Maria Stuart. Stefan Zweig
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Juli 1560 bis August 1561
Nichts hat die Lebenslinie Maria Stuarts so sehr ins Tragische gewendet, als daß ihr das Schicksal alles an irdischer Macht so trügerisch mühelos in die Hände gibt. Ihr Aufstieg erfolgt in derart raketenhaft geschwinder Kurve – mit sechs Tagen Königin von Schottland, mit sechs Jahren Braut eines der mächtigsten Prinzen Europas, mit siebzehn Jahren Königin von Frankreich –, daß sie das höchste Maß an äußerer Macht schon in Händen hält, noch ehe ihr inneres Leben wahrhaft begonnen hat. Alles fällt ihr aus unsichtbarem Füllhorn scheinbar unerschöpflich zu, und nichts davon ist durch eigenen Willen erworben, durch eigene Kraft erkämpft, nichts Mühe und nichts Verdienst, alles Erbe, Gnade und Geschenk. Wie im Traume, wo alles flughaft-farbig vorüberflieht, erlebt sie sich im Hochzeits-, im Krönungskleide, und ehe sie mit wachen Sinnen diesen verfrühten Frühling begreifen kann, ist er schon verblüht, verwelkt, vorüber, und sie erwacht enttäuscht, geplündert, beraubt, verstört. In einem Alter, da andere erst zu wünschen, zu hoffen, zu begehren beginnen, hat sie bereits alle Möglichkeiten des Triumphes durchschritten, ohne Zeit und Muße gehabt zu haben, ihn auch seelisch zu erfassen. In dieser Vorschnelle ihres Schicksals ist aber auch das Geheimnis ihrer Unruhe und Ungenügsamkeit im Samenkorn verschlossen: wer so früh die Erste eines Landes, einer Welt gewesen, wird sich nie mit kleinem Lebensmaß mehr bescheiden können. Nur schwache Naturen verzichten und vergessen, die starken aber fügen sich nicht und fordern auch das übermächtige Schicksal zum Kampfe heraus.
In der Tat, wie ein Traum geht diese kurze Königszeit in Frankreich dahin, wie ein hastiger, unruhiger, angstvoller, sorgenvoller Traum. Die Kathedrale von Reims, wo der Erzbischof dem blassen kranken Knaben die Krone auf das Haupt drückt und die schöne junge, mit allen Juwelen des Schatzes geschmückte Königin inmitten des Adels wie eine schmale, schlanke, noch nicht voll erblühte Lilie aufleuchtet, schenkt ihr einen einzigen, farbig vorstrahlenden Augenblick, sonst meldet die Chronik keine Feste und Fröhlichkeiten. Das Schicksal läßt Maria Stuart keine Zeit, jenen troubadourischen Hof der Künste und der Dichtung zu schaffen, von dem sie träumte, keine Zeit auch den Malern, das Bild des Monarchen und seiner schönen Gattin in Prunkgemälden festzuhalten, keine Zeit den Chronisten, ihren Charakter zu schildern, keine Zeit dem Volke, seine Herrscher kennen oder gar lieben zu lernen; wie zwei hastige Schatten, von bösem Wind gejagt, fliehen diese beiden Kindergestalten in der langen Reihe der Könige von Frankreich vorüber.
Denn Franz II. ist krank und von Anbeginn zu frühem Tode gezeichnet wie ein Baum im Wald. Ängstlich, mit schweren, müden, wie vom Schlaf aufgeschreckten Augen, blickt aus rundem, gedunsenem Gesicht ein fahler kleiner Knabe den Betrachter an, und ein plötzlich einsetzendes und darum unnatürliches Wachstum schwächt noch mehr seine Widerstandskraft. Ständig wachen die Ärzte um ihn und raten dringend zur Schonung. Jedoch in diesem Knaben pocht ein törichter, kindischer Ehrgeiz, hinter seiner schlanken, sehnigen Gemahlin, die Jagd und Sport leidenschaftlich liebt, nicht zurückzubleiben. Er zwingt sich gewaltsam zu hitzigen Ritten und körperlichen Anstrengungen, um sich Gesundheit und Männlichkeit vorzutäuschen; aber die Natur läßt sich nicht betrügen. Sein Blut bleibt unheilbar matt und vergiftet, schlimmes Erbteil seines Großvaters Franz I., immer wieder fallen Fieber ihn an, bei jedem scharfen Wetter muß er zu Hause sitzen, ungeduldig, ängstlich und müde, ein kläglicher Schatten, von der Sorge vieler Ärzte umringt. Ein solch armer König weckt an seinem Hofe mehr Mitleid als Ehrfurcht, im Volke dagegen gehen bald böse Mären um, er sei leprakrank und bade im Blute frischgeschlachteter Kinder, um zu genesen; finster blicken die Bauern dem kümmerlichen Jungen nach, wenn er fahl und langsam auf seinem Rosse vorbeitrabt, die Höflinge aber beginnen schon vorausdenkend, die Königinmutter, Katharina von Medici, und Karl, den Thronerben, zu umscharen. Mit solchen matten, schwachen Händen vermag man die Zügel der Herrschaft nicht lange straff zu halten; ab und zu malt der Knabe mit steifer, ungelenker Schrift sein »François« unter Dokumente und Dekrete, aber in Wahrheit regieren die Verwandten Maria Stuarts, die Guisen, statt seiner, der nur um eines kämpft: sein bißchen Leben und Kraft möglichst lange festzuhalten.
Eine glückliche Ehe, falls es überhaupt eine wirkliche gewesen, kann man ein solches In-Krankenstuben-Beisammensein, ein solches stetes Sorgen und Behüten kaum nennen. Aber nichts wiederum läßt annehmen, daß diese beiden Halbkinder sich nicht vertragen hätten, denn selbst ein so bösartig geschwätziger Hof, an dem Brantôme jede Liebschaft in seinem »Vie des dames galantes« verzeichnete, findet über Maria Stuarts Verhalten kein Wort des Tadels oder der Verdächtigung. Lange ehe sie die Staatsraison vor dem Altar verbunden, waren Franz und Maria Stuart Kameraden gewesen, kindliche Spielgemeinschaft hatte sie längst vereint und das Erotische darum kaum eine wesentliche Rolle bei diesen Halbkindern gespielt: es wird noch Jahre dauern, ehe in Maria Stuart die Fähigkeit leidenschaftlicher Hingabe erwacht, und Franz, der fiebermatte Knabe, wäre der letzte gewesen, sie in dieser verhaltenen, tief in sich verschlossenen Natur zu erwecken. Gewiß hat gemäß ihrem mitleidigen und gefällig gutmütigen Wesen Maria Stuart ihren Gemahl auf das sorglichste gepflegt, denn wenn schon nicht vom Gefühl, so mußte sie doch vom Verstande her wissen, daß all ihre Macht und Herrlichkeit an den Atem und Herzschlag dieses armen siechen Knaben gebunden war und daß sie ihr eigenes Glück verteidigte, indem sie sein Leben behütete. Aber für wirkliches Glücklichsein war in dieser Spanne Königszeit überhaupt kein Raum; im Lande regt sich hugenottischer Aufruhr, und nach dem berüchtigten Tumult von Amboise, der das Königspaar persönlich bedroht, muß Maria Stuart der Herrscherpflicht einen traurigen Tribut abstatten. Sie muß anwesend sein bei der Hinrichtung der Rebellen, muß zusehen – und der Augenblick wird sich tief in ihre Seele eingraben, vielleicht wird er aufleuchten wie ein magischer Spiegel in einer andern, eigenen Stunde –, wie mit verschnürten Armen ein lebender Mensch auf den Block niedergepreßt wird, wie mit hartem Henkerschlag, mit einem dumpfen, knirschenden und dröhnenden Ton die Axt in den Nacken fährt und ein Haupt blutend in den Sand kollert: ein Bild, grausig genug, jenes glänzende der Krönung von Reims auszulöschen. Und dann jagt eine schlimme Botschaft die andere: ihre Mutter, Marie von Guise, die für sie Schottland verwaltet, ist im Juni 1560 gestorben, das Erbland hinterlassend in religiösem Zwist und Aufruhr, Krieg an den Grenzen, die englischen Truppen tief in den Gemarken, und bereits muß Maria Stuart Trauergewand tragen statt des festlichen, das sie kindisch erträumt. Die Musik, die geliebte, muß schweigen, der Tanz anhalten. Aber schon pocht abermals die knöcherne Hand an Herz und Haus. Franz II. wird schwächer und schwächer, das vergiftete Blut in seinen Adern hämmert unruhig hinter den Schläfen und braust in den Ohren. Er kann nicht mehr gehen, nicht mehr reiten und muß im Bett von einem Ort zum andern getragen werden. Endlich bricht die Entzündung eitrig in seinem Ohre durch, die Ärzte wissen keine Hilfe mehr, und am 6. Dezember 1560 hat der unselige Knabe ausgelitten.
Und abermals wiederholt sich – tragisches Symbol – die Szene zwischen den beiden Frauen Katharina von Medici und Maria Stuart an einem Sterbebett. Kaum hatte Franz II. den letzten Atemzug getan, so weicht Maria Stuart, weil nicht mehr Königin von Frankreich, an der Tür hinter Katharina von Medici zurück, die jüngere Königswitwe muß der älteren den Vortritt lassen. Sie ist nicht mehr die erste Frau des Reiches, sondern schon wieder nur die zweite; in einem einzigen Jahr ist der Traum zu Ende und Maria Stuart nicht mehr Königin von Frankreich und einzig noch, die sie gewesen vom ersten Augenblick an und bleiben wird bis zum letzten: Königin von Schottland.
Vierzig Tage dauert gemäß dem Zeremoniell des französischen Hofes die strengste Trauerzeit einer Königswitwe. Während dieser unerbittlichen Klausur darf sie ihre Gemächer nicht für einen Augenblick verlassen, in den ersten zwei Wochen darf niemand außer dem neuen König und seinen nächsten Verwandten sie in dem künstlichen Grabgewölbe, in dem abgedunkelten und nur mit Kerzen erhellten Raum besuchen. Nicht wie die Frauen des Volks kleidet sich in diesen Tagen die Königswitwe in das düstere Schwarz, die ewig gültige Farbe der Trauer, denn ihr allein ziemt der »Deuil blanc«. Weiß die Haube über dem blassen Gesicht, weißbrokaten das Kleid, weiß die Schuhe, die Strümpfe, nur dunkel der Flor über diesem fremden Geleucht, so trägt sich Maria Stuart in jenen Tagen, so zeigt sie uns Janet in seinem berühmten Gemälde und so schildert sie Ronsard in seinem Gedicht:
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