3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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      Schon mal das organische Innenleben von Songs betrachtet, ihre Sehnen und Lymphbahnen? Ja? Aber nicht von „Pet Sounds“, einem der größten Meisterwerke des Pop. Es war 1966, und Beach Boy Brian Wilson wollte das Beatles-Werk „Revolver“ übertrumpfen. Das Ergebnis brachte einen baffen Paul McCartney wiederum zum Eingeständnis: „Ohne ,Pet Sounds’ hätte es ,Sgt. Pepper’ nicht gegeben.“ Interkontinentale Befruchtung! Das Glanzstück liegt jetzt in einer vorbildlichen Viererbox vor. Neben dem remasterten Originalmonomix des Albums gibt es eine Stereoversion – und natürlich erregende Blicke ins Innenleben. Wir sind Zeuge der Studiosessions, in denen sich unter Brian Wilsons bestimmter Führung Schicht für Schicht ein verzaubertes Universum aus Harmonien und Arrangements auftürmt. Und am Ende steht da ein makelloser Klangkörper, der zur überzeitlichen Popstatue wurde.

      Bernard Purdie

      „Soul to Jazz 11” (1997)

      Jazzfans und -musiker schätzen den Drummer Purdie seit den 60ern. Mit hochkarätigen Gästen wie Stanley Turrentine oder Jack DeJohnette lotet er nun instrumental die vielen Schnittmengen von Soul und Jazz aus – zum zweiten Mal, doch diesmal nicht im Bigbandkleid, sondern im frottierten Hausmantel. Von Traditionals wie „Nobody knows“ bis zu Isaac Hayes’ urbanem Filmsound („Shaft“) reicht das Coverspektrum, und Purdie gibt mit feinfühligem Schlag den Hausgästen die Stimmung vor: intim soll es bittschön zugehen, leise, ehrfurchtsvoll, bisweilen spirituell („Amen“). Musik für milde Frühherbstnächte, in denen die Stürme Pause machen.

      Big Head Todd & The Monsters

      „Beautiful World” (1997)

      Willkommen in der ersten Liga, meine Herren! Vorbei die Zeiten, da der Midtempocollegerock von Todd Park Mohr und seinen zwei Freunden zwar halb Colorado entzückte, dem Rest der Welt aber schnurz war. Für diese Prognose spricht einiges, etwa das durchgehend brillante Niveau ihres knackigen, countryinfizierten Soulrocks, die packende Single „Resignation Superman“, die des Albums Fahne trägt, oder die erdverwurzelte Art des Promiproduzenten Jerry Harrison (Talking Heads). Und als Gast singt der kultige Bluesveteran John Lee Hooker persönlich sein „Boom Boom“; da lässt er natürlich keinen anderen ran, nicht mal Todd Park Mohr.

      Bill Bruford, Ralph Towner & Eddie Gomez

      „If Summer had its Ghosts” (1997)

      Gut, alle drei waren schon mal berühmter. Der Drummer Bruford mit Yes, Gitarrero Towner mit Oregon, Bassist Gomez während seiner Duette mit Jeremy Steig. Aber noch nie in ihrer Karriere, die zusammen fast hundert Jahre dauert, haben diese Altmeister des Jazz ein ähnlich schönes Album eingespielt – als hätten sie erst ihre Kräfte bündeln müssen, um solche Ausdruckskraft zu erlangen. Sie loten die lyrischen Tiefen des Jazz aus, versinken in Klänge und Melodien voller impressionistischer Bilder und Gefühle, gleiten in ruhigen Schwüngen dahin und harmonieren so herrlich, dass der Zauber anhält noch lange nach dem Hören – als sei der Geist John Coltranes in sie gefahren.

      Bill Laswell

      „Russian Chants PARASTAS” (1997)

      Wahrscheinlich ist Bill Laswell gar kein einzelner Mensch in einem einzelnen Körper. Eher so etwas wie Dr. Sommer bei Bravo: 50 Leute, für je 30 Probleme einer. Laswell holt den Dub aus dem Reggaeghetto, er popularisiert nordafrikanische Musik (zu hören auf dem „Manifestation“-Sampler), reitet auf dem Bass durch sämtliche Welten der Weltmusik, entwirft dunkle, urbane Visionen von Funk, Rap und Ambient. Das ist eigentlich zu viel für einen allein und doch noch nicht alles. Neuerdings nämlich überzieht er russische Liturgien mit einem hauchdünnen New Yorker Plastikfilm und nennt das Remix. Laswell ist ein Phantom, ein Überall-und-nirgends. Er nimmt Klänge auf, ohne ihnen kulturhistorisch auf den Grund zu gehen. Das funktioniert – sogar auch mit russischer Liturgie.

      Björk

      „Homogenic” (1997)

      Frau Gudmundsdottir aus Island mag den Pop nicht mehr. Ihr freier Stil bezieht sich nur noch vage auf dessen Muster, ihr Gesang mäandert künstlich und künstlerisch durch verzwickte Songs, was ihre görenhafte Ausdruckskraft nicht behindert. Grooves gibt’s wenig, dafür viele Quantensprünge in Rhythmik und Melodie, gestaltet mit Elektronik, Breakbeats und dunkelgrauen Streichern. Und alles wogt wie schwere, dramatische Atemzüge. Keine hitträchtigen Verschmitztheiten mehr á la „Venus as a Boy“, sondern kleine und große Kunststücke einer kleinen Frau aus einem kleinen Land, die zu den ganz Großen zählt.

      Bob Dylan

      „Time out of Mind” (1997)

      Der stream of consciousness fließt durch diesen ruhelosen Geist ohne UnterLass. Und His Bobness zweigte davon ab, was mit Liebe und Seelenheil zu tun hatte, und als er es sich anschaute, waren 73 Minuten zusammengeflossen. Und er ging zu Daniel Lanois, auf dass der Kanadier ihm einen dunklen Klang schneidere, seine Stimme schier jenseitig verhalle und ihm einen geisterhaften Rhythm’n’Blues stricke – angemessen für einen, der Frieden sucht und doch beinah die Suche nicht hätte beenden können; und jetzt, nach der Todesnähe, will Dylan nur noch eins: „Tryin’ to get to heaven/before they close the door“. Die Tiefe der Arrangements und Augie Myers zwischen sakral und intim vibrierender Orgel gibt den Versen viel Raum. Die von „Highlands“ laufen gleich über mehr als 16 Minuten: ein episches Monument, das mit hart gezupfter Akustikgitarre beginnt wie ein Lightnin’-Hopkins-Song, dann lossegelt im dynamiklosen Bluestakt, um irgendwann anzulanden nahe der „Desolation Row“, die Dylan bereits Mitte der 60er verlassen hatte. „Want nothing from anyone/have nothing to take“, singt er, „wouldn’t be a difference/between a real blonde and a fake“ – Dylan meißelt noch immer Weisheiten, die bisweilen zu Klischees werden; doch wenn er sie singt, sind sie nichts weniger als das. Seine neuen Texte haben eine melancholische, rührende Gelassenheit, es sind Rückschauen, Resümees, er ist ein alter zufriedener Köter, der sich in seine Hütte legt und die Welt betrachtet. Und er wird sie nie mehr verlassen.

      Chumbawamba

      „Tubthumper” (1997)

      Richtige Anarchos lassen sich von keiner Machtverteilung irritieren. Wer nun gerade herrscht, ob Jacko oder Prodigy: egal. Anarchos spielen ihren Stiefel – und vor allem mit den Machtinstrumenten der anderen, um sie fröhlich zu demontieren. Der letzte, der das konnte, war Frank Zappa. Chumbawamba können das auch. Ihr politisches Engagement ist vehement und ihr „Pop“ ätzend wie der Humor von Monty Python’s – und bei aller quirligen Verschrobenheit so leicht und sämig, dass die Single „Tubthumping“ gar zum Hit werden könnte. Ob alle Käufer raffen, was sie sich da einhandeln, ist Chumbawamba pimpe. Anarchos eben.

      Clint Bradley

      „This Hour” (1997)

      Welch ein Schmelz, welch ein Schmalz! Der Crooner Clint Bradley hat sich noch nicht entschieden, in welches Image er inkarnieren will: in das von Dean Martin oder jenes von Chris Isaak. Wie er schreiben will, weiß er aber schon: à la Brontë. Bradley, aufgewachsen in Southampton und weltweit auftrittgeschult in Schmuddelclubs, ist ein lebender Anachronismus. Sein Herz hängt an den 50ern, und sein Bedauern darüber, zu spät geboren zu sein, wandelt er in göttliche Schnulzen – mit Twangs unterlegt von Ian Durys alter Band, den Blockheads. „This Hour“ ist ein Album, das dich entweder ekelt oder dazu bringt,

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