Hörig. Alina Schumann

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Hörig - Alina Schumann

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Vater empfand sie jetzt als grauenvollen Spießer. Seine Lebensphilosophie von ‚law and order’ verachtete sie. In ihrer Mutter sah Christiane nur noch die schwache, ewig nachgebende und sich unterordnende Frau.

      Wie die Mutter wollte sie nicht werden

      Überhaupt fand sie die Vorstellungen, die ihre Eltern von ihrer Zukunft hatten, als schrecklich.

      „Meinen Eltern ging es nur darum, dass ich einen Mann aus einer guten Familie abbekäme. Damit ich ein anständiges Leben, in einem anständigen Haus, mit anständigen Kindern führen könnte. Das kotzte mich an!“

      Nach dem Abitur machte Christiane die Aufnahmeprüfung zur Kunstakademie. Für ihre Eltern war diese Entscheidung gleich bedeutend mit einer Kriegserklärung.

      Neben dem Studium jobbte Christiane in einer Diskothek. Sie wollte Geld sparen um so schnell wie möglich von zu Hause ausziehen zu können.

      „Mein Vater hat nur verächtlich von meinem Studium gesprochen. Meinen Job bezeichnete er als Animierjob. Er tat so, als wäre ich eine Nutte auf St. Pauli!“

      In der Diskothek lernt sie Kevin kennen. Einen Mann Mitte Vierzig, dem das Geld sehr locker sitzt. Meistens kommt er in Begleitung, immer spät in der Nacht. Die Mädchen sind schrill und tief dekolletiert, die Männer Halbseide.

      „So mit goldenen Kettchen und der diamantbesetzten Rolex!“

      Christiane, das Mädchen aus dem gehobenen Bürgertum, hat noch nie solche Leute getroffen. Sie sind laut, ordinär und ohne den geringsten Anflug von guten Manieren. Das fasziniert sie.

      Als Kevin sie zu einem Glas Champagner einlädt, lehnt sie nicht ab. Sie ist neugierig. Aber Kevin hat nicht vor mit ihr Konversation zu machen. Er reicht ihr das Glas und vergisst sie im gleichen Augenblick.

      „Ich war beleidigt. Er behandelte mich wie eines seiner Flittchen.“

      Trotzdem geht ihr dieser Mann nicht aus dem Kopf. Er ist schon äußerlich ein Typ, wie sie ihn noch nie getroffen hat. Groß, dunkel, mit streichholzkurzem Haar, einem breiten Kreuz und einer schmalen Taille. Seine hellen Augen haben stets einen wachen, lauernden Ausdruck. Wolfsaugen, denkt sie. Am wenigsten passen seine Hände zu ihm. Es sind lange schmale Pianistenhände.

      Christiane denkt sehr oft an ihn. Einmal versucht sie, ihn aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Nur die Hände gelingen ihr. Sie überlegt, ob sie ihm die Skizzen zeigen soll.

      „Nein“, entscheidet sie dann. “Das wäre zu aufdringlich.“

      Eines Abends fragt Kevin sie nach ihrem Vornamen. Als sie ihn sagt, lacht er.

      „Das passt zu dir“, sagt er. „So anständig und bieder!“

      Cristiane ist tief gekränkt. Sie beschließt ihn nicht mehr zu beachten. Trotzdem nimmt sie ein paar Wochen später seine Einladung zu einer Party an.

      Es ist ein wildes Fest. Der Koks steht in großen silbernen Schalen offen herum. Der Champagner scheint aus Fässern zu fließen. Als eines der Mädchen zu strippen beginnt, will Christiane gehen.

      „Hab dich nicht so, du Betschwester!“ fährt Kevin sie an. Und sie bleibt. Für Christiane ist jener Abend der Beginn einer jahrelangen Abhängigkeit und Unterdrückung.

      In dieser Nacht schläft sie mit Kevin. Er muss sich seiner Sache sicher gewesen sein, denn er hatte im Hotel eine Suite bestellt.

      Für Christiane ist es, als habe sie durch ihn den Sex neu entdeckt. So aufregend, so zärtlich, so einfallsreich und ohne Tabus hat sie die Liebe noch nie erlebt. Als sie im Morgengrauen nach Hause geht „Wusste ich, dass ein neuer Abschnitt meines Lebens begonnen hat“.

      Am Abend fiebert sie Kevins Erscheinen entgegen. Er kommt nicht. Sie ist enttäuscht. Als er sich am Tag darauf nicht zeigt, fragt sie seine Freunde nach ihm.

      „Der ist verreist“, hieß es da lapidar. „Wann und ob er überhaupt wiederkommt – keine Ahnung!“

      Christiane fühlt sich elend. Hat diese Nacht für Kevin gar nichts bedeutet? Ist sie ihm so gleichgültig, dass er ohne ein Wort verschwindet? Er verhält sich völlig anders als ihre bisherigen Lover. Aber das ist es auch, was Christiane so sehr anzieht.

      Nach einer Woche ist er wieder da. Sie hat Herzklopfen. Freut sich. Er beachtet sie kaum.

      „Hallo Kleine“, sagt er nur und lacht ihr flüchtig zu. Stunden später fragt er:

      „Hast du morgen Zeit? Ich mach bei mir zu Hause ein Fest!“

      Die Party bei Kevin unterscheidet sich nicht von der ersten. Wieder gibt es Berge von Koks, wird der Champagner in Strömen ausgeschenkt. Christiane fühlt sich wie der Kuckuck im falschen Nest.

      Knastbrüder und Ganoven

      Diese Leute haben eine seltsame Anziehung für sie. Kevins Bemerkung, dass hier hundert Jahre Knast versammelt wären, macht sie noch neugieriger. Sie schaut sich in Kevins Wohnung um.

      ‚Eine merkwürdige Behausung’, denkt sie. Kein persönlicher Gegenstand liegt herum. Die Möbel sind teuer und sehen aus, als habe sie ein Innenarchitekt arrangiert. Nirgends kann sie Bücher entdecken.

      Sie probiert zum ersten Mal Koks. Der Sex mit Kevin ist dadurch noch aufregender. Als sie am nächsten Vormittag nach Hause kommt, weiß sie, dass es Ärger geben wird. Ohnehin ist sie längst entschlossen auszuziehen. Zwei Wochen später findet sie ein kleines Appartement in der Nähe der Akademie.

      Mit Kevin trifft sie sich inzwischen regelmäßig. Sie ist noch immer fasziniert von ihm. Von diesem Mann, von dem sie nichts weiß. Er handle mit Immobilien, sagt er. Große Projekte, international. Christiane spürt, dass dies nicht die Wahrheit ist. Dass er ausweicht. Dass er nicht über seine Geschäfte sprechen will.

      „Es war mir auch egal“, sagt sie. “Ich wollte mit ihm zusammen sein, Um jeden Preis!“

      Kevin ist ein Typ, der keine Widersprüche duldet. Als er Christiane befiehlt ihren Job aufzugeben, tut sie es. Sie zieht zu ihm, in diese unpersönliche Luxusabsteige. Um ihre Eltern nicht zu beunruhigen behält sie ihr kleines Appartement bei.

      Kevin kleidet Christiane neu ein. Es kann nicht teuer genug sein. Während er auffällig wie ein Papagei herumstolziert, legt er bei ihr Wert auf Eleganz. Er stilisiert sie so sehr zur ‚höheren Tochter’, dass beide durch ihr gegensätzliches Äußeres Aufsehen erregen. Ihm scheint das einen zusätzlichen Kick zu geben.

      „Klasse“, sagt er voller Besitzerstolz. “ Ist eben angeboren. Die kann man nicht mit Kohle kaufen!“

      Stundenlang kann er sich Christianes Familienstorys anhören.

      „Am liebsten waren ihm Geschichten über meine Oma. Die hatte ein großes Saatgut und einen Adelstitel. Das hat ihn unwahrscheinlich angemacht.“

      Von seiner eigenen Familie spricht Kevin selten.

      „Da gibt’s nichts zu erzählen“, wehrt er ab.“ Ich komme aus der Gosse. Meine Mutter war eine arme Sau. Mein Vater ein widerlicher Alkoholiker. Geschwister hab ich keine.“

      Christianes Leben hat sich total verändert. Zur Akademie geht

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