Sein Traum von Harmonie. Jürgen Heiducoff
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Das akademische Niveau des Studiums konnte sich sehen lassen. Besonders die naturwissenschaftlich - mathematische Ausbildung war herausfordernd. Dennoch war auch hier die sowjetische Lernmethode des Auswendiglernens dominant. Auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften artete dies zum Teil dahingehend aus, dass es unüblich war, die vorgegebene Lehrmeinung kritisch zu hinterfragen. Keine Spur von der Anwendung der dialektischen Methode der schöpferischen Weiterentwicklung bestehender Theorien. Dies allerdings haben wir in der DDR gelernt. Und überhaupt: das selbständige Denken und Hinterfragen der Lehrmeinung mochten die Dozenten nicht. Man ehrte den dialektischen und historischen Materialismus und hob hervor, dass Lenin diesen erfolgreich weiter entwickelte. Aber damit ist so etwas wie ein statisches Gesellschaftsbild entstanden, dessen Wesen keiner zu kritisieren wagte. Gesellschaftliche Stagnation und keine Spur von Reform oder Vision. Der Begriff der gesellschaftlichen Harmonie tauchte in der Sowjetunion nicht auf. Er scheint unvereinbar mit dem Klassenkampf zu sein.
Interessant findet Jura das Studium der sowjetischen militärischen Strategie, der operativen Kunst und Taktik. Alles basiert auf den Erfahrungen des Großen Vaterländischen Krieges. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Lehren aus anderen Kriegen der Vergangenheit und Gegenwart ignoriert wurden.
Das vermittelte Kriegsbild war realistisch. In keiner Weise wurde die martialische und brutale Art der Kriege verharmlost. In die Behandlung von Frontangriffsoperationen der sowjetischen Truppen auf dem westlichen Kriegsschauplatz wurde auch der Übergang zum Einsatz von Kernwaffen integriert. Da sind trocken und auf dem Papier der topografischen Karten Kernwaffen gegen westliche Städte wie Den Haag geplant worden, um das Vordringen der eigenen Großverbände in die Tiefe des gegnerischen Territoriums zu beschleunigen. Keiner hat den Versuch unternommen, sich vorzustellen, was dies für die unschuldigen Zivilisten bedeuten würde und welches Leiden all dies verursacht. Für die erfolgsorientierten sowjetischen Militärs war all dies trockene Taktik. Und im übrigen spielte das Schicksal des einzelnen Menschen ohnehin historisch in Osteuropa noch nie eine entscheidende Rolle. Also was soll dieses individuelle Gesäusel, mochte der eine oder andere gesagt haben. Auch Jura macht sich keine tiefer gehenden Gedanken dazu. Offensichtlich fehlt es ihm an der notwendigen Lebenserfahrung.
Viel später denkt Jura an diese Art der Kriegsvorbereitung zurück. Erst als er in Tschetschenien an der Basis erfahren muss, dass Krieg in Europa heute nicht ausschließlich auf Schlachtfeldern ausgetragen werden kann und was Krieg für die unbeteiligten Zivilisten bedeutet, erst dann denkt er kritisch über die Lehre an der Militärakademie nach.
Die Studienjahre sind erlebnisreich und angenehm. Es wird sehr viel gefeiert und getrunken.
Mit einem weiteren Diplom – Abschlussnote „sehr gut“ - geht es zurück in die Heimat. Für Jura folgen trotz mehrerer Versetzungen Jahre der Routine und des grauen Alltages. Ungezählte Stunden lehnt er im Stab über topografischen Karten, Plänen und Schemen oder er schreibt Entschlusstexte oder Befehle. Es geht um die Organisation der Luftverteidigung über dem Norden der DDR. Alles in der Luftverteidigungsdivision (LVD) unterliegt selbstverständlich strenger Geheimhaltung und wird auf vereinnahmtem Papier erarbeitet. Bald hat er von diesem Papierstaub genug. Es liegt ihm nicht, dauernd nur Papiertiger durch den Stab zu schieben. Das zehrt an ihm und zermürbt. Er muss lange an Texten über das Niveau der Ausbildung und den politisch-moralischen Zustand der Truppe feilen. Das tötet Visionen und Träume. Fast gerät die Suche nach Harmonie außer Betracht.
Jura wechselt den Dienstbereich und das Aufgabenfeld, wird nach Strausberg bei Berlin versetzt, erhält sofort eine neue Wohnung zugewiesen und wird zum Major befördert.
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