aber nicht von dem alten Hause, denn dessen konnten sie sich nicht erinnern; es waren ja viele Jahre vergangen – so viele, daß der kleine Knabe zu einem Manne, ja zu einem tüchtigen Manne herangewachsen war, an dem seine Eltern Freude hatten. Er hatte eben geheirathet und war mit seiner Frau in das Haus gezogen, vor dem sich der Garten befand; und hier stand er neben ihr, während sie eine Feldblume einsetzte, die sie sehr hübsch fand; sie pflanzte sie mit ihrer kleinen Hand und drückte die Erde mit ihren Fingern fest an. – »Au! Was war das?« – Sie stach sich. Aus der weichen Erde ragte etwas Spitzes hervor. Das war – ja, denkt einmal! – das war der Zinnsoldat, derselbe, der oben bei dem alten Manne verloren gegangen war, der zwischen Zimmerholz und Schutt sich lange umhergetrieben und nun schon viele Jahre in der Erde gelegen hatte.
Die junge Frau trocknete den Soldaten erst mit einem grünen Blatte ab, und dann mit ihrem seinen Taschentuche – das duftete wunderschön! Und es war dem Zinnsoldaten gerade so zu Muthe, als ob er aus einer Ohnmacht erwache.
»Laß mich ihn sehen!« sagte der junge Mann, lächelte und schüttelte dann mit dem Kopfe: »Ja, der kann es nun freilich wohl nicht sein; aber er erinnert mich an eine Geschichte mit einem Zinnsoldaten, den ich hatte, als ich ein kleiner Knabe war.« Und dann erzählte er seiner Frau von dem alten Hause und dem alten Manne, und von dem Zinnsoldaten, den er ihm hinüber geschickt hatte, weil er allein war, so daß der jungen Frau die Thränen in die Augen traten über das alte Haus und den alten Mann.
»Es ist doch möglich, daß dies derselbe Zinnsoldat ist!« sagte sie; »ich will ihn aufbewahren und will Dessen gedenken, was Du mir erzählt hast; aber das Grab des alten Mannes mußt Du mir zeigen.«
»Ja, ich weiß nicht, wo das ist« antwortete er, »und das weiß Niemand. Alle seine Freunde waren todt; Keiner pflegte dasselbe, und ich war ja ein kleiner Knabe!«
»Ach, wie der wohl allein gewesen sein mag!« sagte sie.
»Ja, allein!« sagte der Zinnsoldat; »aber herrlich ist es, nicht vergessen zu werden!«
»Herrlich!« rief eine Stimme ganz nahe bei; aber Niemand, außer dem Zinnsoldaten, sah, daß diese von einem Fetzen der schweinsledernen Tapete herkam, der nun ohne alle Vergoldung war. Er sah aus, wie nasse Erde; aber eine Ansicht hatte er doch, und die sprach er aus:
»Vergoldung vergeht,
Aber Schweinsleder besteht!«
Allein der Zinnsoldat glaubte das nicht.
Das Judenmädchen.
In der Armenschule saß unter den andern Kindern auch ein kleines Judenmädchen. Es war ein gutes, aufgewecktes Kind, das flinkste in der ganzen Schule; aber es mußte doch von einer der Lehrstunden ausgeschlossen bleiben – am Religionsunterrichte nämlich durfte es nicht Theil nehmen; war doch die Schule eine christliche.
Das Lehrbuch der Geographie durfte das Mädchen während dessen aufschlagen, oder auch das Rechenexempel für den nächsten Tag ausarbeiten, aber das war bald gethan, und hatte sie die Aufgabe aus der Erdbeschreibung erledigt, so blieb das Buch zwar aufgeschlagen vor ihr liegen, aber sie las nicht weiter darin; sie lauschte still den Worten des christlichen Lehrers, und dieser wurde bald inne, daß sie aufmerkte wie fast keins der andern Kinder.
»Lies Du in Deinem Buche, Sara,« sagte der Lehrer mit mildem Ernste; allein ihr schwarzes, strahlendes Auge blieb an ihm hangen, und als er einmal eine Frage an sie richtete, siehe, da wußte sie besser Bescheid als alle die andern Kinder. Sie hatte gehört, begriffen und tief in ihr Herz geschlossen, was er gesprochen.
Ihr Vater, ein armer, braver Mann, hatte, als er die Tochter in die Schule brachte, die Bedingung gestellt, daß sie vom Unterrichte im christlichen Glauben ausgeschlossen bliebe. Aber es hätte vielleicht Störung verursacht, oder gar Aergerniß des Gemüths bei den Andern erwecken können, wenn man sie während jener Unterrichtsstunde entfernt hätte, sie blieb demnach; doch so durfte es nun ferner nicht mehr sein.
Der Lehrer begab sich zu dem Vater und stellte diesem vor, er möchte entweder seine Tochter aus der Schule nehmen, oder gewärtigen, daß Sara eine Christin werde. »Ich kann nicht länger ein müßiger Zuschauer dieser leuchtenden Blicke des Kindes, dieser Innigkeit und Sehnsucht der Seele nach dem Worte des Evangeliums bleiben,« sagte der Lehrer.
Da brach der Vater in Thränen aus: »Ich weiß nur wenig von meiner Väter Gebote,« rief er, »aber die Mutter Sara's war fest im Glauben, eine Tochter Israels, und ihr gelobte ich auf dem Sterbebette, daß unser Kind nimmer getauft werden solle. Ich muß mein Gelübde halten, es ist mir gleich einem Bunde mit Gott!«
Und das kleine Judenmädchen verließ die Schule der Christen.
– – Es sind Jahre verstrichen.
In einer der kleinsten Provinzialstädte diente in einem geringen Hause ein armes Mädchen mosaischen Glaubens; ihr Haar war schwarz wie Ebenholz, ihr Auge dunkel wie die Nacht, und doch voll Glanz und Licht, wie es den Töchtern des Orients eigen ist. Es war Sara. Der Ausdruck im Antlitze des nun erwachsenen Mädchens war noch, immer der des Kindes, als es auf der Schulbank saß und sinnenden Blickes den Worten des christlichen Lehrers lauschte.
Allsonntäglich ertönte aus der Kirche die Orgel und der Gesang der