Magellan. Stefan Zweig

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Magellan - Stefan Zweig

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Aber sein Herr profitiert schon; von ihm kauft ein mohammedanischer Händler die Last und paddelt sie auf winziger Prau durch glühenden Sonnenbrand von den Gewürzinseln acht Tage, zehn Tage und mehr nach Malacca (in die Nähe des heutigen Singapore). Hier sitzt schon die erste Saugspinne im Netz; der Herr des Hafens, ein mächtiger Sultan, fordert für das Umladen vom Händler Tribut. Erst wenn die Abgabe entrichtet ist, darf die duftende Fracht auf eine andere, eine größere Dschunke verladen werden, und wieder schleicht, von breitem Ruder oder viereckigem Segel langsam vorwärtsgetrieben, das kleine Fahrzeug von einem Küstenplatz Indiens zum andern weiter. Monate gehen so dahin, eintöniges Segeln und endloses Warten bei Windstille unter wolkenlos brennendem Himmel, und dann wieder jähe Flucht vor den Taifunen und den Korsaren. Unendlich mühsam und auch unsagbar gefahrvoll ist diese Verfrachtung durch zwei, durch drei tropische Meere; von fünf Schiffen fällt fast immer eines unterwegs den Stürmen oder Piraten zum Opfer, und der Kaufherr segnet Gott, wenn er Cambagda glücklich umfahren, endlich Ormudz oder Aden erreicht hat und damit den Zugang zu Arabia felix oder Ägypten. Aber die neue Art der Verfrachtung, die hier anhebt, ist nicht minder entbehrungsvoll und nicht minder gefährlich. Zu Tausenden warten in langen, geduldigen Reihen in jenen Umschlagshäfen die Kamele, gehorsam beugen sie auf das Zeichen ihres Herrn sich in die Knie, Sack um Sack werden die verschnürten Bündel mit Pfeffer und Muskatblüten ihnen auf den Rücken geladen, und langsam schaukeln die vierbeinigen Schiffe ihre Fracht dann durch das Sandmeer. In monatelangem Zuge bringen arabische Karawanen die indische Ware – die Namen von Tausendundeine Nacht klingen auf – über Bassora und Bagdad und Damaskus nach Beyruth und Trebizonde oder über Dschidda nach Kairo; uralt sind diese langen Wanderstraßen durch die Wüste und seit den Jahren der Pharaonen und Bactrier schon den Händlern vertraut. Aber verhängnisvollerweise kennen sie die Beduinen, diese Piraten der Wüste, nicht minder genau; ein verwegener Überfall vernichtet oft mit einem Schlage die Fracht und Frucht unzähliger mühsamer Monate. Was dann glücklich den Sandstürmen entgeht und den Beduinen, kommt dafür andern Räubern zupaß: von jeder Kamelladung, von jedem Sack verlangen die Emire des Hedschas, die Sultane von Ägypten und Syrien Tribut, und zwar einen höchst ausgiebigen; auf hunderttausend Dukaten schätzt man, was jährlich allein nur der ägyptische Wegelagerer an Durchgangszoll vom Gewürzhandel erhob. Ist schließlich die Nilmündung nahe von Alexandria erreicht, so wartet dort noch ein allerletzter Nutznießer und nicht der geringste, die Flotte Venedigs. Seit der perfiden Vernichtung der Konkurrenzstadt Byzanz hat die kleine Republik das Monopol des abendländischen Gewürzhandels völlig an sich gerissen; statt direkt weiter verfrachtet zu werden, muß die Ware zuerst an den Rialto, wo die deutschen, die flandrischen, die englischen Faktoren sie ersteigern. Dann erst rollen in breiträdrigen Wagen durch Schnee und Eis der Alpenpässe dieselben Blüten, die tropische Sonne vor zwei Jahren geboren und gegoren, dem europäischen Krämer und damit dem Verbraucher zu.

      Durch mindestens zwölf Hände, so schriftet es melancholisch Martin Behaim seinem Globus, seinem berühmten »Erdapfel« von 1492 ein, muß das indische Gewürz wucherisch wandern, ehe es an die letzte Hand, an den Verbraucher, gelangt. »Item ess ist zu wissen, dass die Spezerey die in den Insuln In Indien in Orienten in manicherley Hendt verkaufft wirdt, ehe sie herauss kumpt In unsere Landt.« Aber wenn auch zwölf Hände in den Gewinn sich teilen, so preßt doch jede einzelne genug goldenen Safts aus dem indischen Gewürz; trotz allen Risiken und Gefahren gilt der Spezereihandel als der weitaus einträglichste des Mittelalters, weil bei kleinstem Volumen der Ware mit der größten Marge an Gewinn verbunden. Mögen von fünf Schiffen – die Expedition Magellans beweist dieses Rechenexempel – vier mit ihrer Ladung zugrunde gehen, mögen zweihundert Menschen von zweihundertfünfundsechzig nicht wiederkehren, so haben zwar Matrosen und Kapitäne ihr Leben verloren, der Händler hat aber bei diesem Spiel noch immer gewonnen. Kehrt nur ein noch so kleines Schiff von den fünfen, gut mit Gewürz beladen, nach drei Jahren zurück, so macht die Ladung mit reichlichem Profit den Verlust wett, denn ein einziger Sack mit Pfeffer gilt im fünfzehnten Jahrhundert mehr als ein Menschenleben; kein Wunder, daß bei dem großen Angebot an wertlosen Menschenleben und der stürmischen Nachfrage nach wertvollem Gewürz die Rechnung immer wieder prächtig klappt. Die Paläste Venedigs und jene der Fugger und Welser sind fast einzig aus dem Gewinn an indischem Gewürz erbaut.

       Columbus

       Bildnis in der Portraitsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol

      Aber unvermeidlich wie Rost an Eisen setzt sich scharfer Neid an großen Gewinn. Immer wird jedes Vorrecht von den andern als Unrecht empfunden, und wo eine einzelne kleine Gruppe sich übermäßig bereichert, formt sich selbsttätig eine Koalition der Benachteiligten. Mit scheelen Augen sehen längst die Genuesen, die Franzosen, die Spanier auf das geschicktere Venedig, das den goldenen Golfstrom an den Canal grande zu leiten gewußt, und mit noch ärgerer Erbitterung starren sie nach Ägypten und Syrien, wo der Islam eine undurchdringliche Sperrkette zwischen Indien und Europa gelegt. Keinem christlichen Schiff ist die Fahrt auf dem Roten Meer gestattet, keinem christlichen Händler auch nur die Durchreise; unerbittlich geht aller Indienhandel ausschließlich durch türkische und arabische Händler und Hände. Damit wird aber nicht nur den europäischen Verbrauchern die Ware unnütz verteuert, nicht nur dem christlichen Handel der Gewinn von vorneweg abgemelkt, sondern es droht der ganze Überschuß an Edelmetall nach dem Oriente abzufließen, da die europäischen Waren bei weitem nicht den Tauschwert der indischen Kostbarkeit erreichen. Schon um dieses fühlbaren Handelsdefizits willen mußte die Ungeduld des Abendlands immer leidenschaftlicher werden, der ruinösen und entwürdigenden Kontrolle sich zu entziehen, und schließlich raffen sich die Energien zusammen. Die Kreuzzüge waren keineswegs (wie es oft romantisierend dargestellt wird) ein bloß mystisch religiöser Versuch, die Stätte des Heiligen Grabes den Ungläubigen zu entreißen; diese erste europäisch-christliche Koalition stellte zugleich die erste logische und zielbewußte Anstrengung dar, jene Sperrkette zum Roten Meer zu durchstoßen und den Osthandel für Europa, für das Christentum frei zu machen. Da dieser Stoß mißlang, da Ägypten nicht den Mohammedanern entrissen werden konnte und der Islam weiterhin den Weg nach Indien verlegte, mußte notwendigerweise der Wunsch wach werden, einen andern, einen freien, einen unabhängigen Weg nach Indien zu finden. Die Kühnheit, die Columbus nach Westen, die Bartolomeu Diaz und Vasco da Gama nach Süden, die Cabot nach Norden gegen Labrador vorstoßen ließ, entsprang in erster Linie dem zielbewußten Willen, endlich, endlich für die abendländische Welt einen freien, einen unbezollten und ungehinderten Seeweg nach Indien zu entdecken und damit die schmachvolle Vormachtstellung des Islams zu brechen. Immer ist bei entscheidenden Erfindungen und Entdeckungen ein geistiger, ein moralischer Antrieb die eigentlich beflügelnde Macht, meist aber wird der endgültige Abstoß ins Irdische dann von materiellen Impulsen gegeben. Gewiß hätten auch um der kühnen Idee willen die Könige und ihre Räte an Columbus' und Magellans Vorschlägen sich begeistert; nie aber wäre das nötige Geld gewagt worden an ihr Projekt, nie von Fürsten und Spekulanten ihnen tatsächlich eine Flotte ausgerüstet worden ohne die gleichzeitige Aussicht, bei dieser Entdeckungsfahrt den aufgewendeten Betrag tausendfach zu verzinsen. Hinter den Helden jenes Zeitalters der Entdeckungen standen als treibende Kräfte die Händler; auch dieser erste heroische Impuls zur Welteroberung ging aus von sehr irdischen Kräften – im Anfang war das Gewürz.

      Wunderbar immer im Lauf der Geschichte, wenn sich der Genius eines Menschen dem Genius der Stunde bindet, wenn ein einzelner Mann hellsichtig die schöpferische Sehnsucht seiner Zeit begreift. Unter den Ländern Europas hat eines bisher seinen Teil an der europäischen Aufgabe noch nicht erfüllen können, Portugal, das in langwierigen heroischen Kämpfen sich der maurischen Herrschaft entrungen. Nun aber Sieg und Selbständigkeit endgültig erfochten sind, liegt die prachtvolle Kraft eines jungen und leidenschaftlichen Volkes völlig brach; der natürliche Expansionswille, der jeder aufsteigenden Nation innewohnt, findet zunächst keinen Ausstoß mehr. Mit seinen ganzen Landesgrenzen liegt Portugal an Spanien gelehnt, an eine befreundete, eine brüderliche Nation; so könnte einzig zur See, durch Handel und Kolonisation das kleine und arme Land sich erweitern. Aber verhängnisvollerweise ist – oder scheint zunächst – die geographische Lage Portugals die ungünstigste unter allen seefahrenden Nationen Europas.

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