Wolfsblut. Jack London
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Die Wölfin war ärgerlich und biß ihn gereizt in die Schulter. Erschrocken und ohne sich den neuen Angriff erklären zu können, schnappte er zurück und verletzte sie an der Schnauze. Auch ihr kam es unerwartet, daß er ihren Verweis so übelnahm, und unwillig knurrend sprang sie auf ihn los. Nun sah er seinen Irrtum ein und suchte sie zu begütigen, doch sie fuhr fort, ihn derb zu zausen, bis er alle Besänftigungsversuche aufgab und sich mit abgewandtem Kopfe im Kreise um sich herumdrehte und seine Schulter ihren Zähnen preisgab.
Unterdessen zappelte das Kaninchen über ihnen in der Luft. Die Wölfin setzte sich in den Schnee nieder, und Einauge sprang mehr aus Angst vor der Gefährtin als vor dem geheimnisvollen Bäumchen wieder nach dem Kaninchen in die Höhe. Als er es diesmal mit den Zähnen packte, behielt er das Bäumchen fest im Auge. Wie vorher folgte es ihm wieder zu Boden. Er duckte sich unter dem erwarteten Schlage, mit gesträubtem Haar, aber sein Gebiss hielt das Kaninchen fest. Doch der Schlag fiel nicht; das Bäumchen beugte sich nur über ihn. Wenn er sich regte, so bewegte es sich auch, und er knurrte es durch die zusammengebissenen Zähne an; blieb er ruhig, so regte es sich ebenfalls nicht, und er schloß daraus, daß es sicherer wäre, stillzuhalten. Doch schmeckte ihm das warme Blut des Kaninchens so gut.
Da befreite ihn seine Genossin aus der rätselhaften Lage, indem sie ihm das Kaninchen wegnahm und, während das Bäumchen über ihr sich drohend und raschelnd hin und her bewegte, dem Tierchen ruhig den Kopf abbiß. Sogleich schnellte das Bäumchen in die Höhe und verursachte keine Besorgnis mehr, sonder verblieb in der anständigen, senkrechten Stellung, die die Natur ihm gegeben hatte. Darauf verzehrten Einauge und die Wölfin zusammen den Raub, den das geheimnisvolle Bäumchen für sie gefangen hatte.
Es gab aber noch mehr Wege und Stege, wo Kaninchen in der Luft hingen und das Wolfspaar fand sie eins nach dem andern, denn die Wölfin hatte die Führung übernommen und Einauge folgte aufmerksam und lernte, wie man Schlingen ausraubte, was ihm in Zukunft noch gute Dienste leisten sollte.
5
Das Lager
Zwei Tage hindurch umkreisten die Wölfin und Einauge das Indianerlager. Er war in großer Sorge, daß seine Gefährtin sich anlocken lassen und ihn verlassen würde. Als eines Morgens jedoch dicht neben ihnen der Knall einer Büchse ertönte, und die Kugel einige Zoll von Einauges Kopf entfernt in den Stamm eines Baumes einschlug, da zögerten sie nicht länger, sondern wanderten mit langen, schwingenden Schritten hinweg, bis viele Meilen sie von der Gefahr trennten.
Sie wanderten jedoch nur wenige Tagereisen weit. Das Verlangen der Wölfin nach dem, was sie suchte, wurde immer dringender. Sie war schwerfällig geworden und konnte nur langsam laufen. Einmal gab sie die Verfolgung eines Kaninchens auf, das sie sonst mit Leichtigkeit gefangen hätte, und legte sich nieder, um zu ruhen. Einauge kam zu ihr, aber als er ihr leise mit der Schnauze den Hals berührte, schnappte sie so rasch und wild nach ihm, daß er einen Purzelbaum schoß und eine höchst lächerliche Figur spielte, als er ihre Zähne vermeiden wollte. Allein je größer ihre Heftigkeit wurde, desto geduldiger und fürsorglicher wurde er.
An einem Nebenflüsschen des Mackenzie, das zur Sommerszeit wohl lustig dahinfließen mochte, nun aber bis zum Grunde des Felsenbettes zugefroren war und von der Quelle bis zur Mündung tot und weiß dalag, fand sie endlich was sie suchte. Sie war müde weitergetrabt, ihr Gefährte immer eine Strecke voraus, als sie an eine hohe, steile Lehmwand kam. Sie wandte sich zur Seite und trabte zu ihr hin. Die Frühlingsstürme und die Schneeschmelze hatten das Ufer hier an einer Stelle unterwaschen und aus einer engen Spalte eine kleine Höhle gemacht.
Vor der Öffnung der Höhle machte sie Halt und besah sich genau die Wand. Dann lief sie zuerst auf der einen Seite, dann auf der andern am Fuße der Wand entlang, bis dahin, wo das flache Land zum Ufer abfiel. Dann kehrte sie zur Höhle zurück und kroch durch die enge Öffnung. Sie hatte nur eine kurze Strecke weit zu kriechen, dann wichen die Wände zurück und bildeten höher ansteigend eine kleine, runde Kammer, kaum sechs Fuß im Durchmesser. Die Decke war dicht über ihrem Kopfe, aber der Raum war trocken und behaglich. Sie beschaute alles sorglich, während Einauge am Eingange stand und sie geduldig beobachtete. Endlich senkte sie den Kopf, hielt die Nase dicht am Boden und drehte sich mehrere Male um und um, worauf sie sich mit einem Seufzer, der fast wie ein Brummen klang, zusammenrollte, die Beine ausstreckte und, den Kopf nach dem Eingang gerichtet, niederlegte. Einauge schaute ihr zufrieden mit aufmerksam gespitzten Ohren zu, und sie konnte gegen das weiße Licht sehen, wie er gutmütig mit dem Schweif wedelte. Dann legte sie die gespitzten Ohren behaglich zurück, öffnete das Maul, so daß die Zunge lang heraushing, und zeigte dadurch, wie zufrieden und glücklich sie sich fühlte.
Aber Einauge war hungrig. Er legte sich zwar am Eingange der Höhle zum Schlafe nieder, doch wachte er von Zeit zu Zeit auf, spitzte die Ohren und schaute nach der hellen Welt draußen, wo die Aprilsonne warm auf den Schnee schien. Schlummerte er wieder ein, so schlug an sein Ohr das schwache Wispern und unsichtbare Tröpfeln tauenden Wassers, und er pflegte dann aufzufahren und gespannt zu lauschen. Ja, die Sonne war wiedergekehrt; die erwachende Welt des Nordens rief es ihm zu. Das Leben regte sich; man fühlte den Frühling in der Luft, das Wachstum unter dem Schnee, man merkte, wie der Saft in die Bäume emporstieg und die Knospen die Bande des Winters brachen.
Einauge warf der Gefährtin bittende Blicke zu, aber sie hatte nicht den Wunsch aufzustehen. Er blickte hinaus und sah einige Schneehühner vorüberfliegen. Er sprang auf, blickte wieder nach der Gefährtin hin, legte sich nieder und schlummerte weiter. Ein schrilles, scharfes Surren traf sein Ohr. Er fuhr sich ein paarmal schläfrig mit der Pfote über die Nase, dann wachte er vollends auf. Da summte über seiner Nasenspitze eine einsame Mücke in der Luft. Es war eine ausgewachsene Mücke, die den Winter hindurch eingefroren in einem trockenen Stück Holz gelegen, und die die Sonne nun aufgetaut hatte. Da konnte er nicht länger widerstehen; die Welt da draußen rief ihn, auch fühlte er Hunger.
Er kroch zur Wölfin hin und versuchte, sie zum Aufstehen zu bewegen. Aber sie knurrte ihn nur an, und so wanderte er allein in den hellen Sonnenschein hinaus, wo der Schnee an der Oberfläche weich und das Gehen beschwerlich war. Er ging aufwärts an dem gefrorenen Flussbett, wo im Schatten der Bäume der Schnee noch hart und wie kristallisiert war. So wanderte er stundenlang und kehrte erst in der Dunkelheit hungriger denn je zurück. Zwar hatte er Wild gesehen, aber nichts erwischt. Er war durch die Kruste des schmelzenden Schnees gebrochen, während die weißen Kaninchen leichtfüßig darüber hinweggesprungen waren.
Plötzlich blieb er am Eingange der Höhle mißtrauisch stehen. Schwache, seltsame Laute machten sich drinnen vernehmbar, doch kamen sie nicht von der Wölfin her, obgleich sie ihm bekannt vorkamen. Vorsichtig kroch er auf dem Bauche hinein, als ein warnendes Knurren von der Wölfin ihn begrüßte. Er blieb zwar gehorsam in einiger Entfernung liegen, aber die Töne interessierten ihn, – sie klangen wie ein schwaches, halbersticktes Schluchzen und Schlabbern.
Wieder ließ die Wölfin das warnende Knurren hören, worauf er sich zusammenrollte und am Eingang der Höhle zur Ruhe legte. Als der Morgen anbrach und sein schwaches Licht in die Höhle drang, untersuchte er wieder, von woher die ihm nicht unbekannten Töne kämen. Da bemerkte er einen neuen Klang in dem warnenden Geknurre der Gefährtin, etwas das wie Eifersucht klang, und er trug Sorge, sich in respektvoller Entfernung zu halten. Doch unterschied er zwischen ihren Beinen und dem Körper fünf drollige, lebende Bündelchen,