Sehnsucht. Heidi Oehlmann
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Dann schließe ich das Fenster und gehe zurück ins Bad. Ich blicke in den Spiegel und überlege, ob ich mir zuerst das Make-up erneuern oder mich um das Stroh auf dem Kopf kümmern soll. Meine Entscheidung fällt auf das Gesicht. Das habe ich heute schon ein Mal hinbekommen. Hätte ich mir das Heulen verkniffen, müsste ich es jetzt nicht neu machen. Bei den Haaren bin ich mir unsicher, ob ich sie gebändigt kriege oder ich, wie üblich zu einem Haargummi greifen muss.
Als ich gerade dabei bin, mich neu anzumalen, fällt mein Blick zufällig auf meine Armbanduhr und lässt mich erstarren. In einer Stunde steigt Mias Party und ich sehe aus, als wäre ich eben aus dem Bett gekrochen. Ich verstehe nicht, wo die Zeit geblieben ist. Mir kommt es vor, als hätte ich eben erst Mittag gegessen. Dabei ist es schon kurz nach siebzehn Uhr. Ich hatte so gehofft, noch Zeit für eine Tasse Kaffee zu haben, bevor ich mich auf den Weg zu Mia mache. Daraus wird jetzt nichts mehr.
Mit schnellen Bewegungen erneuere ich die Schminke. Nach einem kurzen prüfenden Blick gebe ich mir ein Okay für meine Arbeit. Ich sehe zwar nicht annähernd so gut aus wie vorhin, aber es reicht, um das Haus zu verlassen.
Hastig hebe ich die Bürste auf, kämme mir die Haare und binde sie zu einem Zopf zusammen. Mir ist die Lust vergangen, mich mit meinem widerspenstigen Haar auseinanderzusetzen. Ich begreife nicht, wie andere Frauen es schaffen, stets wie aus dem Ei gepellt auszusehen. Mir fehlt die Geduld, mich stundenlang zurechtzumachen. Von dem Spaß ganz abgesehen. Für mich gibt es wichtigere Dinge, als mich mit meinem Äußeren zu befassen. Zu einem dieser Punkte gehört Zuverlässigkeit. Ich lege viel Wert darauf, pünktlich zu sein und erwarte es auch von anderen. Solange ich zurückdenken kann, bin ich kein einziges Mal zu spät gekommen. Damit das so bleibt, stürme ich ins Schlafzimmer und ziehe mich um. Am gestrigen Abend habe ich mir glücklicherweise schon ein Outfit herausgesucht. Das erspart mir jetzt die Anprobe verschiedener Kleidungskombinationen.
Flink schlüpfe ich in den schwarzen knielangen Rock und streife mir die beigefarbene Bluse über. Nachdem ich alle Knöpfe verschlossen habe, trete ich vor den Spiegel und prüfe mein Äußeres.
»Na ja, geht so«, flüstere ich und nehme den Anblick hin. Mittlerweile müsste ich mich daran gewöhnt haben, nie so perfekt gestylt zu sein, wie meine Freundinnen. Manchmal beneide ich sie um ihre Stylingfähigkeiten. Mir fehlt eindeutig das Händchen dafür. Mein ganzes Leben lang laufe ich wie eine graue Maus herum, weil ich es nicht besser kann. Woher auch? In meiner Familie wird wenig Wert auf Styling gelegt. Natürlich sind alle ordentlich angezogen, aber das Augenmerk liegt auf dem beruflichen Erfolg. Schließlich will man ja vor anderen einwandfrei dastehen. Wie es einem dabei geht, spielt keine Rolle.
Immerhin habe ich es vor einigen Monaten geschafft, meine Brille gegen Kontaktlinsen auszutauschen. Anfangs habe ich mich dagegen gesträubt, weil es eine nervenaufreibende Fummelei ist, sich die Linsen in die Augen zu setzen. Mittlerweile bekomme ich es problemlos hin und bin stolz darauf.
Nach einem letzten Blick auf mein Spiegelbild zucke ich mit den Schultern und gehe in den Flur, mir die Schuhe anziehen.
Morgen um diese Zeit bis du bei Marie!, denke ich.
Nach fast drei Jahren besuche ich meine zwei Jahre ältere Cousine in Potsdam und freue mich wahnsinnig, sie wieder zu sehen. Letztes Jahr im Februar ist ihr Töchterchen Kim zur Welt gekommen. Seitdem nehme ich mir vor, zu Marie und ihrer kleinen Familie zu fahren. Von Kim habe ich bisher nur Fotos gesehen. Sie ist so niedlich. Ich freue mich, sie endlich live zu sehen. Eigentlich wollte ich heute schon hinfahren, aber ich konnte Mia nicht absagen. Jetzt, wo wir uns so gut verstehen, wie nie zuvor, und so etwas wie Freundinnen sind, hätte Mia mir das übel genommen. Das wollte ich keinesfalls riskieren.
Ich schnappe die Schlüssel vom Schlüsselbrett, greife nach der Handtasche, die an der Tür hängt, und verlasse die Wohnung.
Als ich aus der Haustür komme, schaue ich nach links und rechts, ob einer meiner Nachbarn draußen ist. Besonders aufmerksam begutachte ich die Fenster von der alten Frau Jakobs, ob sie sich hinter einem versteckt und das Geschehen auf der Straße beobachtet. Nachdem ich niemanden entdecken kann, laufe ich auf die Wiese und sammle beiläufig den Filter auf, den ich kurz darauf in der Mülltonne versenke. Dann gehe ich zu meinem Kleinwagen und mache mich auf den Weg zu Mias Party.
2. Kapitel - Paul
»Was machst du denn hier?«, begrüßt mich Marta, als ich vor ihrer Tür stehe. Sie ist so aufgebrezelt, viel mehr als sonst im Büro. In ihren Augen sehe ich Unmut. Sie scheint nicht erfreut über meinen Besuch zu sein.
Dennoch zwinge ich mich zu einem Lächeln und antworte: »Hallo Marta! Ich dachte, wir könnten mal wieder zusammen was trinken gehen!«
»Sonst gerne, aber heute passt es mir überhaupt nicht. Ich muss gleich weg!«
»Oh schade! Wo soll es denn hingehen?«
Marta schaut auf den Boden und vermittelt mir das Gefühl, als müsste sie erst über eine Antwort nachdenken.
Sie hebt ihren Kopf und sagt: »Ähm, ich bin zu einer Geburtstagsparty eingeladen und muss jetzt los.«
»Okay. Darf ich fragen, wer Geburtstag hat?«
»Mia«, antwortet sie leise.
»Das ist ja klasse. Da kann ich doch mitkommen, oder? Ich müsste unterwegs nur noch ein paar Blumen besorgen, damit ich nicht mit leeren Händen auftauche.«
Wieder zögert Marta mit einer Antwort. Ich habe das Gefühl, sie will lieber alleine gehen. Seit Wochen ist sie so komisch zu mir. Seit der Sache mit dem Chef geht sie mir aus dem Weg. Mehrmals versuchte ich herauszufinden, was los ist. Bisher wich sie mir immer aus. Also kann es nur an mir liegen. Ich weiß nur nicht, was ich falsch gemacht haben sollte. Nie war ich unhöflich zu ihr oder habe sie wissentlich beleidigt. Im Gegenteil, ich half Marta, ihren Eltern etwas vorzuspielen. Obwohl Lügen gegen meine Prinzipien verstoßen. Ich dachte, wir seien Freunde. Jetzt scheint sie mich nicht mehr zu brauchen und lässt es mich spüren.
»Von mir aus«, antwortet sie aus heiterem Himmel.
In ihrem Gesicht kann ich deutlich lesen, dass sie mich am liebsten loswerden will. Doch ich lasse mich nicht abschütteln und bin entschlossen mitzugehen.
»Super!«
»Ja, ich hole nur noch meine Tasche.«
Marta verschwindet hinter der Wohnungstür und lässt mich stehen.
»Ist irgendwas?«, frage ich, als sie zurückkommt.
»Nein, was soll sein?«
»Ich habe den Eindruck, du hast etwas gegen mich. Habe ich dir was getan?«, versuche ich erneut herauszufinden, was zwischen uns steht.
»Nein, ich sagte doch, es ist nichts!«
»Okay. Wenn du das sagst, will ich dir das glauben«, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Insgeheim habe ich Zweifel an Martas Aussage und erhoffe mir, am heutigen Tag noch hinter ihr Verhalten zu kommen. Vielleicht lockert sich ihre Zunge, wenn sie ein bisschen Alkohol getrunken hat.
Zusammen verlassen wir das Haus und machen uns auf den Weg zur Party.
3. Kapitel - Lisa