Nachtmahre. Christian Friedrich Schultze

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Nachtmahre - Christian Friedrich Schultze Trilogie

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du es brauchst. Hast du wirklich niemanden, machst du am Ende die dämlichsten Geschichten deswegen. Allmählich verliert sich dabei das Gefühl von etwas großem, und das ist nicht ersprießlich. Es sieht meist nicht gut aus hinterher.

      „Wer ist also Lothar?“

      Trotz ihrer Hartnäckigkeit oder gerade wegen ihres Interesses hatte ich bei ihr seltsamerweise nicht den Wunsch, sie so schnell wie möglich loszuwerden. Warum sollte ich es ihr nicht sagen, nun, da meine anfängliche Sorge zerstreut war?

      „Sehen wir uns heute Abend wieder?“, hörte ich mich stattdessen plötzlich fragen.

      Überrascht sah sie auf. Das war gegen die Regel! Auch hierbei Konventionen dachte ich. Sie drückte die Zigarette aus und stand auf.

      „Du hast wohl viel Geld übrig?“

      „Hat das was damit zu tun?“

      Sie drehte sich zu mir herum, stand nackt in voller Lebensgröße vor mir und gab mir Gelegenheit, die Schönheit ihres Frauenleibes zu bewundern. Vergangene Nacht hatte ich sie nicht mehr wahrgenommen. Vielleicht war sie schon etwas zu reif, aber sie glaubte sicher nicht zu Unrecht, sich ihrer Wirkung bedienen zu können.

      „Hörmal, warum fängst du jetzt an zu spinnen? Was glaubst du denn? dass ich`s umsonst mache? Selbst wenn mir so wäre, würde ich es aus Prinzip nicht tun. Ich hab Familie und eine Wohnung, die noch zu bezahlen ist. Weißt du, wie teuer so etwas heutzutage ist?“

      Zornig war sie beinahe schön. Warum war sie nicht die Frau eines Mannes? Was war das für eine seltsame Vertrautheit zwischen uns? Wie oft fand für sie ein solches Gespräch statt? Dumm war sie jedenfalls nicht. Es wurde Zeit.

      „Natürlich“, sagte ich und meinte damit den Preis der Wohnung. „Machen wir uns also fertig.“

      Sie verschwand im Bad. Ich hörte den Spüler. Dann die Dusche. Ihre Zahnbürste hatte sie offenbar mit.

      Zwanzig Minuten später stand sie fertig im Zimmer.

      Restauriert, in Jeans, T-Shirt und Samtjäckchen sah sie überaus animierend aus, wenn auch ein bisschen billig. Ich brauchte nicht zu bereuen, dass ich auf sie geflogen war.

      „Bist du nicht müde?“, versuchte ich einzulenken.

      „Ich gehe. Wir können uns heute Abend oben wieder treffen, wenn du willst. Bei einem Drink wird dir schon einfallen, ob du noch Geld hast.“ Sie nahm die zwei Blauen und war schon halb hinaus.

      „Lothar ist mein Sohn!“, rief ich ihr nach. Wieso eigentlich?

      „Ist schon okay“, rief sie zurück und drückte die Tür ins Schloss.

      Es war Sonntag, der 8. August 1982. Die Uhr zeigte fast neun.

      3.

      Ich fühlte mich nun etwas besser.

      M. S. war fühlte leicht beizubringen gewesen, dass ich gern zwei Tage eher nach Budapest wollte, als ich mit den Ungarn zusammentreffen musste. So hatte ich noch das Wochenende für mich. Der Kontakt mit unseren Budapester Projektanten bestand schon mehrere Jahre und wurde von mir besonders gepflegt. Da nahm es mir eine kleine Freundin ohne weiteres ab. Für so etwas hatte er Verständnis. Ab und zu servierte ich ihm eine nette Geschichte, worüber er sich freute.

      Flug und Unterkunft waren deshalb billig für mich, da sie der Betrieb bezahlte.

      Natürlich war ich auf dem Flughafen in Schönefeld nervös gewesen, weil ich Sorge hatte, dass der Zoll meine unerlaubten Devisen entdecken könnte.

      Es wäre das erste Mal gewesen, dass sie sich die dicken Bündel Projektierungsunterlagen näher angesehen hätten, zu deren Mitnahme ich entsprechend meinen Reiseunterlagen berechtigt war. Ein besseres Versteck war mir leider nicht eingefallen. Es ging immerhin um fünftausend D-Mark.

      Die DDR-deutschen Zöllner waren korrekt und freundlich gewesen, ebenso die Ungarn bei der Einreise. Im Grunde fand ich die Kontrolle ziemlich lax. Wieso war man sich so sicher, dass es bei uns keine Terrorüberfälle auf Flugzeuge gab?

      Ich trug mein gesamtes Barvermögen bei mir. Den größten Teil hatte ich verbraucht, um bei Bekannten nach und nach unsere Binnenwährung in die frei konvertierbare umzusetzen. Dabei machte ich die Erfahrung, dass Westgeld immer teurer wurde. Ökonomisch hatte ich also alle Brücken abgebrochen. Alle wertvolleren Dinge waren verkauft. Nur die Möbel standen noch in der Wohnung an der Warschauer Straße. Sie waren nicht allzuviel wert. Einiges Porzellan hatte ich in einem großen Karton auf den Dachboden von Mutters Häuschen gebracht.

      Ich würde ihr schreiben, wie er zu finden war.

      Die erste Hürde war genommen, denn ich lag hier in einem Hotelzimmer in Budapest nach einer mehr oder weniger sinnvoll verbrachten Nacht. Musste ich sie bereuen?

      Schließlich war ich in den letzten Wochen wegen der notwendigen Reisevorbereitungen und auch durch verschiedene Aufregungen im Betrieb im Zusammenhang mit der kritischen Phase, in der wir uns gerade befanden, zur Abstinenz verurteilt gewesen.

      Mit Komplikationen wegen dieser Susza brauchte ich wohl nicht zu rechnen.

      Ein Uhr mittags sollte es soweit sein. In vier Stunden würde ich wissen, ob Robert es wirklich geschafft hatte. Wir wollten uns im Hotel Astoria an der Rakoczi ut treffen. Vorausgesetzt, dass er den österreichischen Pass für mich hatte und damit heil nach Ungarn hereingekommen war.

      Es ist noch immer illegaler Menschenhandel. Obwohl die Deutsche Demokratische Republik lange Mitglied der Vereinten Nationen ist und damit den Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 als originäres Recht für ihre Bürger anerkennen müsste.

      Auch die Helsinki-Akte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 1. August 1975 war von uns unterschrieben worden. Wir legen aber Wert darauf, dass dieses Dokument von den Seiten „in seinem Zusammenhang angewendet wird“. Das bedeutet für das Individuum, dass es sich eben nicht nach Gutdünken auf einzelne Abschnitte daraus berufen kann, wie zum Beispiel auf Punkt 1 von Korb vier. Wahrscheinlich waren aus diesem Grunde bei der letzten Überarbeitung unserer Verfassung alle Formulierungen zu diesen Grundrechten vorsichtshalber weggelassen worden.

      So einfach war die Materie des Sozialistischen Rechts, obwohl es für die Arbeiterklasse gemacht ist, denn doch nicht. Das konnten nur Naivlinge annehmen.

      Also musste man sich selbst helfen. Unseren Treff hatten wir sicherheitshalber für die folgenden drei Tage festgelegt. Es stand viel auf dem Spiel für beide. Über meine innere Spannung brauchte ich mich gar nicht zu wundern. Aber mich belasteten die Alpträume der letzten Zeit. Ich war ziemlich mit den Nerven herunter, das stand fest. Doch in meinem Falle konnte kein Psychiater helfen.

      Wann waren wir eigentlich in Wielyczka gewesen, Barbara, Lothar und ich? Im Sommer vor dem Jahr, in welchem wir uns trennten, also 1978, vor vier Jahren?

      Diese Inkarnation menschlicher Arbeit hatte mich damals stark beeindruckt. Welch ein Denkmal unermüdlichen Fleißes und unbeugsamen ARBEITSWILLENS! Ein Traum in Salz, beinahe ein Alptraum!

      Meine Unruhe hatte noch einen anderen Grund. Je näher der Tag heranrückte, desto unsicherer war ich mir, ob ich das Richtige tat.

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