Der meergrüne Tod. Hans-Jürgen Setzer

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Der meergrüne Tod - Hans-Jürgen Setzer

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und heute auch noch Berichterstattung beim Alten vor Dienstschluss.“ Leon fühlte sich unter Druck gesetzt, obwohl ja noch nichts passiert war. An solchen Tagen hasste er es, kein Freiberufler geworden zu sein und deutlich zu spüren, wer ihn bezahlte. Er fuhr zum Friedhof, parkte und begab sich erst einmal auf die Suche nach den Überresten von Herrn Baedeker. Dafür gab es leider keinen Baedeker Reiseführer – oder vielleicht doch? Er würde hinterher mal nachsehen. Koblenzer hatten ja nur selten einen Reiseführer von Koblenz in der Tasche. Jetzt hatte er, jedenfalls außer den groben Anhaltspunkten, im Internet keine Hinweise und würde ein wenig suchen müssen. Er war früh genug dran, 14:30 Uhr. Eine halbe Stunde hatte er noch.

      Fummeln alle Hirnforscher?

      Doktor Marie Köhler überlegte, wie sie nun weiter vorgehen könnte. Sie hatte den angesehenen deutschen Hirnforscher, Professor Dinkelsbühl, in die Höhle des Löwen gelockt. Was würde der Löwe nun weiter erwarten. Sie schlenderte durch die Kongresshallen und hielt Ausschau nach Opfern oder Betätigungsfeldern.

      „Sind Sie neu bei Provita?“ Eine Dame in einem Anzug mit Krawatte sprach sie an.

      „Ja, Doktor Marie Köhler. Im Konzern bin ich zwar etwas länger, doch zum Bereich Zentrales Nervensystem bei Provita habe ich gerade erst gewechselt.“ Marie schaute die Dame erstaunt an und versuchte zu erfassen, mit wem sie es zu tun hatte.

      „Entschuldigen Sie, ich vergaß, mich vorzustellen. Doktor Janine Metz. Vor einigen Jahren war ich auch einmal in Ihrer Rolle. Musste dann aber raus, ging zum Onlineportal ‚Mednews’ und bin dort zuständig für die Fachzeitschriften der Psycho-Fächer.“

      „Klingt interessant, Ihre neue Tätigkeit.“ Marie beschäftigte viel mehr die Frage, warum sie gehen musste. Fragen empfand sie als indiskret.

      „Es geht so. Forschung reizt mich eigentlich viel mehr als Journalismus und Verwaltung.“ Sie schaute ein wenig traurig.

      „Und warum haben Sie dann gewechselt?“, fragte Marie. Nach dieser Vorlage glaubte sie, sich trauen zu dürfen.

      „Als Frau bei Provita und in der Abteilung ist es nicht immer ganz so einfach. Vor allem, wenn die Frau sich selbst nicht als Freiwild zum Abschuss freigibt.“ Sie zog Marie etwas näher heran und wurde dabei in der Stimme leiser. „Wollen wir zusammen auf einen Kaffee in die Cafeteria? Die Wände hier haben manchmal Ohren.“

      Marie schaute völlig verunsichert, nickte jedoch: „Klar, gern.“

      „Dann kommen Sie. Wollen wir nicht ‚du’ sagen? Ich bin Janine.“ Sie reichte ihre Hand.

      Marie schlug ein. „Marie.“

      Sie holten sich einen Cappuccino und setzten sich in eine freie Ecke.

      „Das klingt ja alles nicht gerade ermunternd“, sagte Marie und rührte in ihrer Tasse.

      „Pass bloß gut auf dich auf. Dieser Meggle kann seine Finger nicht bei sich lassen.“ Janine schaute ernst und nahm einen Schluck Cappuccino.

      „Das ist mir bereits aufgefallen. Von der ersten Minute an tätschelte er ständig an mir herum.“

      „Meine Kollegin Lea hat es ganz mies erwischt. Auf einer der üblichen Wir-haben-es-geschafft-Touren hat Meggle sie in seinem Hotelzimmer vergewaltigt.“

      „Das gibt es doch nicht.“ Marie schlug die Hand vor den Mund.

      „Leider doch. Sie wurde hinterher unter Druck gesetzt, nachdem er sie nicht kaufen konnte. Dabei bekam sie solche Angst, dass sie den Mistkerl nicht angezeigt hatte.“

      Marie war sprachlos und konnte nichts dazu sagen.

      „Wir hatten doch alle getrunken, wir wollten es alle, hieß es dann. Mir hat sie allerdings die ganze Geschichte erzählt. Meggle hat offensichtlich sehr außergewöhnliche sexuelle Vorlieben. Der Grad zwischen gewollter und ungewollter Fesselung ist schmal, sehr schmal, wenn du verstehst …“

      Marie wurde kreidebleich und bekam kein Wort heraus.

      „Es tut mir leid, wenn ich dir das jetzt antun muss. Ich kann nicht immer und immer wieder tatenlos zusehen, wie dieser Scheißkerl …“

      „Was soll ich denn jetzt machen?“ Marie war völlig fertig.

      „Diese Entscheidung kann ich dir nicht abnehmen. Keinesfalls wollte ich, dass der Überraschungseffekt wieder auf seiner Seite ist. Jetzt weißt du, wo du dran bist und kannst dich wappnen …“

      „… oder abhauen, meinst du?“ Sie schaute Janine in die Augen.

      „Wie gesagt, die Entscheidung kannst nur du treffen. Mistkerle gibt es ja leider viele, nicht nur bei Provita.“

      „Danke, Janine. Das vergesse ich dir nicht.“

      „Ist selbstverständlich und wie gesagt: Bei Lea habe ich zuschauen müssen, wie elend es ihr ging und das kann ich nicht mehr.“

      „Was wurde aus ihr?“, wollte Marie wissen.

      „Sie kam von einer Klinik in die nächste. Mehrere missglückte Selbstmordversuche. Ihre Partnerschaft ging darüber kaputt. Sie ist völlig im Eimer, trinkt.“ Janines Blick wurde sehr nachdenklich.

      Marie legte einen Arm um Janine und versuchte sie zu trösten. „Habt ihr noch Kontakt?“

      „Sehr sporadisch. Wir telefonieren schon mal. Meist ist sie aber betrunken. Es tut so weh. Sie war eine intelligente, hübsche junge Frau.“ Sie schüttelte den Kopf.

      „Sollen wir eine Runde draußen spazieren gehen?“, fragte Marie.

      „Nein, ich muss zurück zu meinem Platz, sonst kriege ich Ärger. Wir könnten nach Kongressschluss telefonieren, okay? Tut mir leid, wenn es für dich jetzt komplizierter wird, ich konnte nicht anders.“

      „Danke. Ich muss jetzt viel nachdenken, fürchte ich.“ Marie stand auf und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. Sie gingen in den Industriebereich zurück und trennten sich wortlos mit einem intensiven Blick, der mehr sagte als Worte.

      „Was mach ich jetzt nur?“ Marie war zutiefst erschüttert über diese Informationen. Wie sollte sie weiterhin unbefangen mit diesem Mistkerl arbeiten?

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