Nachtmahre. Christian Friedrich Schultze
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Ich stand auf und trank langsam das letzte Glas Sekt aus, welches meine Nachtgefährtin übriggelassen hatte. Es schmeckte lau und fad.
4.
Ich will es am besten gleich vorweg nehmen, damit kein falscher Eindruck aufkommt bei allem, was ich noch zu berichten habe: Das wird keine Beichte, Anklage oder Rechtfertigung. Wir haben heute niemanden mehr, dem wir die Schuld in die Schuhe schieben können, denn wir tun alles auf der Grundlage der einzigen wissenschaftlichen Weltanschauung. Geheimnisvolle Zwänge, unbestimmte Gefühle, zufällige Stimmungen waren nie Grundlage unserer Entscheidungen, oder?
Ich bin schließlich genauso unschuldig wie alle anderen!
Allerdings ist es auch möglich, dass ich ebenso mitschuldig bin wie alle anderen und wie die, die ich noch beschreiben werde. Vielleicht allein deshalb, weil wir nicht manchmal, wenn wir das untrügliche Gefühl hatten, dass es jetzt eigentlich an der Zeit wäre, einfach aufgestanden sind und wenigstens laut SCHEIßE geschrien haben, nur weil wir Angst hatten, ein klein wenig von unseren wohlerworbenen Pfründen zu verlieren.
Kommt mir ja nicht wieder mit den Ausreden, die unsere Väter bereits gebraucht haben: Das hätten sie nicht gewusst und auch nicht ahnen können!
Es gab genügend Propheten im eigenen Lande, die die Zeichen der Zeit sahen und zu deuten wussten! Aber die Woge des Volkswillens hat die Verführer meist gut getragen, wo sie sie hätte verschlingen sollen.
Auch Anita, Barbara und Helga trifft keinerlei Schuld. Was hätten sie gegen mich ausrichten sollen?
Nein, es geht darum, dass ich mich selbst erkenne. So sehr ich mich in der letzten Zeit darum bemühe, so unmöglich scheint es aber auch zu sein.
2. Kapitel
1.
Das Wetter verlief anders, als es der Wetterbericht vorausgesagt hatte.
Dieser späte März war mehr ein April. Den ganzen Tag hatten sich Schnee- und Regenschauer mit gleissendem, die Landschaft in unwirkliche Klarheit tauchendes Sonnenlicht abgewechselt. Und jetzt versank eine blutrote Sonne hinter den Hügeln, auf denen die Stadt lag.
Für Oberleutnant Wauer wirkte sie an diesem Abend beinahe wie ein Symbol. Er dachte zurück an seine Gymnasialzeit, an die säuerlichen Redewendungen seines Studienrates Beierlein aus Plauen, von denen sich viele lange Zeit als geflügelte Worte unter den Kommilitonen gehalten hatten.
„Im Osten geht die Sonne auf, meine Herren, aber im Westen ist ihr Untergang vorbereitet. Das können sie sich merken.“ Das war während der Inflation gewesen. Beierlein war Hobbysinologe und Sozialdemokrat, unter anderem. Niemand liebte ihn recht, weder Schüler noch Lehrerkollegen. Seine Wertskala lag so völlig verschieden zu der der anderen. Man empfand sein Wesen und seine Anschauungen als zu selbstzerstörerisch.
Aber, so musste sich Wauer in der jüngsten Vergangenheit immer wieder sagen, auf eine eigene schmerzvolle Weise schien Beierlein jetzt recht zu behalten. Seit zwei Jahren deutete sich der Untergang der nationalsozialistischen Sonne als große Wahrscheinlichkeit an.
So hatte es der Studienrat allerdings wohl gar nicht gemeint. Ihm ging es mehr um die Chinesen und die „Gelbe Gefahr“, und so sah er den Untergang der Abendländischen Kultur. Aber wurde der Anfang nicht jetzt gemacht, wenn auch zunächst von den Russen?
Der Oberleutnant war auf dem Weg zu seinem Abteilungschef. Der Major wartete sicher schon, dessen war er gewiss.
Am Nachmittag hatte Wauer befehlsmäßig Verbindung mit den Artilleriebeobachtern der ersten Verteidigungslinie aufgenommen. Die Schusssektoren mussten – zum wievielten Mal eigentlich? – neu aufgeteilt werden, und außerdem waren Einzelheiten über die Informationsmittel bei notwendigen Panzermanövern der 2. Abteilung des 56. Panzerkorps im Raum Neu Tucheband-Hackenow abzusprechen gewesen. Die Artilleristen waren erfahrene, praktische Leute. Es hatte keine größeren Schwierigkeiten gegeben.
Nun wollte der Alte wissen, wie es stand. Er saß in den Bunkern der zweiten Linie, unweit der fünfzehn eingegrabenen Panzer seiner Abteilung.
Wauer ahnte, was ihn erwartete. In diesen Tagen einen Urlaubsantrag zu stellen, grenzte beinahe an Hochverrat.
Hochverrat war es auch, nicht an den Endsieg zu glauben. Das zeigten die zahlreichen Gehenkten entlang der Straße bei seiner Rückfahrt nach Seelow. Es musste schon sehr schlimm stehen, wenn so etwas unter den paar restlichen Zivilisten nötig schien, die hier in der Gegend geblieben waren. Er nahm sich vor, mit seinem Major darüber zu reden.
Der Kübelwagen ratterte in Weinberg ein und verschwand sofort im Unterstand. Mittlerweile war die Sonne hinter den Hügeln versunken. Die Wolken nahmen eine rosaviolette Färbung an und umränderten sich mit einem gleissenden hellen Schein. Wauer brachte die zweihundert Meter bis zum Bunker schnell hinter sich. Es war 16.30 Uhr, als er eintrat.
Er musste sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, nachdem die schwere, niedrige Tür ins Schloss gefallen war.
„Oberleutnant Wauer von Gefechtsfeldabstimmung mit Artillerieabteilung vier...“
„Den Rest kannst du dir sparen“, unterbrach ihn der Major. Er war im Dunst des Tabakrauches und im Halbdunkel des von einer kleinen Petroleumlampe nur spärlich erleuchteten Raumes kaum zu erkennen.
„Setz´ dich erst mal hin und erzähl´ in Ruhe, was da vorne los ist“, fuhr er fort.
Dieser Empfang war unerwartet freundlich. Wauer nahm Platz und sah jetzt auch die Flasche mit rotem Burgunder stehen. Er begann sich zu wundern. Was war mit dem Alten los? Was hatte er vom Stab in Wriezen mitgebracht?
„Was soll`s schon geben?“, erwiderte er einigermaßen missmutig. „Die Infanterie hat sich eingegraben, als wollten sie rundherum Krieg führen. Ein MG-Nest am anderen. Alles wunderbar pioniermäßig vermint und verdrahtet. Da findet kaum noch jemand durch. Mittendrin sitzen die B-Stellen der Artillerie, die werden uns über C 3 mitversorgen. Besser kann es also gar nicht sein.“
„Na gut, trinken wir erst mal was“, brummte Mosig und schenkte zwei Gläser voll. Er sah im Moment nicht besonders gepflegt aus, war unrasiert, hohlwangig, mit Ringen unter den Augen. Seine Uniform stand offen, und er rauchte eine schwere Zigarre.
„Wie lange geht heute dein Dienst?“
„Bis 18.00 Uhr.“
„Na, dann ist er ja gleich vorbei. Da können wir uns also einen genehmigen, oder was dagegen?“
Wauer hatte auf dem Tisch ein Bündel Papiere entdeckt, ohne jedoch erkennen zu können, ob diese etwas mit seinem Antrag zu tun hatten. Natürlich war er nicht dagegen, einen mit dem Alten zu heben. Er war froh, dass er so freundlich behandelt wurde.
Den erwarteten Anschiss hätte er mit Sicherheit im Stehen in Empfang nehmen müssen. Offenbar wollte der Major irgend etwas von ihm.
„Mach dir`s bequem, Wauer; nimm `ne Zigarre.
Du bist also der Meinung, dass es gar nicht besser sein könnte. Das ist sehr interessant.“ Dabei dehnte